Netto-Räuber in Psychiatrie eingewiesen

Das Landgericht kann den 21-jährigen Mann nicht für die Tat in dem Lebensmittelmarkt in Schorndorf verantwortlich machen.

Symbolfoto: EilderBox / Erwin Wodicka

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Von Heike Rommel

SCHORNDORF. Die fünfte Strafkammer des Landgerichts Stuttgart hat jetzt das Urteil über den 21-jährigen Schorndorfer gesprochen, der am Abend des 2. Juni den Netto-Markt in seiner Heimatstadt überfallen hat. Erstens: Gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten erging Freispruch, weil der Räuber bei der Tat komplett schuldunfähig war. Zweitens: Der junge Mann wird in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht, weil ähnlich schwere Straftaten zu befürchten sind, wenn er wieder Stimmen hört.

Der junge Mann kam gleich nach der Urteilsverkündung ins Zentrum für Psychiatrie Weißenau bei Ravensburg. Am schwierigsten, so sagte der vorsitzende Richter Volker Peterke bei der Urteilsbegründung, sei für das Gericht gewesen, herauszubekommen, ob der Angeklagte geflunkert hat, als er behauptete, fremde Stimmen hätten ihm die Tat befohlen. Dabei half dem Gericht Professor Hermann Ebel, der ärztliche Direktor der Psychiatrie im Klinikum Ludwigsburg.

Der Kumpel und der Vater verschwimmen zu einer Person.

Ebel diagnostizierte bei dem 21-Jährigen eine schizophrene Psychose aufgrund seines langjährigen Cannabiskonsums. Der Mann höre imperative und kommunikative Stimmen. Das habe er nicht nur bei der Untersuchung des Angeklagten auf dem Hohenasperg festgestellt, wo dieser von Gefängnispsychiatern längere Zeit beobachtet worden ist, sondern auch bei einer Befragung der Schwester des Angeklagten, die vortrug, ihr Bruder habe schon länger seinen Kumpel und seinen Vater zu einer einzigen Person verschwimmen lassen.

Zu der Schlange, die im Angeklagten wohnen soll, seit er Harry Potter geschaut hat, erklärte der Gutachter, dabei handele es sich um eine Leibhalluzination, die so unangenehm werden könne, dass Patienten Suizidversuche unternehmen. „Die Stimmen setzen ihn unter Druck und quälen ihn“, sah Professor Ebel den Patienten keinesfalls im Lager der Simulanten. Er erklärte auch, wie Psychiater dahinterkommen, ob einer flunkert oder nicht, und bezog sich dabei auf die neuesten Erkenntnis der Kollegen an der Charité Berlin.

„Zieh es durch“, sagte die eingebildete Stimme.

Richter Peterke fasste bei der Urteilsbegründung den Raubüberfall auf den Schorndorfer Netto in der Göppinger Straße im Kern noch einmal zusammen: „Zieh es durch“, sagte die eingebildete Stimme kurz vor der Tat, als der Räuber aber noch nicht genau gewusst habe, dass er die Kassiererin mit einer geladenen Schreckschusspistole bedrohen und rund 2600 Euro erbeuten soll.

Der Schorndorfer, so der Richter, habe zu diesem Zeitpunkt lediglich kapiert, dass er etwas Verbotenes tun soll. Dann habe dieser Kleider und die zuvor gekaufte Waffe zusammengepackt und sich im „Schorndorfer Städtle“ mit seinem Kumpel getroffen, führte der Richter weiter aus. Weil der Kumpel einen Platten am Fahrrad hatte, hätten sich die beiden getrennt. „Geh doch zu Netto“, tauchte die eingebildete Stimme zum zweiten Mal auf, und der Räuber ging in den Laden. „Du schaffst das“, sagte die Stimme, als er der Kassiererin, die gerade eine Kundin abfertigte, die Pistole an den Kopf hielt und durchlud.

„Geh doch zu Netto.“ Als die Stimme das sagte, fiel dem jungen Räuber auf, „dass das ja der Werbespruch von Netto ist“. Dieses „originelle Detail“ wertete das Landgericht als Indiz dafür, dass der Räuber nicht gelogen hat und sehr krank ist. Richter Peterke erklärte abschließend: „Die geistige Kontrollfähigkeit war völlig aufgehoben.“

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Erstellt:
14. Dezember 2020, 11:30 Uhr

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