Räuberische Erpressung lässt sich nicht nachweisen
Der Prozess am Backnanger Amtsgericht endet mit einem Freispruch für die beiden Angeklagten.
Von Jutta Rieger-Ehrmann
Backnang. Vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Backnang mussten sich zwei 32-Jährige wegen des Vorwurfs der versuchten gemeinschaftlichen räuberischen Erpressung verantworten. Erschienen waren die Angeklagten in Begleitung ihrer Anwälte und einer Dolmetscherin.
Vorgeworfen wurde ihnen, im vergangenen Herbst einen 23-jährigen gemeinsamen Bekannten mit Tritten und Schlägen traktiert und versucht zu haben, ihm Geld und Handy abzunehmen. Einer der Angeklagten sagte aus, dass sie an besagtem Tag um 1 Uhr nachts im Biegel in Backnang auf den Geschädigten gestoßen seien. Er habe dort mit drei anderen Personen gesessen. Sie selbst seien auf dem Weg zur Annonayanlage gewesen, um dort Sport zu machen – eine Angabe, die beim Gericht Erstaunen hervorrief. Der gemeinsame Bekannte soll sich spontan entschlossen haben, sie zu begleiten. Unterwegs habe er sie immer wieder nach Zigaretten und Bier gefragt. Da sie dem Wunsch nicht nachkamen und der 23-Jährige stark alkoholisiert gewesen sein soll, sei dieser immer aggressiver geworden. Die anfänglichen Beleidigungen seien dann in Handgreiflichkeiten geendet. Der Angeklagte sagte aus, den Mann daraufhin an den Schultern gepackt, zuerst auf den Boden gelegt und ihn danach wieder hochgehoben und weggeschickt zu haben. Wieder zu Hause angekommen, seien sie wenig später festgenommen worden.
Der Geschädigte sagt, die Angeklagten hätten ihn niedergeschlagen
Der zweite Angeklagte bestätigte die Aussage seines Freundes. Dem Geschädigten Geld und Handy wegnehmen zu wollen, hätte keinerlei Sinn ergeben, da dieser kein Geld gehabt habe und sie mit seinem Handy gar nichts hätten anfangen können, ergänzte er. Der 32-Jährige betonte, sie seien „keine Banditen“ und hätten sich weder in der Ukraine noch in Deutschland etwas zuschulden kommen lassen. Er verwies auf zwei dort ausgestellte Bescheinigungen, eine Art Führungszeugnis. Den Geschädigten kennen sie von einem Sprachkurs und von einigen Besuchen in ihrem Wohnheim. Für dessen Anschuldigungen habe er nur die Erklärung, dass er wohl sehr gekränkt gewesen sei und sich habe rächen wollen.
Der Geschädigte, der inzwischen als Zahntechniker arbeitet, sagte im Zeugenstand Folgendes aus: Er habe in der fraglichen Nacht seine Freundin nach Hause begleiten wollen und sei dann Opfer eines räuberischen Überfalls geworden. Die Angeklagten hätten ihn niedergeschlagen und gegen sein operiertes Bein getreten. Er habe einige Blessuren und große Schmerzen davongetragen, beim Arzt sei er jedoch nicht gewesen. Sie hätten immer wieder Geld und sein Handy verlangt. Nur das Auftauchen eines Mannes habe ihn vor Schlimmerem bewahrt. Im Wohnheim der Angeklagten sei er nicht gewesen.
Weitere Themen
Bei dem zweiten Zeugen handelte es ich um den Mann, der schließlich die Polizei rief. Er sei in der warmen Nacht auf einer Bank in der Grabenstraße gesessen. Den Vorfall selbst und die Angeklagten habe er nicht gesehen. Lediglich der Geschädigte sei auf ihn zugekommen und habe ihn gebeten, die Polizei zu rufen. Vor Ort habe die Polizei nur den Geschädigten vorgefunden, wie der dritte Zeuge, der ermittelnde Polizeibeamte, aussagte. Der Passant sei nicht mehr vor Ort gewesen.
Im Zweifel für den Angeklagten
Nun machten die Angeklagten Angaben zur Person. Einer der beiden, geboren in Mykolajiw, ist seit Herbst in Deutschland. Seine Ex-Frau und seine kleine Tochter seien schon seit Beginn des Ukrainekriegs hier. Von Beruf sei er Ingenieur in der IT-Branche. Aktuell habe er einen Minijob bei einer Telefonfirma, ansonsten lebe er von Sozialleistungen. Der zweite Angeklagte ist aufgrund des russischen Angriffs auf Cherson über verschiedene Länder der EU nach Deutschland geflohen. Er ist ledig und hat keine Kinder. Gerne möchte er eine Ausbildung zum Programmierer machen. Zurzeit beziehe er Sozialleistungen. Im Bundeszentralregister gibt es bei allen drei Beteiligten keine Einträge. In diesem Zusammenhang betonten die 32-Jährigen nochmals, dass sie das erste Mal in ihrem Leben vor Gericht stünden und deshalb sehr nervös seien.
Danach hatte der Staatsanwalt das Wort. Der Vorfall ließe sich zwar nicht in Gänze klären, die Körperverletzung sei jedoch wahrscheinlich, da die beiden Angeklagten dem stark alkoholisierten Geschädigten überlegen gewesen seien. Er forderte jeweils sechs Monate auf Bewährung sowie einige Stunden gemeinnütziger Arbeit. Die Anwälte der 32-Jährigen plädierten auf Freispruch. Zu groß seien die Widersprüche in der Aussage des 23-Jährigen. Falls überhaupt, dann handle es sich um einen minderschweren Fall der Körperverletzung, wenn nicht gar um Notwehr. Eine versuchte räuberische Erpressung liege keineswegs vor. Nach einer kurzen Unterbrechung verkündete der Richter das Urteil des Schöffengerichts: Freispruch. Es stehe Aussage gegen Aussage. In diesem Fall gelte der alte Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.