So steht es um KI an Backnanger Schulen
Schlaue Systeme (11) Der Einsatz intelligenter Tools im Schulalltag wird essenzieller Bestandteil moderner Bildung werden. Individualisierte Lernpfade ermöglichen es, Lernen effizienter zu gestalten. Die Lehrer in Backnang erkennen zwar das Potenzial, an der Umsetzung hapert es aber vielfach noch.
Von Nicola Scharpf
Backnang. Beispiele, wie Lehrer KI-basierte Anwendungen für ihren Beruf nutzen können, gibt es viele: In der Unterrichtsvorbereitung kann sich der Lehrer Bilder erzeugen lassen, um einen gelungenen Unterrichtseinstieg in neuen Lernstoff zu bekommen. Er kann mit Text-to-Speech-Tools Texte so vertonen lassen, dass die Stimme von einem echten Sprecher nicht mehr zu unterscheiden ist. Er kann einen drögen Text aus dem Geschichtsbuch in einen Dialog zwischen zwei Zeitzeugen verwandeln. KI kann beim Korrigieren unterstützen, indem sie die Rechtschreibfehler im Vokabeltest findet. Und, und, und. Friedemann Ilg sagt, die Anwendung künstlicher Intelligenz in der Schule habe „enormes Potenzial“ und „riesige Möglichkeiten“. Der Lehrer für Englisch und Technik an einer Fellbacher Realschule ist zugleich medienpädagogischer Berater am Kreismedienzentrum und bemerkt: „Die Lehrer nehmen wahr, dass das eine Revolution ist.“
KI wird das Lernen, wird Schule, Bildung, Wissensvermittlung fundamental umwälzen – beziehungsweise sie ist schon dabei. Den großen Nutzen sieht Ilg darin: „KI nimmt mir Arbeit ab, sodass ich meine Arbeit als Lehrer verbessern kann. Meine große Hoffnung ist, dass ich Zeit für viele wichtige andere Dinge gewinne. Die menschliche Komponente wird immer wichtig sein.“ Wenn ein intelligentes Tool binnen zwei Sekunden einen komplexen Text vereinfachen kann, bringt das dem Lehrer eine Zeitersparnis. Die kann er nutzen, zum Beispiel um seinen Schülern ausführliche, individuelle Beurteilungen zu schreiben.
Wenn KI dazu beiträgt, den Unterricht interessanter zu gestalten, bringt das dem Lehrer motiviertere Schüler und weniger Unterrichtsstörungen. Noch nicht in der Anwendung, aber verschiedentlich in der Probephase sind intelligente Tutorsysteme. „Das ist wie ein Privatlehrer für jeden einzelnen Schüler“, erklärt Ilg und führt aus: Der Schüler löst eine Aufgabe, die KI guckt sich das Ergebnis an, gibt sofort eine Erklärung oder Rückmeldung und führt den Schüler zur richtigen Antwort. Jedes Kind bekommt durch den Computer ein Feedback. Das System führt Schülerantworten zusammen, sodass Lehrer erkennen können, wie sich das einzelne Kind und die Klasse entwickelt.
Ein großer Zeitaufwand, um damit warm zu werden
Das Potenzial von KI beim Lehren und Lernen kann oder darf allerdings (noch) nicht ausgeschöpft werden. „Dieser Bereich entwickelt sich so unglaublich schnell, dass man kaum hinterherkommt“, sagt Ilg. „Da muss man affin sein.“ Er registriert zwar sehr viele sehr interessierte Lehrkräfte. Aber es ist ein immenser Zeitaufwand, sich ins weite Feld KI-basierter Tools einzufuchsen – zumal die Usability vieler Tools „teilweise noch etwas zäh“, also nicht nutzerfreundlich sei. Laut Ilg gibt es ausreichend und fachspezifisch Fortbildungsmaterial und -möglichkeiten durch das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, die Schulbuchverlage, das Kreismedienzentrum und andere Institutionen. Dass manche Kollegen die Anwendung von KI dennoch lassen, verübelt Ilg ihnen nicht. „Das ist ein Stück weit vom System her. Wir haben im Bildungssystem gerade ganz andere, grundlegende Probleme.“
Beispiel: Lehrermangel, ausfallende Unterrichtsstunden, das Unterrichten von Schülern mit rudimentären Deutsch- oder Englischkenntnissen in Regelklassen. „Ein intelligentes Tutorsystem, mit dem ein geflüchtetes Kind Deutsch lernen könnte, während der Rest der Klasse Unterricht im regulären Fach bekommt, könnte helfen, wenn ich Tools hätte, die ich verwenden darf. Gäbe es solche Tools, wäre die Anwendung wegen des Datenschutzes nicht erlaubt.“ Datenschutz ist für Ilg ein hohes Gut. Viele Schüler, Eltern und Lehrkräfte lassen dabei allerdings aus Bequemlichkeit alle Fünfe gerade sein. „In der Schule dürfen wir das verständlicherweise nicht tun und sind auf rechtssichere Lösungen angewiesen.“ Froh ist er daher, dass das Kultusministerium einen datenschutzkonformen Zugang zu ChatGPT in Aussicht gestellt hat. „Das tut not.“
Ein eigenes Unterrichtsfach für KI
Vonnöten wäre nicht nur aus Ilgs Sicht außerdem, dass das Lernen mit KI – also die Anwendung von Tools – sowie das Lernen über KI – also die Medienbildung – in einem eigenen Unterrichtsfach verankert wird. Auch Tobias Wenninger, Geschäftsführer des Backnanger Bildungscampus mit seinen nicht akademischen Fernlehreinstituten Delst und Academy of Sports sowie der privaten Fernhochschule Ehip, sieht es als Problem, dass es beim KI-basierten Lernen um Themen geht, die nicht in einem Schulfach aufgegriffen werden, deren Vermittlung also weitgehend den Eltern obliegt. Insofern unterstütze KI die Bildungsungerechtigkeit, so der dreifache Vater, der privat wie auch beruflich KI rege nutzt.
Doch Wenninger und sein Team wollen zur Chancengerechtigkeit beitragen. Sie sind daran, ein neues System mit einem Online-Campus zu erstellen. Darin soll das Basislehrmaterial in einem Editor hinterlegt werden und sich auf verschiedene Weisen transformieren lassen – zum Beispiel in eine Fremdsprache oder in vereinfachtes Sprachniveau. Auch beim First-Level-Support in der Lehre ist vorgesehen, dass bald die KI antwortet. Beispiel: Ein Student lernt nachts, hat eine Frage, stellt sie im Kursbereich ein und bekommt darauf eine vorläufige Antwort der KI, die der Professor dann nochmals verifiziert.
In Wenningers Bildungsunternehmen beschäftigt man sich aus unterschiedlichen Perspektiven täglich mit KI-gestützten Tools: In der Administration werden sie eingesetzt, um Marketingkonzepte zu erarbeiten, Mailings zu erstellen, Lehrmaterialpläne auf Redundanzen zu überprüfen oder als Sparringspartner bei der Erarbeitung unterschiedlichster Themen. In der Lehre gehört es zum Bildungsauftrag, die Teilnehmenden und Studierenden optimal auf die verantwortungsvolle Nutzung dieser Technologien vorzubereiten– zum Beispiel bekämen die Studierenden im Herzlich-Willkommen-Modul ein Coaching zur Anwendung KI-gestützter Tools, so Wenninger. Auch die Dozenten würden intern geschult. „Es braucht die Schulung der Lehrenden. Sie brauchen Input, wie sie Tools füttern.“
In der dritten Perspektive geht es um Prüfungssituationen. Dass Schüler oder Studenten ganze Seminararbeiten von ChatGPT schreiben lassen können, ist nicht das Problem der KI, sondern der Art und Weise, wie Lehre gestaltet wird. „Projektarbeiten und Hausarbeiten werden so nicht weiterexistieren“, ist Wenninger überzeugt. „Viele rudern zurück und setzen auf mündliche Prüfungen und Präsenzprüfungen.“ Sie würden den einfachen Weg gehen und den Einsatz von KI-Tools bei Prüfungen verbieten. „Besser wäre zu fragen: Wie implementiere ich es?“ Bei Online-Prüfungssituationen, sollte die Verwendung von KI-Tools untersagt sein, gelte es außerdem, einen entsprechenden Einsatz zu erkennen. „Wir müssen daher immer versuchen, unseren Studierenden technisch einen kleinen Schritt voraus sein.“ Es gibt KI-Detektoren, die einen generierten Text darauf analysieren können. Andererseits gibt es Tools, die einen Text humanisieren – sozusagen verschleiern – können. „Es ist wie ein Katz- und Maus-Spiel.“
Über allem steht: Die kritische Reflexion nicht vergessen. „Eine schnelle, radikale Akzeptanz ist eine große Gefahr“, findet Melanie Straub, neue Geschäftsführerin am Bildungscampus. Sie animiert Lehrende und Lernende, die Ergebnisse der KI kritisch zu beäugen – ohne deren Mehrwert kaputt zu machen. „Bleibt kritisch, denkt selbst. Man kann durch KI total viel lernen.“