Schnecken haben es ihr angetan
Sammellust (13) Die Biologin Anette Rosenbauer hat über 10000 Schneckenhäuser vorwiegend einheimischer Arten zusammengetragen. Ihre Erkenntnisse gleicht sie mit den Veröffentlichungen eines Schneckenforschers ab, der vor über 120 Jahren in Backnang gelebt hat.
Von Annette Hohnerlein
Backnang. Anette Rosenbauer geht es nicht darum, möglichst dekorative oder ausgefallene Schneckenhäuser zu besitzen. Ihre Sammelleidenschaft basiert auf wissenschaftlichem Interesse. Deshalb findet man in ihrem Haus in Backnang auch keine Vitrinen oder Regale, in denen sie ihre Schätze zur Schau stellt. Diese ruhen vielmehr in einem speziellen Schrank mit Schubfächern aus Karton. Sämtliche Gehäuse, von der winzigsten Schnecke, die nur einen Millimeter groß ist, bis zum Riesenexemplar, das rund 30 Zentimeter misst, sind sorgsam geordnet und mit ihrer lateinischen Bezeichnung und dem Fundort beschriftet.
Von einigen Arten weiß Rosenbauer Interessantes zu erzählen. Etwa von der Stumpfschnecke, die nach dem Motto „Brauch ich nicht mehr, weg damit“ den oberen Teil ihres Gehäuses irgendwann abstößt. Oder von einer südalpinen Felsenschnecke, die die Biologin bei einem hiesigen Steinmetz gefunden hat und die wohl auf einem Rohstein den Weg von den Alpen in den Backnanger Raum zurückgelegt hat. Ein großes braunes, etwas löchriges Gehäuse stammt aus Kolumbien. „Das hat mir mein Sohn Jakob aus dem Amazonasschlamm mitgebracht“, sagt Rosenbauer und fügt hinzu: „Meine Kinder sind gut erzogen.“ Auch das größte Exemplar ihrer Sammlung stammt aus ihrer Familie. Ihr Großonkel, der zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg zur See fuhr, brachte aus der Karibik eine Große Fechterschnecke mit, groß wie ein Fußball und knapp zweieinhalb Kilo schwer.
„Das ist wie Ostereier suchen“
Bei aller wissenschaftlichen Sachkenntnis kommt aber bei Anette Rosenbauer der Spaß nicht zu kurz. „Es ist schön, einfach mal die Nase ins Gebüsch zu stecken und zu schauen, was man da so findet“, sagt sie. „Das ist wie Ostereier suchen.“ Ein paar heimische Arten hat sie in einem Schaukasten angeordnet und mit ihren teilweise originellen deutschen Namen beschriftet. Da gibt es die Gefleckte Schnirkelschnecke, den Steinpicker, die Weitmündige Glanzschnecke oder die Enggewundene Tellerschnecke. Kein Wunder, bei rund 360 Arten von Weichtieren, die in Deutschland vorkommen, müssen die Namensgeber kreativ sein. Rosenbauer ist es ein Anliegen, das Image der Schnecken und ihrer Artgenossen aus dem Tierstamm der Mollusken, wie die Weichtiere in der Fachsprache heißen, zu verbessern. Denn sie ist der Meinung: „Schnecken sind tolle Tiere.“ Sie findet ihre Sammelobjekte nicht nur hübsch anzuschauen, sondern auch biologisch sehr interessant. „Schnecken haben ausgeprägte Vorlieben. Sie sind auf spezielle Biotope festgelegt. Wenn man irgendwo nur leere Häuschen und keine lebenden Schnecken findet, dann sagt das viel über die Geschichte des Biotops aus.“
„Wir sollten eine Tiergruppe sammeln. Ich wollte keine Tiere töten, da kam ich auf Schneckenhäuser“
Ein weiterer Vorteil: Man kann das ganze Jahr über forschen, weil Weichtiere nicht im Winter verschwinden wie Insekten oder Winterschläfer. Im Übrigen nehmen sie nach den Insekten den zweiten Platz unter den artenreichsten Gruppen im Tierreich ein und leben schon seit über 500 Millionen Jahren auf der Erde. Man sollte sie also nicht als eklige Schleimer oder lästiges Ungeziefer sehen, meint Rosenbauer. Allerdings weiß sie auch kein Patentrezept für genervte Hobbygärtner, denen die Nacktschnecken Nacht für Nacht den Salat wegfressen.
Die Biologin arbeitet im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart und betreut dort die Pflanzensammlung, das Herbarium. Schon während ihrer Studentenzeit begann sie, Schneckenhäuser zu sammeln. „Die Aufgabe war, eine Tiergruppe zu sammeln. Ich wollte keine Tiere töten, deshalb kam ich auf Schneckenhäuser“, erklärt sie. Damit war der Grundstein für die Sammlung gelegt, die inzwischen über 10000 Exemplare umfasst, verteilt auf über 1300 Arten. Rosenbauer ist gut vernetzt in der Szene, die sich mit Schnecken zu Land und zu Wasser und auch mit anderen Weichtieren wie Muscheln beschäftigt.
Auch im Urlaub ist sie immer aufder Suche nach weiteren Exemplaren
Sie geht jedes Jahr im Herbst mit Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Mollusken Baden-Württemberg auf Exkursion. „Da findet man tolle Sachen, und man kann dabei auch auf unbekannte Arten stoßen. Wir sind da gerade was auf der Spur“, verrät die Expertin. Und auch im Urlaub ist sie immer auf der Suche nach weiteren Exemplaren. „Das Urlaubsziel sollte biologisch interessant sein“, findet sie. Ihr Ehemann Stefan ist Agrarbiologe und mit ihr einer Meinung, dass ein Trip in die Natur einer Städtereise vorzuziehen ist. Und so wird auch in den Ferien Erde gesiebt und der Schlamm aus Flüssen und Bächen untersucht. „Ein Sieb und eine Pinzette habe ich immer dabei“, versichert die Wissenschaftlerin.
Im Rahmen ihrer Forschungen zu einheimischen Schnecken und Muscheln stieß Rosenbauer auf den Lehrer und Schneckenforscher David Geyer, der von 1895 bis 1899 in Backnang lebte und an der Mittelschule im Turmschulhaus unterrichtete. In einem seiner Bücher zum Thema Mollusken geht er auch auf die Fauna im Raum Backnang ein. Dabei beklagt er sich in drastischen Worten über die Verschmutzung der Murr: „Das Wasser ist von Fäulnisstoffen, Giften und Laugen geschwängert.“ Geyers Veröffentlichungen dienen Rosenbauer als Datengrundlage für ihre eigenen Forschungen. Sie gleicht ihre Funde mit denen des Naturkundlers ab.
Am Ende ihrer Ausführungen präsentiert Anette Rosenbauer noch ein lebendiges Exemplar aus ihrer bevorzugten Tiergruppe, einen jungen Tigerschnegel, der es sich in ihrer Regentonne gemütlich gemacht hat. Und sie hat schließlich doch noch einen Tipp für geplagte Gärtner: „Brauner Salat ist weniger gefährdet. Den mögen die Schnecken weniger als helle Sorten.“