Volle Züge durch das Neun-Euro-Ticket?

Seit gestern kann man mit dem vergünstigten Ticket Busse und Regionalbahnen in ganz Deutschland nutzen. Auch am Backnanger Bahnhof war die Nachfrage nach dem Neun-Euro-Ticket am ersten Tag groß. Die VVS rechnet zumindest am Wochenende mit volleren Zügen.

Seit gestern kann man mit den Neun-Euro-Ticket bundesweit den Nahverkehr nutzen. Auch am Backnanger Bahnhof haben sich einige Leute das vergünstigte Ticket für den Juni geholt. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Seit gestern kann man mit den Neun-Euro-Ticket bundesweit den Nahverkehr nutzen. Auch am Backnanger Bahnhof haben sich einige Leute das vergünstigte Ticket für den Juni geholt. Foto: Alexander Becher

Von Kristin Doberer

Backnang. Seit gestern gilt das Neun-Euro-Ticket, mit dem man bundesweit vergünstigt den Nahverkehr nutzen kann. Kaufen kann man das Ticket online, an Fahrkartenautomaten und in den Reisezentren der Bahnhöfe. In der Region Stuttgart ist das Ticket außerdem über die Apps der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) und des Verkehrsbunds Stuttgart (VVS) kaufbar. Dazu gibt es das Ticket in vielen Regionalbussen ganz einfach beim Busfahrer. Und die Nachfrage ist groß. Allein die Deutsche Bahn hat schon im Vorverkauf rund 2,7 Millionen Neun-Euro-Tickets verkauft. Dazu kommen die Verkäufe regionaler Verkehrsbetriebe, wie zum Beispiel der VVS. Stand gestern sind im VVS knapp 300000 der vergünstigten Tickets verkauft worden. Mit den 350000 bisherigen Abonnenten, deren Tickets seit gestern ebenfalls als Neun-Euro-Ticket gelten, sind damit rund 650000 Menschen im VVS-Gebiet unterwegs, teilt eine Sprecherin des VVS mit.

Wer sind die Menschen, die sich

jetzt das Neun-Euro-Ticket holen?

Steigen nun viele Autofahrer tatsächlich auf die öffentlichen Verkehrsmittel um? Wir haben uns gestern Vormittag am Backnanger Bahnhof umgehört. Ein Mann zum Beispiel, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte und der eigentlich nie die öffentlichen Verkehrmittel benutzt, hat sich das vergünstigte Ticket gestern für seine Fahrt nach Stuttgart geholt. Geschäftlich muss er zum Messegelände, das sei mit der Bahn einfacher. „Und da lohnt sich das Neun-Euro-Ticket schon“, meint er. Backnang liegt in Zone vier, eine Einzelfahrt kostet im Normalfall schon 5,60 Euro. Für geschäftliche Fahrten wird er das Ticket vielleicht weiter nutzen. „Aber für private Fahrten nutze ich doch eher das Auto. Das ist einfach komfortabler“, meint er.

Auch Markus Meisinger nutzt für gewöhnlich kaum die öffentlichen Verkehrsmittel. Trotzdem hat er das Neun-Euro-Ticket schon seit ein paar Tagen auf seinem Handy. „Dabei lohnt es sich für mich zumindest im Berufsalltag nicht“, erzählt Meisinger. Weil er als Schichtarbeiter nach Stuttgart fahren muss, sind die Öffentlichen auch mit vergünstigtem Ticket kaum eine Alternative zum Auto. „Wenn ich um sechs Uhr in Stuttgart sein muss, müsste ich ja um vier Uhr zu Hause los und dann dreimal umsteigen“, erzählt der Weissacher. Doch viele Kollegen, die zum Beispiel aus Fellbach kommen, wollen das Ticket nun auch für den Arbeitsweg nutzen, weiß er. Am Backnanger Bahnhof ist er an diesem Mittwochmorgen, weil er nun auch noch für seine Frau ein Neun-Euro-Ticket holt. „Sie will das lieber ausgedruckt“, meint er. Sie habe keinen Führerschein, fahre aber trotzdem auch eher selten mit Bussen und Bahnen. Das Neun-Euro-Ticket haben die beiden sich nun zunächst für den Juni vor allem deshalb geholt, weil er in den nächsten Wochen frei hat. „Da wollen wir das auf jeden Fall nutzen, um öfter nach Stuttgart zu fahren, Ausflüge zu machen oder die Familie zu besuchen“, erzählt er. „Und mein Sohn ist aktuell sehr begeistert von Zügen, der freut sich auch.“ Ohne Neun-Euro-Ticket hätte die Familie wohl viele dieser Fahrten wie immer mit dem Auto unternommen. „Schließlich sind die Preise für die Öffentlichen sonst nicht günstig“, sagt er. So wären für einen Familienausflug mit Bus und Bahn für gewöhnlich rund 20 Euro angefallen. Vermutlich will er sich das Ticket auch im Juli wieder holen. „Je nachdem, wie voll die Züge dann sind.“ Er befürchtet nämlich, dass die öffentlichen Verkehrsmittel gerade an Wochenenden und Feiertagen nicht auf den Ansturm im Zuge des vergünstigten Tickets vorbereitet sind.

Wann werden die Öffis überfüllt sein? Und wie bereitet sich der VVS darauf vor?

Der VVS geht davon aus, dass es durch das Neun-Euro-Ticket in den Bussen und Bahnen etwas enger werden könnte. Gestern zumindest sei das auch schon spürbar gewesen. „In Bahnen und Bussen war heute etwas mehr los im Vergleich zu den letzten Tagen“, teilt eine Sprecherin des VVS mit. Auslastungsprobleme erwarte man eher in Tourismusregionen wie Schwarzwald oder Bodensee, wo die Züge teilweise nur im Stundentakt fahren können. „Voller wird es aber auch bei uns an einzelnen Tagen am Wochenende vor allem bei schönem Wetter, aber natürlich auch in den Pfingst- und Sommerferien sein“, meint die Sprecherin des VVS. Gleichzeitig sei das Ticket ja nur in den Sommermonaten erhältlich, das sei die Zeit, in der ohnehin weniger Menschen die Öffentlichen nutzen. Gerade an Pfingsten und im August sei aufgrund der Ferien mit weniger Schülern zu rechnen. Noch dazu komme, dass im Vergleich zu 2019 immer noch zwischen 15 und 20 Prozent weniger Fahrgäste mit Bus und Bahn unterwegs sind. „Die Bahnen und Busse fahren von Juni bis August im Wesentlichen im ganz normalen Takt“, sagt die Sprecherin. Das liege auch daran, dass zumindest in der Region Stuttgart die Streckeninfrastruktur und die Fahrzeuge bereits ausgelastet sind.

Trotz des großen Ansturms gibt es auch reichlich Kritik am Neun-Euro-Ticket. So wird von Verkehrsexperten vermutet, dass zwar viele das günstige Ticket während der drei Monate nutzen, diese aber nicht langfristig zum ÖPNV wechseln. Besjana Cekaj aus Unterbrüden hat sich das zumindest vorgenommen. Die 38-Jährige hat früher immer wieder den Bus genutzt. Da sie dann aber immer ihr Kind zur Betreuung bringen musste, sei sie kaum noch mit den Öffentlichen gefahren. Das Neun-Euro-Ticket findet sie genial und will die Aktion nutzen, um aus dem Busfahren wieder eine Gewohnheit zu machen. Nicht nur spare sie sich dadurch monatlich viel Spritgeld, auch habe sie tatsächlich viel Freude am Bus- und Bahnfahren: „Da kann man einfach mal zehn Minuten den Kopf ausschalten und aus dem Fenster schauen.“

Das muss man beim Nutzen des Neun-Euro-Tickets beachten

Zeitraum Von Anfang Juni bis Ende August können Menschen in ganz Deutschland den Nahverkehr für je neun Euro monatlich nutzen. Das Ticket gilt nur für die Zweite Klasse und ist nicht übertragbar. Das heißt, der Name des Nutzers muss auf das Ticket geschrieben werden.

Nahverkehr Das Ticket kann man bundesweit im gesamten Nahverkehr verwenden. Dazu zählen Straßen- und Stadtbahnen, U- und S-Bahnen, Stadt- und Regionalbusse sowie Regionalzüge. Den Fernverkehr, also zum Beispiel ICE, IC/EC oder Flixbus, kann man damit allerdings nicht nutzen. Achtung: Auch auf einigen Intercity-Abschnitten, auf denen Fahrgäste mit anderen Nahverkehrsfahrkarten sonst zusteigen dürfen, gilt das Ticket nicht, zum Beispiel für die Strecke Stuttgart – Konstanz. Ausnahme bilden die Intercity-Züge der Gäubahn.

Kinder Kinder unter sechs Jahren können kostenlos reisen. Ältere Kinder benötigen dann ein eigenes Neun-Euro-Ticket.

Fahrräder Die Mitnahme von Fahrrädern mit dem Neun-Euro-Ticket ist je nach Verkehrsverbund unterschiedlich geregelt. Man sollte sich vor einer Reise also darüber informieren. Im VVS-Gebiet gelten auch beim Neun-Euro-Ticktet diese Regeln für die Mitnahme von Rädern:

Zusammengeklappte Räder gelten als Sache und können kostenlos mitgenommen werden.

Kostenlos ist die Fahrradmitnahme von Montag bis Freitag vor 6 und nach 9 Uhr sowie an Wochenenden und Feiertagen.

Montag bis Freitag von 6 bis 9 Uhr ist bei Mitnahme eines Rads ein Kinderticket für die entsprechende Zone zu lösen.

Zum Artikel

Erstellt:
2. Juni 2022, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen