Psychiatrischer Gutachter äußert Zweifel

Im Drogenprozess gegen zwei Backnanger ist eine Einweisung in eine Entziehungsanstalt möglich.

Symbolfoto: Alexander Becher

© Alexander Becher

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Von Heike Rommel

Backnang. Auch am vierten Verhandlungstag sind im Backnanger Drogenprozess vor dem Stuttgarter Landgericht keine geständigen Einlassungen von den mutmaßlichen Drogendealern gekommen (wir berichteten). Gegenstand der Anklage ist immer noch, dass die beiden selbstständigen Backnanger in der Pandemie insgesamt rund 300000 Euro mit Drogengeschäften verdient haben sollen. Um weiterzukommen, zog die neunte Strafkammer die psychiatrischen Gutachten über den 40-jährigen Landschaftsbauer und den 28-jährigen Gastronomen vor, welche Antwort auf die Frage liefern sollen, ob eine Einweisung in eine Entziehungsanstalt ein gangbarer Weg ist. Hiernach zog sich der Richter gemeinsam mit der Staatsanwältin Christine Würthwein sowie den Verteidigern hinter verschlossene Türen zurück.

„Früher hat man das manchmal als Deal bezeichnet“, kündigte der Vorsitzende Richter Rainer Gless das Ergebnis der Verfahrensabsprache an. Über einen Strafkorridor von einer Unter- bis zu einer Obergrenze soll am Freitag, 10. März, Auskunft gegeben werden. An diesem Tag zog man stattdessen die psychiatrischen Gutachten vor.

Beide Angeklagten machen ihre Drogenabhängigkeit geltend für ihre Handlungen im Tatzeitraum zwischen März 2020 bis Ende Juni 2022. Sie hätten viel Geld für den Eigenbedarf gebraucht, heißt es.

Gerichtspsychiater beleuchtet die medizinischen Befunde über die beiden Angeklagten

Im Zuge seiner Exploration der beiden seit sechs bis sieben Monaten im Untersuchungsgefängnis Stammheim befindlichen Angeklagten beleuchtete der Gerichtspsychiater Jürgen Eckardt vom ZfP Weissenau/Ravensburg die medizinischen Befunde über die beiden Männer sowie ihre Lebensläufe. Bei dem noch nicht vorbestraften 40-Jährigen befürwortete er eine Einweisung nicht unbedingt, bei dem 28-Jährigen, der bereits einschlägige Vorstrafen hat, hingegen schon eher.

Über den 40-jährigen Landschaftsbauer führte der Psychiater aus, dieser habe ihm gegenüber angegeben, nach einer Knieoperation Cannabis und CBD aus dem Automaten gegen Schmerzen gebaucht und sogar Opiate und Kokain konsumiert zu haben, was finanziell heftig zu Buche geschlagen habe. Herausfinden konnte der Psychiater darüber hinaus, dass sich der 40-Jährige mit etwa 300000 Euro Schulden für ein Haus auf dem Buckel im Jahr 2019 mit einem Landschaftsbaubetrieb selbstständig gemacht hat und in der Pandemie gleich wieder damit eingebrochen ist. Die Angaben dieses Angeklagten und die Berichte aus der JVA über Entzugserscheinungen könne er nur schwer miteinander vereinbaren, meinte der Psychiater. Bei ihm habe der 40-Jährige auch viel größere Konsummengen von Drogen angegeben als bei einer Suchtberaterin. Damit stellte er die Einweisung in eine Entziehungsanstalt der Strafkammer anheim. Jürgen Eckardt geht davon aus, dass ein nicht unerheblicher Teil des Gewinns aus Drogengeschäften für den Lifestyle-Konsum verwendet wurde.

Lehre geschmissen und mit dem Fußballtraining aufgehört

Bei dem 28-jährigen Gastronomen, der wegen einer Drogenfahrt im Straßenverkehr den Führerschein verloren und schon gar nicht mehr neu gemacht hat, fiel die Einschätzung des Psychiaters klarer aus, hier befürwortete er die Behandlung in einer Entziehungsanstalt. Der 28-Jährige habe wegen des Kiffens schon eine Lehre nur mit Ach und Krach beendet und das Fußballtraining nicht mehr durchgehalten. Wegen Krankheit zwei Jahre arbeitsunfähig und deshalb schlecht kündbar, habe dieser Angeklagte unter dem Konsum von eigentlich verschreibungspflichtigem Tillidin die Zeit dazu genutzt, sein Lokal einzurichten.

Sollten bis zum nächsten Verhandlungstag Geständnisse kommen, für die das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwältin bereits eine Einstellung von kleineren der über 70 Anklagepunkte angeboten hat, kann in einem von beiden Seiten ausgehandelten Strafkorridor weitergemacht werden. Die Strafkammer ist jedoch nicht an den Deal gebunden, wenn weiterhin nichts zugegeben wird oder wenn eine unerwartete Wende im Prozess eintritt.

Die Angaben dieses Angeklagten und die Berichte aus der JVA sind nur schwer vereinbar.

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Erstellt:
4. März 2023, 11:30 Uhr

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