Pilotprojekt im Rems-Murr-Kreis: Ehrenamtliche Hilfe nach Schlaganfall
An diesem Sonntag ist Weltschlaganfalltag. Nach der Akutphase im Krankenhaus fallen viele Patienten in ein Loch. Damit sie trotz möglicher Einschränkungen am sozialen Leben teilhaben können, geht nun im Rems-Murr-Kreis ein Pilotprojekt an den Start.
Von Lorena Greppo
Rems-Murr. Bei einem Schlaganfall gilt: „Time is brain“ (deutsch: Zeit ist Hirn), das macht Ludwig Niehaus, Chefarzt der Neurologie am Rems-Murr-Klinikum Winnenden und Regionalbeauftragter der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe, an diesem Abend deutlich. Je schneller reagiert wird und je schneller die betroffene Person ins Krankenhaus kommt und dort behandelt wird, desto geringer ist das Ausmaß der Zellschäden im Gehirn. Die Akutbehandlung erfolgt im Rems-Murr-Klinikum Winnenden in der sogenannten Stroke Unit. „In der Akutphase sind wir schon gut aufgestellt“, sagt Ludwig Niehaus. „Aber wir haben festgestellt, dass danach viele Patienten in ein Loch fallen.“ An dieser Stelle setzt bald ein neues Angebot an, das erstmals in Baden-Württemberg erprobt wird.
In Zusammenarbeit von Rems-Murr-Klinikum, DRK-Kreisverband und der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe werden in den kommenden Wochen knapp 20 Personen aus dem Rems-Murr-Kreis zu ehrenamtlichen Schlaganfallhelfern ausgebildet. Sie sollen den Patienten nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus bei Bedarf zur Seite stehen. Dabei nehmen sie nicht die Rolle einer Pflegekraft oder Haushaltshilfe ein, betont Niehaus: „Da werden manchmal vielleicht Ansprüche oder Wünsche geäußert, aber da sollten Sie Grenzen setzen.“ Vielmehr soll es um soziale Teilhabe gehen.
Gefragt sind vor allem gemeinsame Gespräche und Spaziergänge
Karin Gericke vom DRK-Kreisverband Rems-Murr erklärt: „Aus der Erfahrung berichten die Ehrenamtlichen in anderen Bundesländern, dass viel Zeit für persönliche Gespräche aufgewendet wird. Die Patienten brauchen Motivation und Zuspruch, manchmal möchten sie auch einen gemeinsamen Spaziergang unternehmen.“ Ebenfalls möglich sei, dass die Patienten Hilfe dabei benötigen, den Alltag zu strukturieren. Wenn sie etwa starke Beeinträchtigungen erleben, könne geschaut werden, welche Angebote und Hilfsmittel es gibt und wie man diese besorgen kann. Regelmäßig sollen Austauschtreffen organisiert werden, bei denen die Ehrenamtlichen von ihren Erlebnissen berichten können. Zudem ist das Projekt eng mit der Schlaganfallselbsthilfegruppe verzahnt – „das ist extrem wertvoll“, findet Ludwig Niehaus.
Er weiß: „Ein Schlaganfall reißt viele Menschen aus ihrem Leben. So etwas zu verarbeiten ist nicht leicht.“ Auch müssten die Patienten lernen, mit ihren Einschränkungen umzugehen. Ein großes Thema sei diesbezüglich, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aufrechtzuerhalten. Hier können die Schlaganfallhelfer unterstützen.
Margit Kraubmann aus Backnang und Regine Ebbinghaus aus Schorndorf möchten sich künftig in dieser Sache engagieren. Die beiden aufgeschlossenen, kontaktfreudigen Frauen kennen sich zwar, haben sich aber unabhängig voneinander bei dem Projekt angemeldet. „Ich bin seit März in Rente“, erklärt Margit Kraubmann. „Ich freue mich über neuen Input.“ Da es für die Schlaganfallhelfer keine festen Einsatzzeiten gibt, sondern die Besuche mit den Patienten individuell vereinbart werden, sei das gut mit ihrem Alltag vereinbar. Außerdem kenne sie eine Person, die nach einem Schlaganfall ohne viel Unterstützung dastand. Sie wolle nun helfen, dass es anderen nicht so ergeht. Regine Ebbinghaus befindet sich gerade im Sabbatjahr. Das bringt mit sich, dass sie auch nicht stundenweise in ihrem Beruf als Lehrkraft für motorisch und kognitiv eingeschränkte Menschen arbeiten darf. „Davon profitiert jetzt dieses Projekt.“ Auch das umfangreiche Schulungsprogramm für die Schlaganfallhelfer hat die beiden Frauen nicht abgeschreckt.
Den Ehrenamtlichen werden umfangreiche Kenntnisse vermittelt
Denn bevor sie zum Einsatz kommen, wird den ehrenamtlich Engagierten umfangreiches Wissen rund um Schlaganfälle vermittelt. Das beginnt mit dem Erkennen eines Schlaganfalls, etwa mit dem FAST-Test (siehe Infotext). Denn jeder vierte Patient hat innerhalb von fünf Jahren einen weiteren Schlaganfall. „Mit Ernährung und körperlicher Aktivität kann man vorbeugend viel erreichen“, sagt Dominik Schreiber, Oberarzt in der Stroke Unit. „Aber wenn es schon einmal so weit gekommen ist, dann sind die Gefäßschäden da und die kann man nicht rückgängig machen.“
Um mehr über das Krankheitsbild zu erfahren, ist ein Besuch in der Stroke Unit vorgesehen. Doch damit nicht genug. Den Ehrenamtlichen wird beispielsweise auch Wissen über die Nachsorge der Krankheit (auch Fragen zur Fahrtauglichkeit der Patienten und Ähnlichem), zu psychischen Aspekten der Krankheit (innerhalb der ersten Wochen nach dem Schlaganfall kann eine sogenannte Post-Stroke-Depression auftreten), zu Sozialrecht und Kommunikation vermittelt. Die jeweiligen Fachleute geben die Seminare übrigens ohne Vergütung. „Die Sache steht im Vordergrund“, macht Ludwig Niehaus klar, der sich ebenfalls in seiner Freizeit einbringt.
Sind die etwa 40 Stunden der Ausbildung beendet, bekommen die Teilnehmenden ein Zertifikat und werden in Kontakt mit Betroffenen gebracht. „Wir wollen jetzt Patienten ansprechen und ihnen künftig bei der Entlassung das Angebot nahelegen“, sagt Dominik Schreiber. Ob und wie intensiv ein Kontakt zustande kommt, hängt auch davon ab, wie viel Freizeit die Ehrenamtlichen entbehren können und welchen Weg sie auf sich nehmen wollen. „Wir werden sicherlich auch Anfragen abweisen müssen“, sagt Karin Gericke. Aber das Projekt soll weitergehen und neue Helfer sollen hinzukommen.
Der Schlaganfall Ein Schlaganfall ist eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Hauptsächlich werden zwei Formen unterschieden:
Der Hirninfarkt entsteht durch einen Gefäßverschluss, etwa durch einen Blutpfropfen oder durch eine Gefäßverkalkung.
Von einer Hirnblutung spricht man, wenn ein Gefäß im Gehirn platzt und somit bestimmte Hirnareale nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden.
Die Folgen Es kommt zu einer Mangeldurchblutung mancher Hirnareale. Je nach der betroffenen Hirnregion entstehen dadurch Störungen oder Ausfälle verschiedener Körperfunktionen und häufig bleibende Behinderungen. Eine halbseitige Lähmung, Sprach-, Seh-, Bewusstseins- oder Wahrnehmungsstörungen sowie Schluckbeschwerden und ein gestörtes Gleichgewicht können als Folge eines Schlaganfalls auftreten.
Der FAST-Test Mit dem FAST-Test lässt sich der Verdacht auf einen Schlaganfall rasch überprüfen.
Face: Bitten Sie die Person, zu lächeln. Hängt ein Mundwinkel herab, deutet das auf eine Halbseitenlähmung hin.
Arms: Bitten Sie die Person, die Arme nach vorne zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Bei einer Lähmung sinkt ein Arm oder dreht sich.
Speech: Lassen Sie die Person einen einfachen Satz nachsprechen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder klingt die Stimme verwaschen, liegt vermutlich eine Sprachstörung vor.
Time: Zögern Sie nicht, wählen Sie unverzüglich die 112 und schildern Sie die Symptome.
Der Link www.schlaganfall-hilfe.de