Springerinnen halten Backnanger Kitas am Laufen

Weil qualifiziertes Personal knapp ist, setzt die Stadt Backnang auch auf Quereinsteigerinnen wie Pauline Klassen, die bei kurzfristigen Engpässen einspringen. So kann eine Teilschließung in vielen Fällen verhindert werden.

Pauline Klassen (links) betreut Kinder in der Kita Talschule und entlastet damit Leiterin Patricia Geiger und ihr Team. Foto: Alexander Becher

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Pauline Klassen (links) betreut Kinder in der Kita Talschule und entlastet damit Leiterin Patricia Geiger und ihr Team. Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Wer sein Kind in einer Tagesstätte oder einer Krippe anmeldet, will sich darauf verlassen, dass der Nachwuchs zu den gebuchten Öffnungszeiten auch wirklich betreut wird. Für viele Eltern ist das die Voraussetzung, damit sie selbst wieder arbeiten können. Allerdings wird es für die Träger der Einrichtungen immer schwieriger, diese Verlässlichkeit zu gewährleisten. Wegen des Fachkräftemangels beim Betreuungspersonal bleiben Stellen oft monatelang unbesetzt. Wenn dann auch noch eine Krankheitswelle grassiert, kann es eng werden. Nicht selten kommt es dann zu sogenannten Teilschließungen (siehe Infotext).

Auch in Backnang ist man davor nicht gefeit, allerdings wäre dieser Schritt noch viel häufiger nötig, wenn es keine Springerinnen gäbe. Immerhin 36 Frauen stehen für kurzfristige Einsätze in den 23 städtischen Kitas bereit. Jonathan Seifert ist froh, dass es sie gibt. „Sie helfen uns, die Betreuung auch in turbulenten Zeiten bestmöglich zu gestalten“, sagt der Leiter des Amts für Familie, Jugend und Bildung. Der Pool ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen: 2019 bestand er lediglich aus acht Personen. Bei den ausschließlich weiblichen Vertretungen handelt es sich um Frauen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen: „Von der Studentin bis zur Rentnerin ist alles dabei“, sagt Seifert.

Bis zu acht Wochen dürfen Ungelernte eingesetzt werden

Pauline Klassen ist eine dieser Aushilfskräfte: Seit vergangenem Herbst ist sie in verschiedenen Backnanger Kindergärten im Einsatz, aktuell hilft sie in der Kita in der Talschule Waldrems aus. Die Arbeit mache ihr großen Spaß, erzählt die 36-Jährige: „Eigentlich nehme ich nur die Vorteile mit.“ Denn sie könne sich bei ihren Vertretungseinsätzen ganz auf die Arbeit mit den Kindern konzentrieren. Um Vor- und Nachbereitung, Verwaltungsarbeit oder Elterngespräche muss sie sich nicht kümmern. Das macht das Stammpersonal.

Pauline Klassen ist auch gar keine Erzieherin. Sie hat Germanistik studiert und früher als Redakteurin in einer Marketingabteilung gearbeitet. Inzwischen hat sie aber selbst zwei Kinder und war auf der Suche nach einem Job, den sie nebenher ausüben kann. Weil ihr die Arbeit mit Kindern Spaß macht, bewarb sie sich auf eine Stellenausschreibung der Stadt Backnang.

Dass Pauline Klassen keine Fachkraft ist, war in diesem Fall kein Hinderungsgrund: Für bis zu acht Wochen erlaubt die Kindertagesstättenverordnung auch eine Betreuung „durch eine andere geeignete Kraft“. Jonathan Seifert betont allerdings, dass die Quereinsteigerinnen niemals die alleinige Verantwortung für eine Kitagruppe tragen. „Es ist immer eine ausgebildete Fachkraft mit dabei.“

Der Springerinnenpool ermöglicht es der Stadt, auf Ausfälle von Betreuungskräften kurzfristig zu reagieren. „Wenn ich sehe, dass wir zu wenig Personal haben, kann ich bei der Koordinierungsstelle der Stadt anrufen“, erzählt Nele Unruh, die die Kita in der Lindenstraße leitet. Dort versucht die zuständige Mitarbeiterin dann, eine Vertretungskraft zu organisieren, oft auch noch kurzfristig morgens um kurz nach 7 Uhr, bevor um 7.30 Uhr die ersten Kinder kommen. In vielen Fällen gelingt das auch tatsächlich, denn unter den Springerinnen sind Frauen, die zeitlich sehr flexibel sind. Auch einige ausgebildete Kräfte gehören dem Pool an, zum Beispiel Erzieherinnen im Ruhestand, die noch Spaß an der Arbeit mit den Kindern haben.

Vertretungspool löst nicht alle Probleme

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Kitaleiterin Nele Unruh und ihr Team sind jedesmal froh, wenn sie Verstärkung durch eine Springerin bekommen. „Es ist eine tolle Sache, dass wir sie haben“, sagt die Kitaleiterin. Nicht nur bei kurzfristigen Krankheitsfällen halten die Vertretungskräfte den Laden am Laufen, sie machen es auch möglich, dass das Stammpersonal selbst in Zeiten des Personalmangels regelmäßig Fortbildungen besuchen kann.

Aber wie ist es für die Kinder, wenn sie sich immer wieder kurzfristig auf eine neue Bezugsperson einstellen müssen? Pauline Klassen hat bisher nur positive Erfahrungen gemacht: „Die Kinder waren immer superoffen und haben sich ganz schnell an mich gewöhnt“, erzählt sie. Trotzdem räumt Jonathan Seifert ein, dass ein allzu häufiger Wechsel gerade für kleine Kinder nicht ideal ist. „Unser Ziel ist natürlich eine gewisse Konstanz“, sagt der Amtsleiter. Deshalb versucht man bei der Stadt auch, die Springkräfte wenn möglich immer wieder in denselben Kitas einzusetzen. Bevor die Betreuung ganz ausfällt, ist Seifert aber – genau wie den meisten Eltern – eine noch unbekannte Vertretung lieber.

Vertretungen arbeiten oft nur vormittags

Allerdings ist der Vertretungspool der Stadt Backnang nicht die Lösung für alle personellen Probleme. „Die Springerinnen werden natürlich auch mal krank. Außerdem wollen viele von ihnen nur vormittags arbeiten“, berichtet Jonathan Seifert. Vor allem für Ganztagskitas mit langen Öffnungszeiten ist es deshalb schwierig, Vertretungen zu finden. Und manchmal steigen die Aushilfen nach einiger Zeit auch wieder aus. So wie Pauline Klassen, die nicht mehr länger Springerin sein möchte. Doch in ihrem Fall ist Jonathan Seifert darüber sogar froh, denn die 36-Jährige wird im Herbst bei der Stadt eine Erzieherinnenausbildung anfangen. Statt als ungelernte Aushilfe wird sie sich künftig also als Fachkraft um die Kinder kümmern.

Teilschließungen von Kitas

Definition Eine sogenannte Teilschließung ist nötig, wenn eine Betreuungseinrichtung aufgrund von Personalmangel nicht mehr in der Lage ist, den gesetzlich vorgeschriebenen Betreuungsschlüssel aufrechtzuerhalten. Dies kann bedeuten, dass die Öffnungszeiten reduziert oder einzelne Gruppen ganz geschlossen werden. Oder es wird nur eine Notbetreuung für Kinder angeboten, bei denen beide Elternteile berufstätig sind.

Häufigkeit Im Jahr 2023 ist es in Backnang in 15 von 23 städtischen Kindertagesstätten zu Teilschließungen gekommen. 46 Kitagruppen waren davon an insgesamt 107 Tagen betroffen.

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Erstellt:
18. Juni 2024, 06:00 Uhr

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