Wahlrechtsreform: Mit 16 Jahren in den Gemeinderat?
In den kommunalpolitischen Gremien der Region liegt der Altersschnitt meist über 50. Wir haben mit zwei Gemeinderäten der jüngeren Generation über die geplante Wahlrechtsänderung gesprochen, die eine Kandidatur ab 16 Jahren ermöglicht. Der Gemeindetag gibt sich skeptisch angesichts der Neuerung.

© Pressefotografie Alexander Beche
Juliana Eusebi (Mitte) war schon früh in der Kommunalpolitik engagiert. Bevor sie für den Gemeinderat kandidierte, war sie beispielsweise Jugendvertreterin in Backnang. Archivfoto: Alexander Becher
Von Lorena Greppo
Rems-Murr. Die grün-schwarze Landesregierung hatte am Dienstag vergangener Woche entschieden, dass sich bei der nächsten Kommunalwahl auch 16-Jährige als Gemeinde-, Ortschafts- und Kreisräte aufstellen und wählen lassen können. „Wir wollen der jüngeren Generation die Möglichkeit geben, sich am Gemeinwesen zu beteiligen“, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu diesem Vorstoß gesagt. Ein Blick auf die Altersstruktur in den Gemeinderäten der Region zeigt: Junge Menschen sind in den Gremien eher die Ausnahme. Das Durchschnittsalter liegt meist jenseits der 50, das im Schnitt jüngste Gremium ist da schon der Großerlacher Gemeinderat mit einem Altersschnitt von 48,6 Jahren. In Sulzbach an der Murr liegt der Schnitt schon nahe der 60.
Das aktuell jüngste Mitglied des Kreistags und mit eine der Jüngsten in den Gemeinderäten im Verbreitungsgebiet unserer Zeitung ist Juliana Eusebi. Die heute 24-Jährige hat sich schon als Schülerin politisch engagiert, unter anderem im Landesschulbeirat und als Jugendvertreterin in Backnang. „Ich habe schnell gemerkt, dass mir die politische Arbeit und das Erarbeiten einer eigenen Meinung zu verschiedenen Sachverhalten viel Spaß macht“, erinnert sie sich. Weil der Themenkomplex Umwelt und Artenschutz sie besonders interessiert hat, ist Eusebi den Grünen beigetreten. Von ihrer Partei habe sie viel Unterstützung erfahren, auch im Hinblick auf ihre Kandidatur für Gemeinderat und Kreistag 2019.
Ein unerwartet erfolgreiche Kandidatur
Noch jünger als Eusebi war Lucca Volkmer bei seiner ersten Kandidatur für den Althütter Gemeinderat. 2014 ließ er sich für das Forum Althütte 2000 aufstellen, damals war er 18. „Niemand hat damit gerechnet, dass ich gewählt werde, ich auch nicht“, räumt der heute 27-Jährige ein. Die Gemeinderätin Gabi Gabel, zugleich die Mutter eines guten Freundes, hatte ihn angesprochen und zu einem Treffen der Gruppe eingeladen. Sie wusste, dass Volkmer sich zuvor als Jugendtrainer im Fußball wie auch als Betreuer in der evangelischen Kirchengemeinde engagiert hatte. Er selbst habe sich damals gesagt: „Warum nicht? Es interessiert mich und ich bringe mich gerne ein.“ Dass er mit zugleich noch sein Abitur absolvierte, sieht Volkmer nicht als Hindernis an, ebenso wenig das duale Studium, dass er anschloss. „Das Arbeitsleben kann genauso stressig sein. Da kommt es darauf an, dass man gut organisiert ist.“ Hilfreich sei auch immer, wenn im Gremium ein offener Austausch gepflegt werde – so sei es beispielsweise in Althütte.

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Lucca Volkmer wurde mit 18 Jahren in den Gemeinderat gewählt.Archivfoto: Alexander Becher
Die Frage, ob eine Kandidatur mit 16 Jahren für ihn auch eine Option gewesen wäre, kann Lucca Volkmer nicht ohne Weiteres beantworten. „Da hätte ich mir auf jeden Fall länger Gedanken machen müssen. Zwischen 16 und 18 macht man noch einmal einen so großen Sprung in der Persönlichkeitsentwicklung.“ Als Ablehnung der Wahlrechtsänderung will er sein Zögern aber nicht verstanden wissen: „An sich finde ich es super, wenn junge Leute sich einbringen können und wollen.“ Klar müsse ihnen dabei aber sein, dass das Engagement Verantwortung mit sich bringt. „Aber es gibt mit Sicherheit Kandidaten, die das gut und gerne machen können.“
Juliana Eusebi befürwortet die Herabsetzung des Wahlalters. „Ich möchte dieses Recht niemandem absprechen“, sagt sie und ist überzeugt: Sie selbst hätte es geschafft. Gewollt hätte sie eine Kandidatur mit 16 allein deshalb nicht, „weil ich da noch zu sehr mit der Schulpolitik beschäftigt war“. Allerdings, räumt sie auch ein, könne Überforderung bei manchen ein Problem werden. Als sie mit 21 Jahren in Kreis- und Gemeinderat gewählt wurde, zugleich studierte und in Teilzeit arbeitete, habe sie das nur durch gute Unterstützung von ihrer Fraktion geschafft. „Ich bin auch von meiner Persönlichkeit her sehr resilient“, sagt sie schmunzelnd.
Im Gemeindetag wird Kritik geäußert
Der baden-württembergische Gemeindetag unterstützt zwar die Zielstellung, junge Menschen in die Kommunalpolitik einzubinden. Die Absicht, das passive Wahlalter auf ein Alter unterhalb der gesetzlichen Volljährigkeit abzusenken, wird innerhalb des Gemeindetags jedoch auch kritisch bewertet. „Dies insbesondere deshalb, weil damit die Rechte und Pflichten minderjähriger Personen zunehmend auseinanderklaffen würden“, erklärt ein Pressesprecher. Einerseits ist man mit 16 Jahren nicht voll geschäftsfähig und auch noch nicht voll strafmündig, andererseits würde man als Gemeinderat weitreichende kommunalpolitische Entscheidungen mitverantworten, führt er aus. „Es geht hier also auch um die Konsistenz von Rechten und Pflichten insgesamt.“
Trotzdem verstehe man die aktive und kreative Jugendpolitik als Teil der Kommunalpolitik. „Kinder und Jugendliche können bereits heute zum Teil in Jugendgemeinderäten und anderen Beteiligungsformaten an den Entscheidungsprozessen auf kommunaler Ebene teilhaben.“
Gerhard Ketterer ist mit 80 Jahren das älteste Mitglied in einem Gemeinderat in der Region. Auch er weist auf die Diskrepanz zwischen den Rechten und Pflichten hin, sagt aber auch: „Die Tendenz, den Jugendlichen mehr Rechte einzuräumen und sie an die Politik heranzuführen, ist richtig.“ Mit der Entscheidung der Regierung müsse man nun leben, die Wählerschaft werde da sicherlich im Sinne ihrer Stadt oder Gemeinde entscheiden. Und wie bei so vielem gelte: „Der Gemeinderat ist nur so gut wie die Person selbst, das gilt für jedes Alter.“
Jüngere Gemeinderäte müssen sich behaupten
Wird man als junge Person in der Kommunalpolitik überhaupt für voll genommen? Von der Bürgerschaft habe sie dahingehend keine negativen Haltungen erlebt, sagt Eusebi. Im Kreistag hingegen habe sie dieses Gefühl durchaus schon gehabt und sich den einen oder anderen Spruch anhören müssen. „Ich habe aber manchmal auch das Gefühl, mich anders behaupten zu müssen“, sagt sie. Bei Themen, die vor allem von der jüngeren Generation forciert werden, „kommt es mir schlimmer vor, wenn ich im Gremium nichts dazu gesagt habe“. Gleichzeitig habe sie aber auch schon einige Male gezielt eine jüngere Sichtweise einbringen können. Auch Lucca Volkmer hat die Skepsis älterer Gemeinderäte erlebt. „Der eine oder andere hat schon geschmunzelt und mir vielleicht nicht so viel zugetraut“, erinnert er sich. Das habe sich aber durch die Zusammenarbeit schnell gelegt.
In vielen Dingen werde im Gremium heute auch auf seine Meinung gebaut. „Ich werde von vielen als Vertreter der Jugend gesehen. Bei Themen, die Jugendliche betreffen, richten sich die Augen schon auf mich.“ Volkmer nimmt aus seinen inzwischen fast neun Jahren Gemeinderatsarbeit viel Positives mit. „Mich hat es brutal weitergebracht. Man bekommt einen ganz anderen Blick auf viele Dinge“, sagt der 27-Jährige. Auch Eusebi haben die vergangenen Jahre Lust darauf gemacht, sich weiter zu engagieren. „Bei manchen Themen merkt man, dass es zwei, drei Jahre dauert, bis man richtig drin ist. Dann will man sie aber auch weiterverfolgen.“
Großerlach48,6
Weissach im Tal50
Allmersbach im Tal50,4
Oppenweiler52
Auenwald52,2
Aspach53,8
Burgstetten55
Kirchberg an der Murr54,8
Backnang55
Spiegelberg55,5
Althütte56
Murrhardt56
Sulzbach an der Murr59