Anwohner fordern mehr Sicherheit für den Weissacher Teilort Bruch

Nach dem Starkregen in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni steht das Erdgeschoss des Ehepaars Müller in Bruch unter Wasser. Schon seit 20 Jahren setzen sich die beiden dafür ein, dass die Gemeinde etwas unternimmt, um den Weissacher Ortsteil besser zu schützen – bisher erfolglos.

In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni wird das Erdgeschoss der Familie Müller überflutet.

In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni wird das Erdgeschoss der Familie Müller überflutet.

Von Melanie Maier

Weissach im Tal. Als Doris Müller am Sonntag, 2. Juni, kurz vor 22 Uhr aus dem Fenster schaut, steht das Wasser schon kniehoch. „Das Wasser kommt, das Wasser kommt!“, ruft die 72-Jährige mit Panik in der Stimme. Sofort sind die Erinnerungen da an die Überflutung, die nun schon mehr als 20 Jahre zurückliegt. 2002 stieg das Wasser im Keller bis auf 1,70 Meter an. Der Gesamtschaden belief sich auf mehr als 40000 Euro. Auf einem großen Teil davon blieb das Ehepaar Müller sitzen. An diesem Abend wird das Wasser am tiefsten Punkt der Straße Im Wiesengrund im Weissacher Ortsteil Bruch noch höher steigen.

95 Zentimeter hoch steht es außen, wie man knapp drei Wochen später noch immer deutlich sehen kann. Die weiße Hauswand ist unten, wo das verschmutzte Wasser stand, hellbraun. Am späten Abend des 2. Juni werden Doris Müller und ihr Mann Hans zwar sofort aktiv. Sie schützen ihre Haustür mit einer sogenannten Spundwand und mit Sandsäcken. Doch es hilft nichts: Bis über die Fenster steigt der Pegel in der Nacht, Wasser schwappt ins Haus. Das gesamte Erdgeschoss samt Badezimmer, Heizraum und Fahrradabstellkammer, aber auch den Keller, die Garage und den Schuppen hinterm Haus – alles nehmen die Fluten ein. „Die Fische sind aus dem Teich des Nachbarn weggespült worden“, berichtet Hans Müller (74). „Und als wir am nächsten Tag ums Haus rum sind, ist unser Mostfass herumgeschwommen – es hat schon bös ausgesehen.“ Auch das Haus gegenüber ist betroffen, darin wohnt eine 93-jährige Frau.

Bis in die frühen Morgenstunden helfen sowohl die Einsatzkräfte als auch die Kinder und Enkel des Ehepaars.

Noch in der Nacht rückt die Weissacher Feuerwehr an, um die überfluteten Räume auszupumpen. Doch damit die Rettungskräfte überhaupt ins Haus kommen können, muss Hans Müller zuerst die Tür von innen aufflexen. „Wir waren eingesperrt von den Wassermassen“, sagt Doris Müller. Bis in die frühen Morgenstunden helfen sowohl die Einsatzkräfte als auch die Kinder und Enkel des Ehepaars. Bürgermeister Daniel Bogner legt ebenfalls eine Nachtschicht ein, am nächsten Tag helfen Bauhofmitarbeiter, Bekannte und Familienmitglieder beim Aufräumen. „Ohne sie hätten wir das nicht geschafft“, betont Doris Müller. „Es hat ewig gedauert, bis wir den Dreck wieder rausgekriegt haben“, fügt ihr Mann hinzu. Immerhin: Nach der Überschwemmung durch den Bubwiesenbach 2002 haben die beiden das gesamte Erdgeschoss gefliest. Nun lassen sich die Böden leichter reinigen.

Doris und Hans Müller fühlen sich von der Gemeindeverwaltung alleingelassen. Ihre vom Wasser zerstörten Habseligkeiten stehen schon seit fast drei Wochen vor ihrer Garage zur Abholung bereit. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Doris und Hans Müller fühlen sich von der Gemeindeverwaltung alleingelassen. Ihre vom Wasser zerstörten Habseligkeiten stehen schon seit fast drei Wochen vor ihrer Garage zur Abholung bereit. Foto: Alexander Becher

Gleichwohl hat das Wasser viel zerstört. Am Straßenrand vor der Garage stapeln sich nun die kaputten Habseligkeiten der Müllers. „Eigentlich“, sagt Doris Müller, „hätten die Sachen schon am 7. Juni abgeholt werden sollen.“ Als sie bei der Gemeindeverwaltung anruft, wird ihr zugesagt, dass ein Container kommen wird. Doch der lässt auf sich warten. Am 12. Juni hakt Doris Müller nach. „Da hieß es, alle Container seien in Rudersberg.“ Die Abfallwirtschaft Rems-Murr sei zu dem Zeitpunkt sehr ausgelastet gewesen, erklärt Daniel Bogner: „Alle Container waren im Wieslauftal oder im Remstal im Einsatz.“ Mittlerweile wurde den Müllers zwar gesagt, sie sollen beim Landratsamt ein Sperrmüllauto bestellen (das Beladen eines Containers hätte das Ehepaar alleine ohnehin nicht geschafft). Die Kosten dafür werde die Verwaltung übernehmen. Doris und Hans Müller fühlen sich dennoch von der Gemeinde alleingelassen. „Es ist ein Unding, dass wir uns nun auch noch selbst darum kümmern sollen“, findet Hans Müller.

Doch das sei nur das kleinste Problem. „Schon seit 20 Jahren kämpfen wir darum, dass etwas getan wird, um Bruch vor Starkregen und Hochwasser zu schützen“, so der 74-Jährige. Bislang sei es jedoch ein Kampf gegen Windmühlen. „Wir haben halt das Pech, dass wir an der tiefsten Stelle von Bruch wohnen. Oft trifft es eben nur uns und unsere Nachbarin“, weiß Hans Müller.

Bei einer entsprechenden Wettervorhersage traut sich das Ehepaar schon lange nicht mehr, wegzufahren.

Immer wieder seien aber auch andere Bewohner betroffen, fügt sein Bekannter Helmut Wolff an, der nur wenige Straßen entfernt wohnt. „Vor ein paar Jahren ist der Langwiesenbach über die Ufer getreten und hat die Grundstücke In der Au 7 und 9 überflutet.“ Neben den Bächen sei aber auch das Wasser eine Gefahr, das bei Starkregen von den Hängen um Bruch, vom Kallenberg und Lutzenberg herunterkomme.

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Vor einigen Jahren sei eine Retentionsfläche geplant gewesen, sagt Helmut Wolff und legt eine Ausarbeitung des Ingenieurbüros Seiter aus Berglen vor sich auf den Tisch. 2017 hatte der Gemeinderat unter dem damaligen Bürgermeister Ian Schölzel beschlossen, die Böschung zu sichern, den Bubwiesenbach mit Ein- und Auslaufbauwerken umzubauen sowie ein Durchlaufbecken in den Frühmeßwiesen zu schaffen. Weiter wurde überlegt, die Verdolung im Wiesengrund zu öffnen und den Bach freizulegen. Darüber war allerdings noch nicht abschließend entschieden worden.

Passiert ist seither aber nichts – weder in der einen noch in der anderen Sache. Die einzige Maßnahme, die ergriffen wurde, war 2010 die Erneuerung der Rechen im Bubwiesenbach – acht Jahre nach der Überflutung 2002. Regelmäßig gereinigt würden die Rechen von der Gemeinde aber nicht, sagt Hans Müller. Sobald es stärker regnet, macht er sich deshalb auf den Weg, um die Gitter von Ästen und Unrat zu befreien. „Sonst hätten wir das Wasser jedes Mal bei uns stehen“, sagt Doris Müller. Bei einer entsprechenden Wettervorhersage traut sich das Ehepaar schon lange nicht mehr, wegzufahren. „Das ist schon eine immense psychische Belastung“, sagt Doris Müller. Sie und ihr Mann wünschen sich, dass die Gemeinde sich um die Sicherheit von Bruch bei Hochwasser und Starkregen kümmert. „Alle anderen Ortsteile sind ordentlich geschützt, nur Bruch nicht“, stimmt Helmut Wolff den beiden zu.

Bei Regen stauen sich Äste und Wasser am Gitter im Bubwiesenbach. Fotos: privat

Bei Regen stauen sich Äste und Wasser am Gitter im Bubwiesenbach. Fotos: privat

Rathauschef Daniel Bogner bestätigt, dass die Gemeinde sich im Idealfall beider Baustellen – Hochwasser und Starkregen – annehmen möchte. Langfristig sei vor Bruch die Schaffung eines Hochwasserrückhaltebeckens geplant – sofern die Untere Wasserbehörde mitgehe. „Das Ziel des Zweckverbands Hochwasserschutz lautet, das ganze Tal HQ-100-sicher zu machen“, sagt er. Wo genau das Rückhaltebecken entstehen und wie groß es werden soll, das stehe allerdings noch nicht fest.

Ein solches Becken würde bei den Problemen des Ehepaars Müller aber nur bedingt Abhilfe schaffen, stellt Daniel Bogner klar: „Ihr Problem ist der Starkregen, der den Bubwiesenbach über die Ufer treten lässt.“ Daher gebe es nach wie vor die Überlegung, einen größeren Einlaufbereich vor Bruch zu schaffen – eine Fortführung der Pläne, die der Gemeinderat bereits 2017 beschlossen hat. Dafür wäre allerdings ein größerer Grunderwerb nötig, sagt Daniel Bogner. Und eine Förderung: Er schätzt die Kosten für das Projekt auf 300.000 Euro zuzüglich Ingenieurskosten. Eine Starkregengefahrenkarte haben die Zweckverbandkommunen Weissach im Tal, Althütte und Allmersbach im Tal 2022 in Auftrag gegeben. Ende des Jahres soll sie fertig sein. „Sie ist die Voraussetzung, um Förderanträge stellen zu können“, erklärt Daniel Bogner.

Ein weiterer Ansatz wäre, die Kanalverdolung in Bruch, die in die 1960er- oder 1970er-Jahren zurückreicht, rückgängig zu machen. Denn auch die Verdolung bereite bei Starkregen Probleme, so Daniel Bogner. Er persönlich würde in Bruch gerne die entsprechenden Maßnahmen umsetzen, sagt er, „auch wenn es sich nur um eine relative Einzelmaßnahme handelt, da es vor allem die Straße Im Wiesengrund betrifft“. Das alles müsse jedoch zunächst mit dem neuen Gemeinderat besprochen werden.

Dem Ehepaar Müller bleibt somit wieder einmal nur übrig, darauf zu warten, dass die Gemeinde aktiv wird. „Wir wünschen uns, dass wir nicht mehr jahrelang vertröstet werden“, sagt Doris Müller. „Noch einmal können wir so etwas nicht verkraften.“

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Erstellt:
21. Juni 2024, 06:00 Uhr

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