SMA in den Lerchenäckern: Vom Sorgenkind zum Vorzeigeunternehmen

Ein Investor ermöglicht SMA einen Quantensprung bei der Fertigung und bietet dem Metalltechnikbetrieb in den Lerchenäckern trotz der aktuellen Insolvenz eine sichere Zukunft. 70 Hochleistungsroboter produzieren Kühlleitungen. Die Zahl der Mitarbeiter steigt auf 360.

Ingo Wertek ist jeden Tag in der Fertigung und spricht mit den Mitarbeitern auf Augenhöhe. Foto: Alexander Becher

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Ingo Wertek ist jeden Tag in der Fertigung und spricht mit den Mitarbeitern auf Augenhöhe. Foto: Alexander Becher

Von Matthias Nothstein

Aspach/Backnang. Eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte spielt sich aktuell in den Lerchenäckern ab. Das Unternehmen SMA ist auf dem Papier insolvent und damit eigentlich ein Sorgenkind im interkommunalen Industrie- und Gewerbegebiet von Aspach und Backnang. Doch das Gegenteil ist der Fall: In den vergangenen Monaten hat ein Automobilunternehmen massiv in die Firma investiert. Etwa 70 vollautomatische Roboter wurden neu angeschafft und bis jetzt schon 34 höher qualifizierte Mitarbeiter neu eingestellt. Um welchen finanzkräftigen Investor genau es sich handelt, möchte Ingo Wertek in der Zeitung nicht lesen. Nur so viel gibt der Betriebswirt zu erkennen, der aktuell zeitgleich die rechte Hand des Insolvenzverwalters und der Geschäftsführer von SMA ist: „Es handelt sich um einen Premiumhersteller aus dem Süden Deutschlands.“

Um die Entwicklung verstehen zu können, braucht es einen kleinen Blick zurück in die Vergangenheit. SMA zählte lange Zeit mit 600 Mitarbeitern zu den größten Arbeitgebern in Backnang. Vor 20 Jahren war es der erste größere Betrieb, der sich in den Lerchenäckern niedergelassen hatte. Zuletzt aber ging es mit dem Zulieferer der Automobilindustrie immer mehr bergab. Rund 300 Stellen wurden am Stammsitz gestrichen. Im Oktober 2022 wurde ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Einen Monat später übernahm der Insolvenzverwalter Holger Leichtle von der Wirtschaftskanzlei Görg aus Stuttgart vollends die Regie und zum Jahresende 2022 war SMA endgültig insolvent.

Nun, 14 Monate später, kann man dem Unternehmen attestieren: Der radikale Neuanfang ist geglückt. Seit März vergangenen Jahres ist Ingo Wertek an Bord und hat das Ruder seit November 2023 in der Hand. Der Chief Executive Officer (CEO) unterstützt seit zehn Jahren Firmen in Krisensituationen und leistet als Berater für Investitionsmanagement Beachtliches. Der Finanzvorstand erklärt: „Seit wir an Bord sind, haben wir für einen großen Automobilkonzern ein Konzept entwickelt, wie wir diesen Standort in Backnang nachhaltig und ertragreich in die Zukunft bringen.“ Das Ziel ist es, den Betrieb so gesund aufzustellen, dass er interessant ist für einen künftigen Investor.

Ein sicherer Baustein in einer zukunftsträchtigen Branche

Herzstück der Sanierung sind verkettete Automatisierungslinien. Dabei handelt es sich um 70 Hochleistungsroboter der neuesten Generation, die in Höchstgeschwindigkeit Kühlstränge für Kraftfahrzeuge produzieren. Benötigt werden diese Kühlleitungen für die Akkus von Elektrofahrzeugen – also durchaus ein Baustein innerhalb einer zukunftsträchtigen Branche. Sollte der Verbrennermotor in naher Zukunft vor dem Ende stehen, so wäre SMA mit der aktuellen Produktlinie auf der sicheren Seite.

Die Hightech-Roboter verpressen, biegen, prüfen, etikettieren und verpacken die Bauteile in Sekundenschnelle. Allein die neuen Roboter haben eine Kapazität, dass sie 2,8 Millionen Leitungen pro Jahr produzieren können. Alle 36 Sekunden ist eine Einheit hergestellt. Wertek: „Wir könnten im Drei-Schicht-Betrieb 4000 Autos pro Woche mit Kälteleitungen versorgen.“ Aktuell wird jedoch erst in zwei Schichten an sechs Tagen pro Woche geschafft.

Dieses Automatisierungskonzept der Produktionsanlagen wurde innerhalb weniger Monate geplant und inzwischen zu 95 Prozent umgesetzt. Damit dies gelang, musste Wertek erst einmal im laufenden Betrieb in der riesigen SMA-Halle Platz schaffen. Etliche Kundenaufträge wurden vorproduziert und dann ältere Modelle der bisherigen CNC-gesteuerten Metallverarbeitungsmaschinen ausgebaut. Die Aufträge und die Maschinen wurden in die Standorte in Südafrika und Rumänien verlagert. Bis Juni dieses Jahres soll die neue Automatisierungskette voll aufgebaut sein.

Stammpersonal erhalten und Fremdpersonal abgebaut

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Der Interimsgeschäftsführer macht keinen Hehl daraus, dass im Zuge der Insolvenz die Verträge von 133 Leiharbeitern ausgelaufen sind und nicht verlängert wurden. Gleichzeitig betonte er jedoch, dass dafür 34 neue Mitarbeiter fest eingestellt wurden und so die Zahl der fest angestellten Beschäftigten auf 360 gestiegen ist. „Wir haben das Stammpersonal erhalten und Fremdpersonal abgebaut“, formuliert es Wertek. Angesichts des Fachkräftemangels ist es eigentlich schwierig bis unmöglich, gut qualifizierte Mitarbeiter zu finden, zumal wenn der Betrieb ein Insolvenzverfahren durchläuft. SMA ist dies jedoch gelungen, unter anderem dadurch, dass seitherige Mitarbeiter geschult und fortgebildet wurden. Wertek betitelt die frühere Produktionsstätte gerne als Manufaktur. Obwohl die Produktionsabläufe dort überhaupt nicht mithalten können mit der hochmodernen Automatisierungskette, bleibt dieser alte Teil noch erhalten. Hier werden kleinere Kundenaufträge abgearbeitet. So gibt es viele Hersteller, die keine großen Mengen in Auftrag geben, die aber ebenso zum Gesamtumsatz von SMA beitragen. Dank dieser Manufaktur können jährlich insgesamt sogar vier Millionen Bauteile ausgeliefert werden. Und der SMA-Gesamtumsatz liegt in der Größenordnung von über 100 Millionen Euro.

SMA sollte oder müsste sogar weiter investieren und erweitern, „wir platzen aus allen Nähten“, erklärt Wertek. Doch in einem Insolvenzverfahren ist es nicht üblich, Geld auszugeben und zu erweitern. Insofern ist er ohnehin mehr als dankbar, dass er den Premiumhersteller für die aktuelle Investition begeistern konnte. Und er kündigt an: „Wenn ein Interessent die Firma kauft und mit dem Kunden einig wird, dann steht einem weiteren Ausbau nichts im Wege.“

Von der SMA-Führungsmannschaft, von wichtigen Kunden und vom Insolvenzverwalter hat Wertek die Rückmeldung erhalten, dass es gut läuft mit dem Unternehmen. Und Wertek selbst beschreibt es so: „Wir konnten die Angst und Unsicherheit, die immer bei einer Insolvenz vorhanden sind, in Energie und eigene Kraft ummünzen.“ Er weiß, es handelt sich bei der vollautomatischen Produktionslinie um ein Vorzeigeprojekt, das Hoffnung macht. „Wir haben eine völlig neu ausgerichtete SMA. Sie hat sich innerhalb kürzester Zeit von einer Manufaktur zu einem Hightech-Unternehmen gewandelt.“

Kleiner Führungsstab arbeitet hoch motiviert auf Augenhöhe zusammen

Möglich wurde dies unter anderem durch einen völlig anderen Führungsstil. War dieser früher sehr hierarchisch ausgelegt, so hat Wertek in kürzester Zeit aus dem Mitarbeiterpool einen kleinen Führungsstab aus erfahrenen und hoch motivierten Mitarbeitern gebildet, die auf Augenhöhe gemeinsam das Beste für den Betrieb zu machen versuchen. Der Geschäftsführer sagt: „Ich bin jeden Tag in der Produktion. Obwohl ich kaufmännisch tätig bin, möchte ich auch wissen, was meine Mitarbeiter in der Fertigung beschäftigt.“ Diesen Führungsstil hat Wertek sein ganzes Leben praktiziert und damit gute Erfahrungen gemacht, „weil sich die Menschen dann im Gespräch vertrauensvoll öffnen können“. Er weiß, dass eine Insolvenz oft mit der Schließung eines Betriebs verbunden ist, und er betont im Fall von SMA unmissverständlich: „Das ist bei uns in keinster Weise der Fall. Wir konnten alle – Gläubiger, Kunden, Mitarbeiter – von unserem Weg überzeugen.“

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Erstellt:
7. März 2024, 06:00 Uhr

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