Rems-Murr-Kreis will Deponie in Backnang-Steinbach bis 2055 nutzen
Die Abfallwirtschaft Rems-Murr möchte die Laufzeit der Deponie deutlich verlängern und weitere Flächen innerhalb des genehmigten Areals als Erddeponie ausweisen. Zudem plant die AWRM den Bau eines modernen Entsorgungszentrums mit übersichtlichen Verkehrswegen.
Von Matthias Nothstein
Backnang. Eine Mülldeponie vor der Haustür – das möchte niemand. Trotzdem waren solche Anlagen nötig. In den 1990er-Jahren hat der Landkreis daher im Backnanger Stadtteil Steinbach die bestehende Kippe als Kreismülldeponie ausgewiesen und mit den Kommunen Backnang und Oppenweiler, auf deren Gemarkung das Gelände liegt, vertraglich die Rahmenbedingungen festgezurrt. Einer der wichtigsten Vertragspunkte lautete, dass die Deponie längstens bis 2032 genutzt wird, dann ist Schluss. Und nun das: Die Abfallwirtschaft Rems-Murr (AWRM) beantragt eine Verlängerung der Betriebszeit bis 2055 und die Nutzung von Deponiebereichen, die zwar genehmigt, aber bislang noch bewaldet sind. Und drittens: Die AWRM möchte auch das Entsorgungszentrum, zu dem alle Bürger ihren Müll selbst fahren können, grundlegend modernisieren und neu bauen.
Erdaushub stellt die größten Abfallmengen dar
Doch gemach. Bevor ein Sturm der Entrüstung losbricht, zuerst ein Faktencheck. Vor 30 Jahren wurde auf Müllkippen alles abgeladen, was in der Sammelmülltonne landete. Es stank zum Himmel. Krähen lebten wie im Paradies, Ratten ebenso und der Wind wehte Geruch und Schnipsel übers Land. Solche Zustände sind heute völlig überholt. Seit 2005 darf in Deutschland kein Hausmüll mehr abgelagert werden. Seitdem wird der Restmüll des Landkreises im Müllheizkraftwerk Stuttgart-Münster verbrannt und daraus Strom und Fernwärme erzeugt.
Aber warum will die AWRM die Laufzeit der einzigen noch in Betrieb befindlichen Deponie im Landkreis dann trotzdem massiv verlängern und das Deponievolumen ausweiten? Die Antwort ist einfach: Der Hausmüll – einst der Hauptbestandteil des Abfalls und der stinkendste – war nur ein Teil des Gesamtmülls. Die mit Abstand größten Mengen in der Abfallwirtschaft des Landkreises stellt heute der Erdaushub dar. Im Landkreis fallen jährlich mehr als 100000 Tonnen Erde an, die deponiert werden müssen, zusätzlich weitere 6000 Tonnen mineralische Abfälle der Deponieklasse II wie beispielsweise Bauschutt.
Zehn Jahre Entsorgungssicherheit sind laut Gesetz gefordert
Der Gesetzgeber verlangt, dass die AWRM die Entsorgungssicherheit für mineralische Abfälle und damit auch Erdaushub für zehn Jahre sicherstellen muss. Daher werden nun acht Hektar Wald innerhalb der bereits genehmigten Fläche für die Erweiterung der Deponie vorgesehen. Wird diese Fläche bis zur genehmigten Obergrenze aufgefüllt, so reicht das Volumen laut der Hochrechnungen bis 2055 aus. Lutz Bühle, der technische Vorstand der AWRM, erklärt: „Erfreulich ist, dass es dafür keiner Vergrößerung der bereits genehmigten Deponiefläche bedarf. Im Bereich der ehemaligen Hausmülldeponie stehen ungenutzte Deponievolumina zur Verfügung, die aufgrund der Einstellung der Rohmüllablagerung 2005 nicht im ursprünglich geplanten Ausmaß für die Restmüllablagerung benötigt wurden. Anstatt von mit Schadstoffen belasteten Abfällen soll hier künftig unbelasteter Bodenaushub abgelagert werden.“ Die ortsnahe Erdablagerung kommt laut Bühle allen Häuslebauern und Gewerbetreibenden im Kreis zugute, weil deren Aushub nicht über weite Strecken in andere Regionen transportiert werden muss. Und für die Anliegerkommunen gibt es noch ein Zuckerle: Künftig sollen sie von jeder Tonne Erdaushub eineinhalb Euro Gebühr erhalten.
Immer mehr Stoffe für die Wiederverwertung
Parallel wird auch das Entsorgungszentrum modernisiert. Denn seit dem Beginn der Wertstoffannahme in Steinbach haben sich massive Veränderungen bei der Annahmestelle für Privatanlieferungen ergeben. Es gibt immer mehr verschiedene Stoffe für die Wiederverwertung. An Hauptanlieferungstagen herrschte zuweilen Verkehrschaos auf dem Betriebshof. Ein Neubau mit verbesserten Zufahrten soll rasche Abwicklung, kürzere Wartezeiten und übersichtliche Verkehrswege garantieren. „Wir wollen die Menschen mitnehmen und Abfallentsorgung einfach und unkompliziert gestalten“, so Landrat Richard Sigel. Das Konzept sieht wichtige Verbesserungen für die Bürger vor: eine zweispurige Zufahrt und großflächige Verkehrsbereiche sollen eine rasche Abwicklung ermöglichen und tieferliegende Container sorgen für eine bequeme Befüllung.
Der Kreistag hat mit dem Beschluss des Abfallwirtschaftskonzepts 2021 die Weichen für den zukunftsfähigen und nachhaltigen Ausbau gestellt, auch wenn er dafür mehrere Millionen Euro investieren muss.
Bürgerdialog Im Rahmen eines Bürgerdialogs am Samstag, 27. Mai, um 15 Uhr sind Bürger eingeladen, sich vor Ort detailliert über das Projekt zu informieren. Die AWRM bietet Interessierten dabei auch die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu blicken und sich den realen Deponiebetrieb anzusehen. Mehr Infos unter www.awrm.de.Von Matthias Nothstein
Die Verantwortlichen der AWRM haben ziemlich Bammel vor dem Schritt, mit ihren sehr konkreten Plänen an die Öffentlichkeit zu gehen. Spontan betrachtet haben sie auch allen Grund dafür, denn wenn irgendwo eine Deponie erweitert oder deren Laufzeit verlängert wird, noch dazu entgegen früherer Versprechungen, dann ist dicke Luft vorprogrammiert. Auf den zweiten Blick hingegen sollten sich die Macher entspannen, denn vernünftige Gründe gegen die Planung gibt es keine. Entgegen früheren Zeiten wird in Steinbach seit vielen Jahren schon kein stinkender Rohmüll mehr angeliefert. Die Voraussetzungen für den bestehenden Vertrag haben sich dadurch grundlegend geändert. Das Gelände wird aufgefüllt und rekultiviert. Zudem dürfen die Flächen ohnehin nicht mehr für die Produktion von Lebensmitteln genutzt werden, dafür taugen sie exzellent für Fotovoltaik-Außenanlagen. Und die Ausweisung solcher Flächen wird vom Gesetzgeber ausdrücklich verlangt. Wenn nicht hier, wo dann?
Es ist lobenswert, dass die AWRM frühzeitig in die Informationsoffensive geht. Es ist aber zu befürchten, dass sich trotzdem Widerstand regt, da der gemeine (Wut-)Bürger derzeit bei jeglichem Thema gegen alles ist, falls er auch nur kleinste Beeinträchtigungen erfährt, siehe Windkraft. Insofern ist der Bammel der Verantwortlichen vielleicht doch berechtigt. Schade eigentlich.
m.nothstein@bkz.de