Inklusion in Baden-Württemberg

SPD macht Grün-Schwarz wegen Inklusion heftige Vorwürfe

Nur 9000 von 64 000 Kinder mit besonderen Förderbedarf besuchen im Land eine Regelschule. Die SPD wirft Schwarz-Grün deshalb eine Rolle rückwärts vor.

33 Prozent der Grundschulen  unterrichten Kinder mit Förderbedarf inklusiv.

© dpa/Holger Hollemann

33 Prozent der Grundschulen unterrichten Kinder mit Förderbedarf inklusiv.

Von Bärbel Krauß

Nur 9000 von insgesamt 64 000 Schülerinnen und Schüler mit Anspruch auf sonderpädagogische Förderung besuchen in Baden-Württemberg eine Regelschule. Das hat die Anfrage der SPD-Landtagsfraktion an die Landesregierung ergeben, die unserer Redaktion vorliegt. Die übergroße Mehrheit von 55 000 Kindern und Jugendlichen besucht ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ), wie die Förderschulen im Land offiziell heißen. Das ist ein Anteil von 86 Prozent.

Zwar ist der Anteil der Kinder mit besonderem Förderbedarf, die eine Regelschule besuchen, laut Kultusministerium in den vergangenen neun Jahren um 41 Prozent gestiegen. Aus Sicht der SPD ist die Entwicklung dennoch ungenügend: Lediglich 14 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen besuchen eine Regelschule. „Inklusion ist ein Grundrecht, aber in Baden-Württemberg wird es nicht gewährleistet“, erklärt Katrin Steinhülb-Joos, die schulpolitische Sprecherin der SPD dazu. Zwar sei Inklusion für viele Schulen mittlerweile selbstverständlich geworden. „Doch die Zahlen zeigen, dass zu viele Schulen immer noch nicht inklusiv unterrichten.“

SPD-Bildungsexpertin fordert Ausbau der Sonderpädagogik-Studienplätze

Aus den Statistiken des Kultusministeriums geht hervor, dass 33 Prozent der Grundschulen inzwischen Kinder mit Förderbedarf inklusiv unterrichten. 2015 waren es 31 Prozent. In den Haupt- und Werkrealschulen hat sich der Anteil im gleichen Zeitraum auf sechzig Prozent verdoppelt. Auch der Anteil der Realschulen mit inklusivem Unterricht hat sich bei einem Anteil von aktuell dreißig Prozent verdoppelt. In den Gymnasien liegt der Anteil bei 13 Prozent – nach drei Prozent im Jahr 2015. Am höchsten ist die Inklusionsquote mit 82 Prozent bei den Gemeinschaftsschulen (2015: 72 Prozent). Für diese Schulart zählt Inklusion seit jeher zu den konstitutiven pädagogischen Grundelementen.

Dass die Inklusion von Kindern mit Behinderung an allgemeinbildenden Schulen nicht schneller vorankommt, hat nach Einschätzung der SPD-Bildungsexpertin oft mit fehlendem Personal und fehlender räumlicher Ausstattung zu tun. „Wir machen gerade eine Rolle rückwärts. Ein Interesse, daran etwas zu ändern, hat Grün-Schwarz aber leider nicht“, moniert sie an die Adresse von Kultusministerin Theresa Schopper gewandt. „Dass Inklusion in den angekündigten Bildungsreformen der grün-schwarzen Landesregierung überhaupt keine Rolle spielt, macht angesichts des großen Nachholbedarfs im Land fassungslos.“ Sie fordert unter anderem einen Ausbau der Sonderpädagogik-Studienplätze, eine sichere Finanzierung für Schulbegleiter und Inklusionsentwicklungspläne für alle Schulen.

Das Kultusministerium weist den Vorwurf der Untätigkeit zurück. Seit der Schulgesetzänderung zur Umsetzung der Inklusion im Südwesten sei die Zahl der Sonderpädagogik-Studienplätze von 320 auf mittlerweile 695 erhöht und Physiotherapeuten, Heilerziehern und ähnlichen Berufen die Möglichkeiten zum Direkteinstieg in ein entsprechendes Lehramt ermöglicht worden. Mit der Schaffung eines Inklusionsbudgets bei den Schulämtern gebe es zudem ein Instrument, um die inklusive Schulentwicklung voranzubringen.

Die UN-Behindertenrechtskonvention trat in Deutschland 1992 in Kraft. Seit der Schulgesetzänderung von 2015 haben Eltern im Land ein Wahlrecht darüber, ob Kinder mit besonderem Förderbedarf an einer allgemeinbildenden oder einer Förderschule unterrichtet werden. Welche Schule das konkret ist, wird in einem Verfahren unter Beteiligung von Eltern, Schulbehörden, den Verantwortlichen für die Schülerbeförderung und ähnlichen Stellen festgelegt.

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Erstellt:
2. August 2024, 16:26 Uhr

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