Reduzierte Taktung der S3 sorgt für Unmut

Die Geduld der Bahnpendler auf der Strecke zwischen Backnang und Stuttgart wird weiterhin strapaziert. Seit Montag fahren die S-Bahnen der Linie S3 bis voraussichtlich 1. Mai nur noch halbstündig. Kritik daran kommt nicht nur von den Fahrgästen selbst.

Pendler auf der Linie S3 müssen sich für die kommenden drei Monate auf einen Halbstundentakt einstellen.  Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Pendler auf der Linie S3 müssen sich für die kommenden drei Monate auf einen Halbstundentakt einstellen. Foto: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Backnang. Nicht funktionierende Schiebetritte, mangelhaft kommunizierte Verspätungen, Zugausfälle... Die Liste der Ärgernisse, die Pendler im Schienennahverkehr in der Region Stuttgart schildern, ist lang. Und sie nimmt vorläufig kein Ende, denn seit Montag bis voraussichtlich 1. Mai verkehrt die Linie S3 zwischen Backnang und Vaihingen ganztägig nur im Halbstundentakt, sehr zum Unmut der Bahnreisenden auf dieser Strecke.

Dass niemand Beifall klatscht, wenn er länger auf seinen Zug warten muss, weiß man natürlich auch bei der Deutschen Bahn. „Den Unmut und Ärger über die geringere Taktung haben wir wahrgenommen, und diese sind auch berechtigt, schließlich entfällt dadurch rund die Hälfte der Verbindungen“, sagte ein Sprecher des Unternehmens. Der reduzierte Takt sei vorübergehend dennoch notwendig, um einen möglichst reibungslosen und planbaren Ablauf im S-Bahn-Netz sicherzustellen, da aktuell Fahrzeuge fehlten.

Fehlende Züge und nicht kompatible Baureihen

Bei allem verständlichen Ärger über die reduzierte Taktung stellen sich insofern vor allem zwei Fragen: Wieso stehen überhaupt zu wenige Fahrzeuge zur Verfügung und warum betreffen die Konsequenzen hauptsächlich die Linie S3?

Auf beide Themen ging die Deutsche Bahn in der Vorwoche in einer Presseinformation ein. Demnach fallen acht Fahrzeuge noch immer aufgrund beschädigter Radsätze aus – eine bereits bekannte Folge des Einsatzes auf der Panoramabahn während der Schließung des Innenstadttunnels im Sommer. Acht weitere Züge befinden sich laut Deutscher Bahn im Alstom-Werk in Hennigsdorf. Sie werden bereits im Hinblick auf den Betrieb im Digitalen Knoten Stuttgart mit der notwendigen Technik für das teilautomatisierte Fahren ausgestattet.

Züge können nicht gekoppelt werden

Verschärft wird die Situation durch die Tatsache, dass die seit 2013 im S-Bahn-Netz eingesetzten Züge der Baureihe 430 weder mit den neuen Fahrzeugen desselben Typs noch mit den älteren des Typs 423 gekuppelt werden können. Der Fahrzeughersteller Alstom und die Deutsche Bahn arbeiten offenbar an einer Lösung des Problems. Bis dahin bedeutet das jedoch, dass auf den einzelnen Linien nur jeweils Fahrzeuge desselben Bautyps eingesetzt werden können, um die Anpassung von Zuglängen im laufenden Betrieb zu ermöglichen.

Warum aber zieht nun gerade die Linie S3 den Schwarzen Peter? Bei der Deutschen Bahn begründet man dies damit, dass sie die kürzeste Linie des S-Bahn-Netzes sei und daher auch am wenigsten Fahrzeuge benötige. Für den betreffenden Zeitraum werden auf der Linie S3 daher die Züge der Linie S62 eingesetzt, die sonst zwischen Weil der Stadt und Zuffenhausen verkehren. Die Linie S62 entfällt bis voraussichtlich 1. Mai komplett. Zudem verweist die Deutsche Bahn auf die gute ergänzende Abdeckung der Strecke Backnang–Stuttgart durch die Regionalverkehrslinien.

Das ist zwar richtig, hilft aber jenen, die in Maubach, Nellmersbach oder Schwaikheim ein- und aussteigen wollen, nur wenig. Immerhin soll auf der Linie S3 ganztägig in voller Zuglänge gefahren werden, um überfüllte Bahnen zu vermeiden. Laut Deutscher Bahn ging dieses Konzept auch auf, am Montag habe es zwar eine hohe Auslastung gegeben, doch alle Passagiere hätten transportiert werden können.

Viel Kritik von Bahnreisenden und aus der Politik

Eine Meinungsumfrage unserer Zeitung in den sozialen Netzwerken zeigte hingegen ein anderes Stimmungsbild: Höhere Preise für weniger Züge und mehr Gedränge, so lautete hier der Tenor. Vielfach wurden insbesondere die vollen Züge beanstandet. Eine Userin bezeichnete die Entscheidung als Rückschritt für den öffentlichen Nahverkehr.

Doch wessen Versäumnis sind die nicht kompatiblen Bautypen, die sich im Stuttgarter S-Bahn-Netz tummeln? Der Backnanger Landtagsabgeordnete Gernot Gruber kritisiert vor allem den Verband Region Stuttgart und spricht von einer „Fehlentscheidung“, die er zudem als Glied in einer ganzen Kette kostspieliger Pannen sieht. Der Verband Region Stuttgart bestellt den S-Bahn-Verkehr in der und rund um die Landeshauptstadt und ist insofern für den Kauf der neuen Fahrzeuge verantwortlich. Dort will man von einem Versäumnis allerdings nichts wissen: „Wir vom Verband haben bei der S-Bahn Stuttgart koppelbare Fahrzeuge bestellt, deren Lieferung und Funktionsfähigkeit vertraglich vereinbart ist“, sagte eine Sprecherin des Verbands. Alles Weitere sei Sache der DB Regio S-Bahn.

Kritik von der Politik

Gruber erkundigte sich beim Verkehrsminister des Landes, Winfried Hermann, dennoch insbesondere nach den Geldern, die das Land der Region Stuttgart für den S-Bahn-Verkehr zur Verfügung stellt. Außerdem fragte er, ob für den eingeschränkten Bahnverkehr eine Kompensation in Form von Rückerstattungen an die Tickethalter oder durch die hilfsweise Verwendung des Geldes zur Verbesserung der Infrastruktur auf der Murrbahn denkbar wäre.

Auch Landrat Richard Sigel schloss sich der Kritik an und verwies in einem eigenen Brief an Hermann, die Region Stuttgart und die Deutsche Bahn auf die zahlreichen technischen Probleme und Baustellen, welche die Bahnreisenden auf der Strecke zwischen Backnang und Stuttgart sowieso bereits seit Monaten belasteten. Gerade im Hinblick auf die dringend notwendige Verkehrswende bedürfe es jedoch eines leistungsfähigen Personennahverkehrs, um den Bürgern eine ernst zu nehmende Alternative zum Pkw zu bieten.

Ein effizienter und vor allem zuverlässiger Nahverkehr ist eine Vision, der sich grundsätzlich alle Akteure anschließen. Sowohl der Verband Region Stuttgart als auch die Deutsche Bahn benennen die stetige Verbesserung des S-Bahn-Verkehrs in ihrem Aufgabenprofil. Ob die Pendler auf der Linie S3 das in der aktuellen Situation allerdings als erfüllt ansehen, darf bezweifelt werden.

Akteure des S-Bahn-Betriebs in der Region Stuttgart

Alstom Der französische Konzern ist einer der führenden Hersteller für Schienenfahrzeuge. Zuletzt hat das Unternehmen 43 von insgesamt 58 vereinbarten neuen Fahrzeugen des Typs 430 an die S-Bahn Stuttgart übergeben.

Deutsche Bahn Als DB Regio S-Bahn Stuttgart ist die Deutsche Bahn der Betreiber des Streckennetzes.

VVS Der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart koordiniert den ÖPNV in und rund um Stuttgart.

Verband Region Stuttgart Als politische Ebene der Region Stuttgart ist der Verband als Aufgabenträger für den „regionalbedeutsamen Schienennahverkehr mit Ziel und Quelle in der Region“ zuständig, einschließlich der Finanzierung.

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Erstellt:
8. Februar 2023, 06:00 Uhr

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