Nach der Reform: Warten auf das Wohngeld
Durch die Wohngeldreform haben seit 2023 deutlich mehr Menschen ein Recht auf Wohngeld. Trotz Aufstockung des Personals in den Behörden hat sich die Bearbeitungszeit dadurch zum Teil deutlich verlängert, was für die Empfänger zum Problem werden kann.
Von Kristin Doberer
Rems-Murr. Inflation, Energiekrise und ein sehr angespannter Wohnungsmarkt – gerade für sozial schwache Familien war es in den vergangenen Jahren nicht leicht, sich finanziell über Wasser zu halten. Etwas Abhilfe schaffen sollte die Anfang 2023 eingeführte Reform des Wohngelds. Deutlich mehr einkommensschwache Haushalte sollten Unterstützung bei den Wohnkosten erhalten (siehe Infotext). Bei der Einführung des Wohngelds rechnete die Bundesregierung damit, dass sich die Zahl der Anträge durch die Reform verdreifachen könnte – das ist zumindest in der Region nicht eingetreten. „Die Anzahl hat sich erhöht, aber nicht verdreifacht“, sagt Susanne Schmitz, Teamleiterin der Backnanger Wohngeldstelle. Doppelt so viele wie vor der Reform seien es dann aber doch. Rund 430 Wohngeldempfänger gebe es aktuell in Backnang, das zeigen die Zahlen der Wohngeldstelle. Und mit einem Zuwachs von etwa 120 pro Jahr wird gerechnet.
Weil nun deutlich mehr Menschen die Sozialleistung beantragen, kommen die Behörden bei der Bearbeitung zum Teil an ihre Grenzen; die Empfänger müssen meist deutlich länger auf ihre Bewilligung warten. Extremfall ist aktuell München. Hier dauert es aktuell bis zu 20 Monate, bis ein Wohngeldantrag überhaupt bearbeitet wird. Ganz so schlimm ist es in Backnang aber noch lange nicht, versichert Schmitz. „Aktuell haben wir einen Rückstand von etwa acht Wochen“, sagt die Teamleitung der Wohngeldstelle. Im Vergleich steht die Backnanger Behörde bei der Wartezeit also eigentlich ganz gut da. Das ist aber nur dadurch möglich, dass die Wohngeldstelle schon vor der Einführung der Reform personell aufgestockt wurde. 2022 waren es zwei Teilzeitkräfte, mittlerweile sind es vier. In anderen Städten habe man sich oft erst 2023, als bereits die Antragsflut einging, auf die Suche nach mehr Personal für die Stellen gemacht, weiß Schmitz.
Die Wartezeit kann bei Menschen ohne Rücklagen schnell zum Problem werden
Aber auch wenn die Wartezeit auf den Wohngeldbescheid in Backnang vergleichsweise gering ist, kann die Wartezeit für die Empfänger zum Teil problematisch werden, heißt es vom Kreisdiakonieverband Rems-Murr. Bei der Sozial- und existenzsichernden Beratung in Backnang kommt auch das Thema Wohngeld immer wieder auf. Wenn die Klienten unerwartet Wohngeld in Anspruch nehmen müssen, zum Beispiel wenn Arbeitsverlust mit weiteren Faktoren wie einer Trennung zusammenkommt, dann könne schon die Wartezeit von nur zwei Monaten ein Problem werden. Denn Menschen in solcher Situation haben meist kaum Rücklagen und leben von Monat zu Monat, so der Kreisdiakonieverband weiter.
Das weiß auch die Wohngeldstelle, doch die Abarbeitung der Anträge kostet Zeit. Nicht nur müssen die mit der Reform zahlreichen neuen Anträge abgearbeitet werden, auch müsse Wohngeld jedes Jahr neu beantragt werden – jede Änderung der Lebensverhältnisse beziehungsweise der Gesetzeslage muss dann neu in die Berechnung mit einbezogen und geprüft werden, denn die sozialen und existenzsichernden Leistungen hängen eng miteinander zusammen. Gibt es zum Beispiel eine Erhöhung des Bürgergelds oder des Kindergeldzuschlags, kann das dazu führen, dass sich der Wohngeldanspruch verändert. „Besonders für 2025 erwarten wir wieder eine Dynamisierung des Wohngeldrechts“, sagt Schmitz. Das bedeute einen Wechsel vom Bürgergeld zum Wohngeld oder andersherum. Bei solchen rechtlichen Änderungen müssen die Behörden dann die einzelnen Wohngeldanträge wieder neu prüfen. „Das ist sehr aufwendig und man muss sich viel mit den anderen Behörden austauschen“, sagt die Teamleitung der Wohngeldstelle.
Die Telefonzeiten wurden deutlich eingeschränkt
„Wenn jemand beim Vermieter schon in Schwierigkeiten gerät, versuchen wir, das zu beachten“, sagt Schmitz mit Blick auf die Wartezeit. „Aber es ist ja bei allen dringend, jeder braucht das Geld.“ Die Mitarbeiter der Wohngeldstelle versuchen aber auch, die Abläufe zu verbessern, um die Wartezeit zu verringern. Zum Beispiel konnte man als Antragsteller früher gemeinsam mit Mitarbeitern der Wohngeldstelle den Antrag ausfüllen. „Dafür haben wir heute einfach keine Zeit mehr“, sagt Schmitz. Auch wurden die Telefonzeiten deutlich eingeschränkt, sodass sich die Mitarbeitenden zu bestimmten Zeiten nur auf das Abarbeiten der Anträge konzentrieren können. Wie lange man für einen Antrag braucht, das sei ganz unterschiedlich. Bei alleinstehenden Rentnern zum Beispiel könne das sehr schnell gehen. Bei Familien mit mehreren Kindern in unterschiedlichen Bildungsabschnitten dagegen werde die Prüfung deutlich komplizierter.
Sie gibt allerdings auch Tipps, wie es schneller mit dem Bescheid klappen könnte. „Wenn die Unterlagen gleich vollständig eingereicht werden, geht es deutlich schneller“, sagt sie. Wer hier unsicher sei, was er alles einreichen muss, könne sich auch vorher mit der Wohngeldstelle in Verbindung setzen und eine individuelle Liste der nötigen Nachweise bekommen. Das gehe auch persönlich zu den Öffnungszeiten der Wohngeldstelle; meist spare das im Vergleich zum Verschicken mehrerer E-Mails einiges an Zeit. Außerdem betont sie: Man solle nicht ständig nachfragen, wann der Bescheid kommt. Manche Empfänger zum Beispiel melden sich mehrmals die Woche. „Dadurch werden wir nur von der eigentlichen Arbeit abgehalten.“
Nicht nur mehr Antragsteller, sondern auch mehr Geld
Obwohl die Umstellung auf das Wohngeld-Plus für die Mitarbeitenden in den Behörden einiges an Mehrarbeit bedeutet, scheint die Idee dahinter – nämlich die Unterstützung für einkommensschwache Haushalte – aufzugehen. Dabei können nicht nur deutlich mehr Personen Wohngeld beantragen, auch wird mehr Geld an die Empfänger ausgezahlt. Laut Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen haben sich die Auszahlungen verdoppelt. Das bestätigt auch Schmitz mit Blick auf die Backnanger Empfänger. Lag die Gesamtsumme der Auszahlungen Ende 2022, also vor der Reform, noch bei rund 50000 Euro, stieg sie im November 2023 auf etwa 150000 Euro. Nicht nur das Mehr an Empfängern erklärt diese Steigerung, sondern auch, dass sich das Wohngeld teils verdoppelt habe.
Auch der Diakonieverband sieht die Reform an sich positiv, die Erhöhung habe einer großen Gruppe von Menschen viel gebracht. Problematisch sei allerdings, dass viele Empfänger von Sozialleistungen gar nicht genau wissen, welche Hilfsleistungen sie eigentlich beantragen können und was sie dafür ausfüllen müssen. Das führe zu einer großen Verunsicherung. Hinzu komme, dass bei Rentnern, die einen nicht geringen Teil der Empfänger ausmachen, die Scham eine Hürde darstelle, heißt es vom Diakonieverband weiter.
Wohngeldreform Seit Januar 2023 gilt das Wohngeld-Plus-Gesetz. Dadurch gibt es deutliche Leistungsverbesserungen und eine Ausweitung des Empfängerkreises. Kernstücke der Reform sind die Einführung einer Heizkosten- und Klimakomponente, die Anpassung der Wohngeldformel und auch die Anhebung der Einkommensgrenzen.
Anspruch Wohngeld beantragen können unter anderem Rentner mit geringer Rente, erwerbstätige Familien – dazu gehören Alleinerziehende ebenso wie Paare – mit niedrigen Einkommen, Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich, Studierende, sofern nicht der gesamte Haushalt einen BAföG-Anspruch hat, und Bewohner von Pflegeheimen.
Wohngeld Wie viel Wohngeld eine Person bekommt, ist von vielen Faktoren abhängig. Mit hinein spielt auch, wie angespannt der Wohnungsmarkt ist und wie hoch die Mieten sind. Bei alleinstehenden Rentnern liege der Zuschuss im Durchschnitt bei 200 Euro, bei Familien mit mehreren Kindern könne er bis 1000 Euro steigen.