Schlechtes Zeugnis für die Murrbahn

Beim jüngsten Qualitätsranking des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg landen die von Go-Ahead betriebene Murrbahn und das Netz Gäu/Murr der Deutschen Bahn auf den hinteren Plätzen. Die Befürworter des zweispurigen Ausbaus sehen schnellen Handlungsbedarf.

Aktuell sind die Regionalzüge auf der Murrbahn, so wie hier bei Oppenweiler-Aichelbach, noch einspurig unterwegs. Foto: Alexander Becher

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Aktuell sind die Regionalzüge auf der Murrbahn, so wie hier bei Oppenweiler-Aichelbach, noch einspurig unterwegs. Foto: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Rems-Murr. Überraschend kommt die Nachricht nicht: Die Beförderungsleistungen von Go-Ahead und Deutscher Bahn, welche sich das Streckennetz zwischen Stuttgart und Crailsheim als Betreiber teilen, lassen vor allem bei der Zugpünktlichkeit schwer zu wünschen übrig. Das hat das jüngste Qualitätsranking des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg für das erste Halbjahr 2023 ergeben.

Zweimal jährlich lässt das Land die Performance des Nah- und Regionalverkehrs im Hinblick auf Aspekte wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Sauberkeit und Gesamtzufriedenheit überprüfen und fasst die Ergebnisse in einem Qualitätsranking zusammen. 32 Vertragsnetze werden dabei einander gegenübergestellt, darunter auch die Murrbahn von Go-Ahead (Netz 3A) und das Netz Gäu/Murr der Deutschen Bahn (Netz 3B). Go-Ahead betreibt in diesem Bereich die Linie RE90, die zwischen Stuttgart und Nürnberg verkehrt, die Deutsche Bahn ist für die Züge der Linien MEX19/90 zwischen Stuttgart und Crailsheim beziehungsweise Schwäbisch Hall-Hessental verantwortlich.

Das jüngste Abschneiden der beiden Netze ist ernüchternd: So waren dem Ranking zufolge im ersten Halbjahr 2023 nur rund 74 Prozent der Züge von Go-Ahead auf dieser Strecke pünktlich – noch unpünktlicher waren landesweit lediglich die Züge im E-Netz Karlsruhe. Im ersten Halbjahr 2021 hatte dieser Wert noch bei 91 Prozent gelegen, im vergangenen Jahr waren es immerhin 83,5 Prozent.

Netz landet im Bereich Pünktlichkeit und in der Gesamtwertung auf Rang 26

Der negative Trend ist auch bei der Deutschen Bahn im Netz Gäu/Murr erkennbar, wo man sich mit knapp 80 Prozent (gegenüber 89,6 Prozent im Jahr 2021 und 84 Prozent im vergangenen Jahr) ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert hat. Das Netz Gäu/Murr landet sowohl im Bereich Pünktlichkeit als auch in der Gesamtwertung auf Rang 26. Für die Murrbahn reicht es – trotz geringerer Pünktlichkeit – in der Gesamtwertung immerhin für Platz 23. Hintergrund dafür ist die Methodik, mit welcher die Bewertungen vorgenommen werden (siehe Infotext). In puncto Zuverlässigkeit und Zugkapazität erfüllten laut Ranking hingegen beide Betreiber weitgehend die vertraglichen Zielwerte.

Entscheidend für die Platzierungen ist freilich nicht allein die eigene Performance, sondern auch das Abschneiden anderer Strecken im Land, gegenüber dem die Netze 3A und 3B teils stark abfallen. Ursächlich dafür scheinen auch die Arbeiten für den Digitalen Knoten und die damit verbundenen Einschränkungen im Bahnverkehr gewesen zu sein. „Die kurzfristigen Sperrungen, welche sogar die Verkehrsunternehmen kalt erwischt haben, hatten sicher großen Einfluss auf das Ranking“, bestätigt der Bundestagsabgeordnete und bahnpolitische Sprecher der Grünen Matthias Gastel. Zwar seien die Netze mitunter in Beschaffenheit und Herausforderung schwer vergleichbar, jedoch stünden die Regionallinien, welche die Landeshauptstadt passierten, vor ähnlichen Herausforderungen. „Sie sind alle relativ lang und bei Regionallinien gilt in der Regel: Je länger, desto störanfälliger“, so Gastel. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn es sich wie bei weiten Teilen der Murrbahn um eine einspurige Strecke handle, auf der Nah-, Fern- und Güterverkehr abgestimmt werden müssen. Hat ein Zug auf einer einspurigen Trasse nämlich erst einmal Verspätung, gibt es kaum Möglichkeiten zur Korrektur. „Bei Eingleisigkeit ist Verspätung ansteckend“, so Gastel.

Baustellen bremsen den Betrieb

Auch Go-Ahead begründet das schwache Abschneiden mit den Auswirkungen der Bauarbeiten und den infrastrukturellen Hürden. Mit Kritik an der zuständigen DB Netz wird dabei nicht gespart. „In Bezug auf die Pünktlichkeit überraschen uns gerade für die Murrbahn die weiterhin schlechten Werte nicht“, erklärt eine Sprecherin des Unternehmens und bezeichnet die Pünktlichkeit als jenen Wert, an dem man die wenigsten eigenen Verbesserungsmöglichkeiten habe. „Die marode Infrastruktur mit täglichen Signal-, Weichen-, Stellwerks-, Oberleitungsstörungen und Langsamfahrstellen – auf der Murrbahn dieses Jahr sehr gravierend – machen einen zuverlässigen Betrieb oft unmöglich und die überlasteten Zulaufstrecken zum Hauptbahnhof Stuttgart bringen Verspätungen mit sich.“ Zudem seien die zahlreichen Baustellen auf der Murrbahn von der DB Netz oft sehr kurzfristig, teilweise außerhalb vereinbarter Fristen angekündigt worden, was zulasten der Planung gehe. Der 41 Kilometer lange eingleisige Streckenabschnitt von Backnang nach Schwäbisch Hall-Hessental und Überholungen durch den verspätungsanfälligen Fernverkehr der DB hätten außerdem zur Folge, dass sich kleine Verspätungen aufsummierten. „Selbstverständlich würden wir den schnellen Ausbau auf zwei Gleise sehr begrüßen“, so die Sprecherin.

Bei der Deutschen Bahn selbst gibt man sich angesichts der enttäuschenden Pünktlichkeitswerte zerknirscht, betont aber zugleich die Wichtigkeit der umgesetzten und noch anstehenden Baumaßnahmen: „Beispielsweise ging Ende Juni auf der Murrbahn das neue elektronische Stellwerk Fichtenberg in Betrieb. Durch das moderne Zugleitsystem können Weichen und Signale künftig in Sekundenschnelle gestellt werden. Zudem sind gleichzeitige Einfahrten der Züge aus Fornsbach und Gaildorf West nach Fichtenberg möglich“, so eine Sprecherin des Unternehmens.

Konkurrenz zwischen den Netzen

Matthias Gastel hält den zweispurigen Ausbau der Strecke dessen ungeachtet für unumgänglich. Dabei konkurriert die Murrbahn allerdings mit anderen Regionallinien. „Der finanzielle Aspekt sollte weniger einschneidend sein, aber Personal und Material sind nicht unbegrenzt verfügbar“, sagt der Bundestagsabgeordnete. Dennoch zeigt er sich optimistisch, dass durch das im Oktober beschlossene Genehmigungsbeschleunigungsgesetz, in welchem der Ausbau der Strecke zwischen Stuttgart und Nürnberg explizit vorgesehen ist, Schwung in die Sache kommt. Laut einem Gutachten der Interessengemeinschaft Schienenkorridor Stuttgart–Nürnberg wäre der seit vielen Jahren diskutierte und geforderte Streckenausbau zwischen den beiden Städten auch wirtschaftlich sinnvoll (wir berichteten).

Die Verbindung Stuttgart–Nürnberg beinhaltet allerdings nicht nur die Murr-, sondern auf alternativer Route auch die Remsbahn. Der Landtagsabgeordnete Ralf Nentwich, der sich für den zweispurigen Ausbau der Murrbahn einsetzt, betrachtet die Entwicklung daher mit gemischten Gefühlen: „Ich will keine alten Zwistigkeiten heraufbeschwören, aber meine Sorge ist, dass die Murrbahn dabei wieder hinten runterfällt.“ Eigentlich sei die Remsbahn im Regierungsentwurf bereits außen vor gewesen, nun durch das neue Gesetz jedoch „wieder hineingerutscht“, so Nentwich. Dabei sei die Murrbahn die kürzeste und mit Blick auf die Streckenarchitektur sinnvollste Verbindung von Stuttgart nach Nürnberg, weswegen sie dringend fernverkehrstauglicher werden müsse. Weil das Remstal allerdings eine höhere Bevölkerungsdichte aufweise, habe man in der Vergangenheit öfter das Nachsehen gehabt. „Jetzt ist aber einmal die Murrbahn an der Reihe“, fordert Nentwich.

Qualitätsranking des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg

Kriterien Die Qualität der Netze und Betreiber wird anhand der Aspekte Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit sowie Sauberkeit und Zugkapazität bewertet. Außerdem wird durch Fahrgastumfragen eines unabhängigen Meinungsforschungsinstituts ein Wert für die Gesamtzufriedenheit ermittelt.

Methodik Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Gesamtzufriedenheit werden mit jeweils 25 Prozent gewichtet, die Zugbildung und die Sauberkeit mit 15 Prozent beziehungsweise zehn Prozent. Daraus ergibt sich die Gesamtbewertung, für welche die Benotungen aus den Einzelkriterien ins Verhältnis zu den vertraglichen Zielwerten gesetzt werden.

Ergebnis Die Murrbahn (Netz 3A) von Go-Ahead verzeichnet folgende Ergebnisse:

Pünktlichkeit: 73,74%

Zuverlässigkeit: 98,61%

Zugkapazität: 98,76%

Sauberkeit: 90,85%

Gesamtzufriedenheit: 2,67

Gesamtwertung: 29,71

Platzierung: 23

Das Netz Gäu/Murr (Netz 3B) der Deutschen Bahn erzielte folgende Ergebnisse:

Pünktlichkeit: 79,99%

Zuverlässigkeit: 98,21%

Zugkapazität: 97,45%

Sauberkeit: 87,43%

Gesamtzufriedenheit: 2,5

Gesamtwertung: 25,87

Platzierung: 26

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Erstellt:
7. Dezember 2023, 06:00 Uhr

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