Um der Gesundheit willen Marihuana besorgt

Kosmetiker (38) zu zehnmonatiger Bewährungsstrafe verurteilt – Krankenkasse verweigert Behandlung mit Cannabispräparaten

Um der Gesundheit willen Marihuana besorgt

© BilderBox - Erwin Wodicka

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Vor dem Backnanger Schöffengericht hat sich ein 38-jähriger Kosmetiker wegen des Einkaufs und des Besitzes von Marihuana zu verantworten. In der Regel kommt eine Anklage in dieser Sache dadurch zustande, dass die Polizei den Verdächtigen auf frischer Tat ertappt. Oder dass bei einer Wohnungsdurchsuchung Drogen gefunden werden.

Anders hier. Die Polizei hatte in Crailsheim einen Marihuana-Großhändler ausfindig gemacht. Der vor Gericht als Zeuge vernommene Polizist sagt, dieser habe bei seinem Lieferanten kiloweise die Rauchware eingekauft. Entsprechend groß der Kreis der Endabnehmer. Der „Großhändler“ lieferte auch in den Backnanger Raum.

Nun war bei der Polizeiaktion in Crailsheim auch das Smartphone des Drogenhändlers ausgewertet worden. Und siehe da, es fand sich auch ein Abnehmer aus dem Norden des Rems-Murr-Kreises. Daraufhin begab sich ein Beamter der Rauschgiftermittlungsgruppe Backnang zu dem Kosmetiker und konfrontierte ihn mit der unbequemen Tatsache, dass er im Sommer 2018 einmal in Obersontheim und zweimal in Murrhardt eingekauft habe.

Anfangs etwas zögerlich, aber dann immer bereitwilliger gab der Überraschte die Sache zu. Vor allem wusste die Polizei bis dato nur, dass er eingekauft hatte, aber nicht welche Menge. Immerhin bemisst sich danach die Gewichtung der Straftat. Diese Angaben lieferte nun der Kosmetiker unverblümt dem Ermittler. Insgesamt 125 Gramm Marihuana waren es. Eng verknüpft ist der Einkauf des Kosmetikers freilich mit massiven gesundheitlichen Problemen. Die Darlegung dieser nimmt einen großen Raum in der Verhandlung ein. Eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS), ein geschwächtes Immunsystem, dazu Angstzustände und Depressionen.

Ganze Palette von Arzneimitteln, aber keines half wirklich

Das alles verdichtete sich bei dem Betroffenen über Jahre derart massiv, dass er 2017 einen Magendurchbruch erlitt. Während eines fünfwöchigen Aufenthalts in einer psychosomatischen Klinik machte der Kosmetiker mit einer ganzen Palette von Arzneimitteln Bekanntschaft. Keines half so richtig. Mehr zufällig entdeckte man, dass dem Geplagten Cannabispräparate Linderung verschafften. Er könne, so sagt er vor Gericht, dann seine Gedanken ordnen, die Angstzustände wären erträglicher, er käme seiner Verantwortung als Ehemann und Vater dreier Kinder nach.

Der Arzt, der den Kosmetiker seit vielen Jahren behandelte, verschrieb nun diese Arzneimittel. Als Privatpatient musste der Angeklagte die Kosten zunächst vorstrecken. Erstattungsbescheide der Krankenkasse ließen auf sich warten, die Kostenübernahme wurde schließlich ganz abgelehnt. Bevor Cannabispräparate zum Einsatz kommen, so die Kasse, müssten erst alle Medikamente, die hier auch einsetzbar wären, vom Patienten getestet werden. Das hatte der in seiner neunjährigen Krankheitsgeschichte schon längst getan. Auch diesbezügliche Briefe des behandelnden Arztes konnten die Versicherer nicht überzeugen. Gegenwärtig, so der Kosmetiker vor dem Schöffengericht, ist ein erneuter Antrag unterwegs. Führe das nicht weiter, bliebe nur die Klage vor dem Sozialgericht.

Der Kosmetiker stand damit in einem Dilemma. Das, was ihm half, wurde ihm nicht gewährt. Die Arzneimittel aus eigener Tasche zu bezahlen, überstieg seinen finanziellen Möglichkeiten. Etwa 90 Gramm Cannabis, so hatte der Arzt festgestellt, brauche er pro Monat. Von daher war es eine einfache Rechnung. Ein Gramm medizinisch verordneter Cannabis kostet in der Apotheke um die 28 Euro. Auf illegale Weise ist ein Gramm Cannabis für etwa 7 Euro zu haben. Die Versuchung lag nahe.

Die Staatsanwältin zeigt in ihrem Plädoyer Verständnis für die Lage des Angeklagten. Und dennoch: Auch diese Zwangslage rechtfertige nicht, dass sich der Angeklagte das Marihuana illegal besorgte. Strafmildernd wirke sich aus, dass der Angeklagte alles eingestanden habe, dass er nicht vorbestraft sei, und Marihuana eine sogenannte weiche Droge sei. Sie fordert ein Jahr Freiheitsstrafe, natürlich zur Bewährung. Von irgendwelchen Auflagen will sie absehen.

Der Verteidiger des Angeklagten verweist nochmals auf die Leidensgeschichte seines Mandanten und auf die unsägliche Verweigerung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Bei der Ahndung der Straftat kommt er auf zehn Monate Gefängnis auf Bewährung. In seinem letzten Wort betont der Angeklagte, dass ihm die Sache leidtue. Aber er sei in einer ausweglosen Situation gewesen.

Verurteilter soll sich nicht für den Rest seines Lebens betäuben

Im Urteilsspruch nimmt das Schöffengericht den Vorschlag des Verteidigers auf. Wegen Erwerbs und Besitzes von Marihuana wird der Kosmetiker zu zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. In der Bewährungszeit von zwei Jahren wird ihm ein Bewährungshelfer zugeteilt. Dieser soll dem Verurteilten helfen, so die vom Schöffengericht ausgesprochene Bewährungsauflage, zu einer psychotherapeutischen Behandlung zu kommen. Schließlich sei es keine Aussicht, so die Richterin, sich für den Rest des Lebens ständig zu betäuben. – Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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Erstellt:
2. November 2019, 11:30 Uhr

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