„Stimmung ist derzeit etwas angespannt“
Türkische Gemeinde zu Backnang nach Vorfall bei Freitagsgebet: Ablehnung gab es schon immer, aber sie ist heutzutage offener
Ein Mann zeigt nach dem Freitagsgebet den verbotenen Hitlergruß vor der Türkischen Gemeinde in Backnang, beschimpft die Gläubigen und ruft rechte Parolen. Der Vorstand der Gemeinde erstattet Anzeige. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählen die Vorstandsmitglieder, wie sich die Stimmung in Backnang in den vergangenen Jahren geändert hat und wie sie damit umgehen.

© Tobias Sellmaier
Der Vorstand der Türkischen Gemeinde zu Backnang wünscht sich, dass Menschen, die Ängste oder Vorurteile haben, einfach bei ihnen vorbeikommen und den Dialog suchen. Hinten, von links nach rechts: Akif Ataman, Sekretär, Mustafa Gül, stellvertretender Vorsitzender, Ethem Ugur, ebenfalls stellvertretender Vorsitzender. Vorne: Filiz Senol, Elternbeiratsvorsitzende (links) und Zeyheo Ugur, Frauenbeauftragte. Foto: T. Sellmaier
Von Silke Latzel
BACKNANG. „Leider beobachten wir in den vergangen Jahren verstärkt, dass sich immer mehr Menschen trauen, Dinge zu sagen, die sie vorher vielleicht nur gedacht haben“, sagt Mustafa Gül, stellvertretender Vorsitzender der Gemeinde. „Dieses offen und vermehrt zur Schau gestellte ,Ich will dich hier nicht haben‘ bekommen ja nicht nur wir Türken zu spüren, sondern generell alle Menschen, die irgendwie anders aussehen, egal ob sie Kopftuch tragen oder eine dunkle Hautfarbe haben.“
„Die Stimmung ist derzeit etwas angespannt“ berichtet auch Akif Ataman, Sekretär der Gemeinde. Doch nicht erst seit dem Vorfall nach dem vergangenen Freitagsgebet. Der Vorstand der Gemeinde sah sich genötigt, einen Mann anzuzeigen, der direkt vor der Moschee in der Wilhelmstraße den verbotenen Hitlergruß gezeigt hatte und die Gläubigen, die das Gebäude verließen, wüst mit rechten Parolen beschimpfte (wir berichteten). „Auch vor 20 Jahren gab es schon Ablehnung. Jeder von uns hat solche Erfahrungen gemacht, zum Beispiel habe ich einmal eine Wohnung nicht bekommen, weil ich Türke bin – und mir das auch genauso gesagt wurde. Nur: Heute ist die Ablehnung einfach offener“, so Gül.
„Es war ein Angriff auf die komplette Gesellschaft“
Angst habe man nicht, da sind sich die Mitglieder des Vorstandes einig. Und doch sei da ein mulmiges Gefühl, wenn man nach Anschlägen, wie aktuell in Neuseeland, vom Konsulat den Hinweis bekomme, doch mit den örtlichen Behörden zu sprechen, die Polizei zu bitten, eventuell einmal mehr Streife vor der Moschee zu fahren. „Da geht es eben auch um Sensibilisierung. Konkrete Drohungen oder Ähnliches von Nachahmungstätern gab es nicht, aber Vorsicht ist natürlich immer besser als Nachsicht“, so Gül. Das sei aber schon seit Jahren gang und gäbe, nicht erst seit den aktuellen Ereignissen. So habe man beispielsweise auch nach dem Brand im Jahre 2013, bei dem eine 40-jährige Frau türkischer Herkunft und sieben ihrer zehn Kinder ums Leben kamen, Drohbriefe erhalten, „um bei uns Ängste zu schüren“, erzählt Gül.
Verbale Angriffe habe mittlerweile fast jedes Mitglied der Gemeinde erlebt. „Wir hoffen einfach, dass nicht mehr passiert. An anderen Orten hat es auch so angefangen und irgendwann geht es dann weiter, nach den verbalen Angriffen passiert irgendwann mehr. Und da sollte einfach aus der Gesellschaft ein ganz klares Signal kommen, dass man sich dagegenstellt. Denn wenn Menschen mit rechtsextremistischen Tendenzen keine Gegenwehr bekommen, fühlen sie sich in ihrem Tun nur bestärkt.“ Der Vorfall nach dem Freitagsgebet wurde laut Gül heftig in den sozialen Netzwerken thematisiert. „Es gab aber neben blöden Reaktionen auch viele Solidaritätsbekundungen“, berichtet Akif Ataman, Sekretär der Gemeinde. „Viele sehen den Vorfall als Angriff auf die türkische oder islamische Gemeinschaft. Dabei war es ein Angriff auf jeden, auf die komplette Gesellschaft, auch auf die deutsche.“ Und Gül ergänzt: „Wir wollen das Ganze weder hochhängen noch bagatellisieren. Ängste und Populismus schüren, liegt uns fern, auch nicht hier in unserer Community. Aber wir erwarten, dass diese Person bestraft wird. Und da habe ich auch das Vertrauen in die deutsche Justiz, dass das passiert.“
Deutlich spürbar habe sich die Situation im Allgemeinen verändert, seit die Alternative für Deutschland (AfD) in den Bundestag eingezogen ist, so Gül. „Ich sage nicht, dass die AfD daran schuld ist, aber sie tragen mit ihrem Auftreten dazu bei, dass rechtspopulistische Aussagen und Meinungen fast schon salonfähig geworden sind. Und sobald jemand extremistisches oder nationalistisches Gedankengut äußert, ist es egal, ob derjenige Grieche, Türke oder Deutscher ist – es geht einfach nie.“
Trotzdem sind die Mitglieder froh, in Deutschland zu leben „und nicht beispielsweise in Polen oder Ungarn, wenn man sich anschaut, was dort gerade passiert“, so Gül weiter. „Unsere größte Sorge ist allerdings, dass wir unsere bislang offenen Türen schließen müssen, um uns selbst zu schützen. So weit soll und darf es nicht kommen.“ Man wolle sich offen und transparent zeigen, versuchen, den Menschen die Ängste und Vorurteile zu nehmen. „Ich würde mir beispielsweise wünschen, dass die Leute, die immer ,Islam gleich Terror‘ oder ‚Ihr habt etwas gegen Christen‘ rufen, einmal zu uns kommen, mit uns sprechen und sich vielleicht auch einmal durch unsere Räume führen lassen, sich den Gebetsraum anschauen würden“, sagt Gül. „Dann hätten sie am Ende ihre Meinung wahrscheinlich nicht ganz geändert, aber würden zumindest darüber nachdenken.“ Ataman ergänzt: „Es ist ja immer so, dass man meistens Angst hat vor dem, was man nicht kennt.“
Der Tag der offenen Moschee, der jährlich am 3. Oktober stattfindet, soll dazu beitragen, Vorurteile abzubauen. „Aber da kommen dann meistens nur die Menschen, die sowieso schon Kontakt mit dem Islam haben, sei es durch Freunde oder weil sie sich schon damit auseinandergesetzt haben“, erzählt Gül. „Und natürlich sind wir auch nicht unfehlbar und müssen uns in unserer Religion oft neu finden. Aber wir würden uns wünschen, dass mehr Menschen kommen und einfach mit uns sprechen.“
„Man muss eben einfach den Dialog suchen“
„Wir leben hier in Deutschland. Das hier ist unsere Heimat. Wir sprechen Deutsch, viele von uns sind hier geboren und aufgewachsen. Wir wissen, dass nicht jeder Mensch gleich ist, und es vor allem einzelne Personen sind, die so etwas wie am vergangenen Freitag machen“, sagt Ataman. „Und damit sollten wir auch offen umgehen“, ergänzt Gül. „Jeder kann sich ändern und jeder kann einen Fehler einsehen, man muss eben einfach darüber sprechen und den Dialog suchen. Und wenn jemand Reue zeigt, dann sind wir auch so offen, zu vergeben. Das muss immer so sein.“