„Mitleid kann ich nicht gebrauchen“
Mutmacher-Geschichten: Simon Maier arbeitet in Backnang beim Kreisjugendring und ist um ein normales Verhältnis zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen bemüht. Er selbst sitzt im Rollstuhl. Eingeschränkt fühlt er sich deshalb aber nicht.
Von Bernhard Romanowski
BACKNANG. Simon Maier beschreibt sich selbst als sehr lebensfrohen Menschen. Dem würde wohl niemand widersprechen, wenn man ihn so lebenslustig und engagiert von seinem Leben und seinen Projekten erzählen hört. „Ich bin keiner von der Sorte, der morgens vor dem Spiegel sein Schicksal beklagt. Man kann als Mensch mit Behinderung so viel machen wie andere auch. Ich persönlich möchte gar nicht bergsteigen. Das ist mir zu riskant“, sagt er lachend und lässt so keinen Zweifel an seiner Auffassung, dass man sich seine Grenzen zumeist selbst setzt.
Simon Maier sitzt im Rollstuhl und das schon immer, wie er sagt. „Sauerstoffmangel bei der Geburt. Vermutlich hatte sich die Nabelschnur um den Hals gelegt“, erklärt er kurz. Neben seinen Beinen ist auch sein linker Arm dadurch betroffen. Er kann ihn nicht ganz strecken. Seit 2003 arbeitet der 45-Jährige in Backnang beim Kreisjugendring. Er wohnt in Remshalden.
Bei einer Ferienfreizeit in New York ergab sich für Simon Maier ein wichtiger beruflicher Kontakt.
In Markgröningen im Kreis Ludwigsburg ist er zur Schule gegangen und hat dann nach Neckargemünd gewechselt. Das Wirtschaftsgymnasium hat er irgendwann geschmissen, weil es mit Mathe nicht so klappte. Dann machte er eine Ausbildung als Bürokaufmann. Die Weichen für seine Anstellung in dieser Funktion wurden 1998 bei einer Ferienfreizeit des Kreisjugendrings in New York gestellt.
An der Fahrt wollte Simon Maier erst nicht teilnehmen. Doch sein Vater begleitete ihn. Beim Kreisjugendring hatte man noch keine Erfahrung mit Menschen mit Behinderung, erzählt Maier: „Aber die waren alle nett und hilfsbereit. Das war super.“ Man tauschte Adressen bei dieser Gelegenheit. Jahre später meldete sich der Kreisjugendringleiter Frank Baumeister bei Simon Maiers Eltern: „Was macht denn der Simon so? Will er nicht nach Abschluss seiner Ausbildung bei uns arbeiten?“
Vor dem Haus des Kreisjugendrings in Backnang wurde dann eine Stufe abgeflacht für den Rollstuhl. Auch wurde eine Rampe zur Toilette errichtet. Seine Schwerpunkte sind die Zuschussbearbeitung, Verwaltung und Projektarbeit. Die Sensibilisierung von Menschen mit und ohne Behinderung, beispielsweise bei Erlebnisprogrammen wie „Outdoor inklusiv“, gehören ebenfalls dazu. „Einige Projekte sind gefördert von der Aktion Mensch, so auch die neue Online-Plattform mit barrierefreien Freizeitangeboten“, erläutert Maier. Er hat eine 100-Prozent-Stelle inne, die aber jeweils projektgebunden ist. Einen Führerschein hat er nicht, allein schon, weil er zu schreckhaft ist, wie er lächelnd sagt.
In Backnang kennt man ihn indessen als flinken Rollifahrer, der einen ziemlich heißen Reifen fährt, um es salopp zu formulieren. Auch sonst ist er sehr mobil: Er fährt viel mit dem Zug oder mit seiner Frau im gemeinsamen Auto, in dem sich auch ein Rollstuhl transportieren lässt. Zur Arbeit und zu Terminen, die derzeit coronabedingt rar sind, bringt ihn der Fahrdienst des Roten Kreuzes.
Mit seiner Frau guckt er gerne Tennis und Fußball. Er ist VfB-Fan, das Herz seiner Gattin schlägt für Borussia Dortmund, schließlich kommt sie aus dem Ruhrgebiet. Zusammengeführt hat die beiden ihre Liebe zu der Musikgruppe Pur. Gemeinsam haben sie schon über 100 Konzerte der Band besucht. In einem Online-Fanforum waren sie aufeinander aufmerksam geworden. 2007 kamen sie dann zusammen. Erst fuhren sie ständig hin und her zwischen Ländle und Ruhrpott – fast jedes Wochenende trafen sie sich. Dann fassten sie den Entschluss: „Wir ziehen zusammen.“ Die Dortmunderin hat auch gleich Arbeit als Hörmittelakustikerin gefunden. Rollstuhlfechten und therapeutisches Reiten betreibt Simon Maier heute nicht mehr. Letzteres war ohnehin nicht so sein Ding, wie er sagt. Dafür spielt er jetzt Bongos und weitere Percussion-Instrumente in der Formation Groove Inclusion. Diese Band kam auf Initiative der VHS Unteres Remstal und mit Anschubfinanzierung der Aktion Mensch zustande, wie er ausführt. Vor der Coronapandemie wurde immer einmal pro Woche in der Musikschule in Fellbach geprobt. Zu den 30 Mitgliedern zählen Menschen mit und ohne Behinderung, die mit schmissigen Arrangements aus dem Bereich Jazz und Pop schon über 30 Auftritte in der Region absolviert haben. Auch in Peking und Budapest waren sie schon zu Gast. Für vergangenes Jahr stand eigentlich Südkorea auf dem Tourplan. Ob dieses Jahr etwas daraus wird, steht immer noch in den Sternen. Auch Esslingen und Bamberg wollten sie heuer rocken. Bei der aktuellen Entwicklung des Pandemiegeschehens sind die Chancen dafür vielleicht gar nicht mal so schlecht. Aber selbst wenn nichts daraus wird, bleibt Maier seinem Motto treu: „Den Kopf sollte man nie hängen lassen. Auch wenn es schwerfällt. Es kommen auch wieder bessere Zeiten.“
Auch ein Buch zum Mutmachen hat Simon Maier schon geschrieben.
Simon Maier hat auch schon ein Buch geschrieben. „Der Rollmops – Geschichten aus dem Leben eines Rollstuhlfahrers“ heißt es. „Sinn des Buches ist es, Mut zu machen und zum Nachdenken anzuregen“, so Maier zu seinem Werk. Der normale Umgang der Menschen mit und ohne Behinderung ist sein Anliegen. Hier sieht er sich auch ein bisschen als Botschafter, weil es ihm wichtig ist, Berührungsängste abzubauen. „Ich schätze Empathie und Hilfsbereitschaft, aber Mitleid brauche ich nicht. Ich weiß, dass ich da auch für andere Menschen mit Behinderung sprechen kann. Wir brauchen kein Dutsi-dutsi.“
In der Serie Mutmacher-Geschichten berichten wir über Menschen, die ihr Glück gefunden haben, die schwierige Situationen gemeistert und ihre Träume verwirklicht haben. Damit setzen wir einen Gegenpol zu all den negativen Nachrichten, die jeden Tag in der Zeitung stehen.