Treff 18 in Backnang ermöglicht Freundschaft über Glaubensgrenzen hinweg
Vor zehn Jahren haben Rainer und Margret Hönig den Treff 18 gegründet. Die Begegnungen zwischen Christen und Muslimen aus vielen Ländern sind immer beliebter geworden – und die Backnanger Eheleute zu Vertrauenspersonen vieler Gäste.
Von Uta Rohrmann
Backnang. Eigentlich hatte Rainer Hönig nicht vor, mit Geflüchteten zu arbeiten. Doch dann kam dieser Tag, an dem ihn sein ehrenamtlicher Besuchsdienst – er war damals Kirchengemeinderat in der Stiftskirche – in die Hohenheimer Straße führte. Die zu besuchende Person traf er nicht an, dafür kam er mit jenem jungen makedonischen Rollstuhlfahrer ins Gespräch, der gerade vor dem Flüchtlingsheim war. Dessen Vater lud ihn und seine Frau mehrfach zum Kaffee ein. Margret und Rainer Hönig folgten der Einladung. „Es hat mich schon auch etwas Überwindung gekostet“, sagt die gelernte Arzthelferin über die ungewohnten hygienischen Bedingungen in der Unterkunft. Doch es wuchs eine Freundschaft und als der Asylantrag der Familie abgelehnt wurde, habe sich der Vater bei ihm ausgeweint, erzählt Rainer Hönig.
Viele weitere Begegnungen und internationale Kontakte folgten. Als junge Asylbewerber aus der Vorbereitungsklasse der Gewerbeschule zu einer Führung in die Stiftskirche eingeladen wurden, um sie mit deutscher Kultur und Backnang vertrauter zu machen, war auch Hönig dabei. Die Schulleitung fragte den pädagogisch begabten Banker im Ruhestand, ob er bereit sei, ehrenamtlich in der Klasse beim Deutschlernen zu helfen. Das Deutschlernen gestaltete der Vater von vier erwachsenen Kindern zusammen mit der Lehrerin mit kreativen Ideen und so manchem Spielenachmittag oder Ausflug für die jungen Männer mit.
Erste Treffen im Wohnzimmer
Eines Tages sei der Gambier Mass auf ihn zugekommen: „Ich habe sechs Jahre lang die Koranschule besucht. Ich kenne den Koran in- und auswendig. Jetzt würde ich gerne mal wissen, was die Deutschen glauben.“ Eine Anregung, die dankbar aufgenommen wurde. „Komm gerne zu mir nach Hause, jeden Mittwoch um 17 Uhr. Dann kann ich dir davon erzählen“, erwiderte der gläubige Christ. Damit war Treff 18 geboren, der damals noch Treff 17 hieß – jeweils benannt nach der Uhrzeit der Zusammenkunft.
Mass kam mit seinem kamerunischen Freund. Sie sahen sich kurze Sequenzen aus einem Film über Jesus an und sprachen darüber, sangen einfache christliche Lieder, Hönig betete. Immer mehr füllte sich das Wohnzimmer von Ehepaar Hönig mit Interessierten. „Es sprach sich herum, ohne dass wir dafür großartig Werbung gemacht hätten. Im Sommer hielten wir unsere Türen geöffnet, um zu zeigen, dass hier jeder willkommen ist, dass man jederzeit kommen und auch wieder gehen darf“, so Rainer Hönig. Durch einen Mitarbeiter der Liebenzeller Gemeinschaft entstand ein Gitarrenkurs unter Geflüchteten. Manchmal besuchte man gemeinsam den Gottesdienst in der Stiftskirche und traf sich anschließend samt Dekan noch bei Hönigs daheim.
Weitere Themen
Als das Wohnzimmer für die Treffen zu klein wurde, fanden die Mittwochstreffen mit 25 bis 30 Teilnehmenden im Klubraum des Gemeindehauses der Stiftskirche im Heininger Weg statt. „Wir hatten zwischenzeitlich auch Mitarbeiter aus anderen Gemeinden und Backnanger Teilorten, aus Steinbach, Maubach und Heiningen. Auch Michael Balzer, damals Erster Bürgermeister und Integrationsbeauftragter, nahm zuweilen an den Treffen teil“, erzählt Rainer Hönig. Mit bis zu 70 Teilnehmenden fand Treff 18 schließlich im großen Gemeindesaal statt – mittlerweile wurde der biblische Input, der abwechselnd von Vertretern verschiedener Backnanger Kirchengemeinden vorbereitet wird, je nach Bedarf ins Arabische, Kurdische oder auch Englische übersetzt. Ein paralleles Kinderprogramm wurde ins Leben gerufen, gemeinsame Mahlzeiten verbanden. Bei den Sommerfesten treffen sich laut Hönig bis zu 100 Personen – Kurden, Araber, Jesiden, Drusen, Deutsche.
Alltagshilfe für die Geflüchteten
Die vierfachen Eltern und zehnfachen Großeltern, die von vielen Migranten mit „Vater“ und „Mutter“ angeredet werden, stehen nahezu täglich Geflüchteten mit Rat und Tat zur Seite. Formulare wurden ausgefüllt und gemeinsam Wege gegangen – zu Behörden, zu Ärzten. So manche Ausbildung kam auf Rainer Hönigs Vermittlung zustande. Margret Hönig hat schon Geburten begleitet und geholfen, einen Hungerstreik zu beenden. Unzählige Geschichten können sie erzählen über all die Menschen, an die sie ihr Herz verschenkt haben. „Treff 18 ist eigentlich der kleinste Teil unserer Arbeit“, sagt Rainer Hönig.
Fast unbemerkt feiert dieses Treffen, das mittlerweile in den Räumen der Liebenzeller Gemeinschaft stattfindet, nun sein zehnjähriges Bestehen. Mass, der Mann der ersten Stunde, inzwischen wohnhaft in Waiblingen und als ausgebildeter Bäcker tätig, kommt immer noch ab und zu. „Das, was ich früher über das Christentum gehört habe, und das, was ich hier selbst kennengelernt habe, ist schon ein Unterschied“, betont er. „Ich wusste früher nichts über den christlichen Glauben, außer dass Jesus Gottes Sohn sei. Durch Treff 18 weiß ich jetzt schon recht viel. Neben der Horizonterweiterung ist das auch eine tolle Möglichkeit, Freunde zu treffen“, sagt Hussein Al Bakri, Sozialarbeiter aus Syrien und Backnanger Migrantenvertreter, der ebenfalls fast von Anfang an dabei war und als Übersetzer zur Verfügung steht. „Ich empfinde viele Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen, Juden und Christen“, sagt Kalida aus Syrien, die seit fünf Jahren dabei ist. „Wir sind hier wie eine Familie.“
Heute übernimmt Kamal Jolo, Kurde aus Nordsyrien, die Übersetzung in seine Muttersprache. „Ich helfe gerne, so wie mir auch geholfen wurde“, sagt der Maler. Er kommt direkt von der Arbeit und steht noch in Weiß gekleidet neben Erwin Häcker, Mathe- und Physiklehrer im Ruhestand, der die biblische Geschichte vom blinden Bartimäus erzählt. Die Bilder zur Geschichte zeigen orientalische Menschen, die aussehen wie viele Zuhörer im Raum.