Neuer Mut für mehr Vielfalt in den Kirchen
Der Vatikan erlaubt seit Dezember, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen. In Backnang und den umliegenden Gemeinden kommt das gut an. Es werden aber vielerorts noch weiter gehende Reformschritte gefordert, zum Beispiel die gleichgeschlechtliche Ehe.
Von Anja La Roche
Rems-Murr. Im April 2021 noch hatte der Vatikan betont, dass die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren in der katholischen Kirche verboten ist. Im Dezember 2023 dann die Kehrtwende: Der Papst verkündete, dass nun auch die Segnung von schwulen und lesbischen Paaren erlaubt sei, genauso wie die Segnung von wieder verheirateten Paaren. Diesen Schritt begrüßen viele lokale Akteure der katholischen Kirche in Backnang und der Umgebung. Im April 2021 hatten sich die Ministranten der katholischen Kirchengemeinde in Backnang sogar an der deutschlandweiten Aktion #LoveIsNoSin (Liebe ist keine Sünde) beteiligt und mit Plakaten und Regenbogenflaggen gegen das Segnungsverbot für Homosexuelle protestiert. Für viele Gläubige aus der Region ist aber auch klar: Es müssen weitere Reformschritte folgen.
Monika Schwartz, Vorsitzende des Gesamtkirchengemeinderats (Gesamt-KGR) Backnang und des Kirchengemeinderats St. Johannes, sagt zu den jüngsten Worten aus dem Vatikan: „Wir finden alle, dass das ein Schritt in die richtige Richtung ist.“ Der Papst greife etwas auf, das in den Kirchengemeinden schon praktiziert werde, nämlich die Segnung homosexueller Paare. „Das macht uns Mut, neue Wege zu gehen.“ Doch für die Vorsitzende des Gesamt-KGR ist das nur ein kleiner Schritt, dem viele weitere folgen müssen, um den großen Reformstau in der katholischen Kirche zu lösen. „Wir hoffen auf noch mehr Reformen, zum Beispiel in Richtung Gleichberechtigung der Frau und dass es verheiratete Priester geben darf.“ Monika Schwartz spricht sich auch für die Trauung von homosexuellen Paaren aus. „Wir müssen das Schubladendenken überwinden.“ Ob es für die gleichgeschlechtliche Ehe eine Mehrheit im KGR geben würde, sei eine andere Frage.
Eine Kirche, die die Leute abholt
Werner Trefz gehört auch zu diesen Stimmen, die weitere Reformen fordern. Er hat katholische Theologie studiert und ist nebenberuflich als Diakon in der katholischen Kirche, Seelsorgeeinheit Oppenweiler/Kirchberg an der Murr, tätig. Dass der Papst die Segnungen erlaubt hat, bezeichnet er als gut und längst überfällig. „Das sind genauso Christen wie wir, wieso sollten die da ausgeschlossen werden?“, sagt er. Wichtig ist ihm dabei, dass man bei einer Segnung um den Segen von Gott bitte und die Entscheidung somit ganz allein bei Gott liege. „Die Kirche muss für den Menschen da sein, nicht die Menschen für die Kirche“, sagt Werner Trefz. „Wir müssen die Leute da abholen, wo sie sind.“
Im Neuen Testament werde nicht thematisiert, wie Jesus zu homosexuellen Paaren steht. „Es ist nirgendwo in den Evangelien begründet, dass Jesus homosexuelle Paare ablehnt“, sagt Trefz. Vielmehr würde sich Jesus auch gegenüber Randgruppen barmherzig zeigen. Daher sieht Trefz auch nichts, das gegen die Trauung solcher Paare sprechen würde. „Auch das sollte irgendwann möglich sein.“ Im Alten Testament hingegen gebe es ein paar Stellen, die man so interpretieren könne, dass sie sich gegen gleichgeschlechtliche Paare richten. Das müsse aber historisch-kritisch betrachtet werden, sagt Trefz, immerhin würden die Texte aus einer patriarchalischen Gesellschaft und aus einer anderen Zeit stammen.
Für Wolfgang Beck, der seit 2015 Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde Backnang ist, stellt die Erlaubnis aus dem Vatikan keine Sensation dar, weil entsprechende Segnungen in der Realität schon längst Praxis seien. Er hat selbst schon zwei homosexuelle Paare gesegnet, genauso wie er auch wieder verheiratete Paare segnen würde. „Ich bezeichne das als Trausegnung“, erklärt er. Mit diesem Begriff umschiffe er den Umstand, dass eine richtige Trauung nicht möglich sei.
Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen
Dass er die Entwicklungen im Vatikan nicht als besonders wichtig wahrnimmt, begründet Beck auch damit, dass für ihn die Form zweitrangig ist. Vielmehr stehe für ihn der einzelne Mensch im Mittelpunkt. „Nicht der Pfarrer sagt, was richtig und falsch ist, sondern das ist eine Sache zwischen dem Herrn und den Menschen“, sagt Beck. Deshalb suche er nach individuellen Lösungen, um den Menschen und den Situationen gerecht zu werden. „Ich bin froh, dass auch der Papst dem Pastoralen den Vortritt gibt.“ Unschlüssig gibt er sich bei der Frage, ob auch eine kirchliche Eheschließung für alle Paare möglich sein sollte. Die „natürliche Familie“ habe für ihn einen Wert, der von der Gesellschaft besonders geschützt werden müsse.
Thomas Müller ist Pfarrer in der katholischen Seelsorgeeinheit Weissacher Tal. Er war kürzlich selbst bei einer Segensfeier eines befreundeten schwulen Paars, die er als „religiös sehr tiefgehend, berührend und stimmig“ erfahren hat. „Ich bin erleichtert, dass es im Vatikan – wohl auf Initiative des Papstes – zu einem Umdenken kam und jetzt endlich die Menschen in den Vordergrund gestellt werden, die um Segen bitten“, sagt Müller. „Ich habe es nie verstanden, wieso ich alles Mögliche segnen darf, aber nicht Menschen, die sich lieben und Verantwortung füreinander übernehmen wollen.“
Eine würdige Form für die Segnung
Den nun erlaubten Segen bezeichnet Müller allerdings als „Segen zweiter Klasse“, weil er nicht im Rahmen eines Gottesdiensts erteilt werden darf. Für Müller ist klar: So ein Segen, der für die gläubigen Menschen eine sehr hohe Bedeutung hat, sollte einen würdigen Rahmen, eine gottesdienstliche Form erhalten. „Ich bin froh, dass in unserer Diözese eine Handreichung mit Bausteinen für Segnungen erstellt werden soll, und ich vertraue darauf, dass hier gute Möglichkeiten gefunden werden, wie solche Segnungen in würdiger und guter Weise gestaltet werden können.“
Längst überfällig sei, dass der Vatikan nun weitere Schritte geht und die Homosexualität neu bewertet, sie nicht mehr als Sünde herabstuft. Dann wäre in seinen Augen auch eine Trauung möglich. „Wenn sich Menschen gegenseitige Liebe und Treue versprechen in guten und schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, dann können gleichgeschlechtliche Paare die Liebe Gottes beziehungsweise die Liebe Christi meines Erachtens genauso abbilden wie heterosexuelle Paare“, sagt Müller. Das Argument mancher Katholiken, nach welchem die eheliche Verbindung offen für Kinder sein muss, weil auch Gottes Liebe eine fruchtbare Liebe sei, ist für Müller nicht schlüssig. Schließlich dürfen auch ältere Paare heiraten, die aus biologischen Gründen keine Kinder mehr bekommen können. „Liebe kann ja auch in anderer Art fruchtbar sein, zum Beispiel wenn sich Menschen gegenseitig durch ihre Liebe Mut geben.“