Von der Freude auf den Tag

Mutmacher-Geschichten: Jan Holm startet unter schwierigen Bedingungen in sein junges Erwachsenenleben. Er rutscht ab, findet sich auf der Straße wieder. Es folgt eine lange Alkoholsucht- und Drehtürpatientengeschichte. Doch er hat sich sein Leben zurückerobert.

Jan Holm, wie wir ihn im Beitrag nennen, möchte ein Stück weit geschützt bleiben und nicht mit seinem Namen und Konterfei auftreten. Aber mit seiner Geschichte will er Mut machen – heute geht es ihm mit seiner Arbeit bei der Erlacher Höhe richtig gut. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Jan Holm, wie wir ihn im Beitrag nennen, möchte ein Stück weit geschützt bleiben und nicht mit seinem Namen und Konterfei auftreten. Aber mit seiner Geschichte will er Mut machen – heute geht es ihm mit seiner Arbeit bei der Erlacher Höhe richtig gut. Foto: A. Becher

Von Christine Schick

GROSSERLACH/BACKNANG. Jan Holm (Name geändert) geht durch den Gang, nickt jemandem zu, ist entspannt. Ohne übertreiben zu wollen, es ist ihm anzumerken, dass er hier am Standort der Erlacher Höhe in Backnang und bei seiner Arbeit für das diakonische Sozialunternehmen im wahrsten Sinne des Wortes angekommen ist. Der Weg dorthin war kein einfacher.

Auf dem Tisch stehen Kaffee, Kaltgetränke, Brezeln und süße Stückchen bereit, flankieren den vielleicht nicht immer ganz angenehmen Blick zurück. Es wird schnell klar, dass seine Ausgangslage keine behütete ist. „Meine Eltern haben sich getrennt, als ich in der Grundschule war“, erzählt Jan Holm. Er bleibt beim Vater, wird zum Schlüsselkind, lernt, sich selbst zu versorgen. „Mein Vater hat gerne getrunken.“ Das frühe Selbstständigsein verselbstständigt sich – Jan Holm setzt sich schon als Zwölfjähriger öfters ans Steuer. Aus heutiger Sicht sagt der 49-Jährige, dass die Sache sich gerade noch mal zum Guten gewendet hat. Holm arbeitet schließlich in dem metallverarbeitenden Betrieb, in dem auch sein Vater tätig ist. Zudem übernimmt er beim ADAC Abschleppdienste. Einen Tag nach seinem 21. Geburtstag erreicht ihn der Anruf aus einer Gaststätte, der einen jähen Bruch bedeutet: Sein Vater ist tot. „Ich hatte Früh-, er hatte Spätschicht.“ In dem Lokal bricht sein Vater plötzlich zusammen, man geht wohl von einem Hirnschlag aus. Die gemeinsame Wohnung wird verkauft. „Bei der Firma wollte ich nicht mehr arbeiten.“

Jan Holm wechselt die Branche, fängt an, Lkw zu fahren. Später verlegt er seinen Lebensmittelpunkt von Nordrhein-Westfalen nach Baden-Württemberg, wo er bei einer Spedition anfängt. Nach und nach wird der Alkohol präsenter und ein Thema für ihn. Als er 1999 seinen Führerschein und Job verliert, verschärft sich die Situation. „Ich war arbeitslos und bin abgerutscht.“ Eine Entgiftung folgt, es wird nicht die einzige bleiben. Dass er zu seiner Freundin zieht, ist insofern eine folgenreiche Entscheidung, da ihn später ein Streit mit seiner Partnerin an die nächste Abbruchkante führt: „Ich musste dann aus der Wohnung raus.“ Jetzt ist er ohne Bleibe, steht auf der Straße.

Ein Bekannter in der gleichen Lage nimmt ihn auf ein Industriegelände im Kreis Heilbronn mit. Das ist 2001. Das Gebäude, in dem die beiden dann rund ein Dreivierteljahr unterkommen, hat für sie einfach den Namen „Knorr-Haus“. Ob der leer stehende Bau damals wirklich zum Komplex der bekannten Heilbronner Firma gehört, da ist sich der 49-Jährige heute nicht mehr ganz sicher. Alleine hätte er sich im „Knorr-Haus“ auch nicht einquartiert, zu zweit geht es. Ein paar rudimentäre Dinge gibt es – Tisch und eine Coach, auch Matratzen, auf denen sie schlafen.

Andere Anlaufstellen wie beispielsweise Übernachtungsquartiere für Obdachlose sind in dieser Zeit für ihn kein Thema. Nicht immer sind sie sichere Zufluchtsorte, weil es dort auch zu Konflikten kommen und selbst das wenige verbliebene Hab und Gut Begehrlichkeiten wecken kann. Für Jan Holm gibt es Adressen, bei denen klar ist, dass er dort nicht anklopfen wird. „Dann lieber auf der Straße bleiben“, sagt er.

Längst ist offensichtlich: Die Alkoholsucht ist Holms zentrales Problem, er hat die Kontrolle verloren. „Es hat schon Kraft gekostet, morgens aufzustehen, und dann hab ich was getrunken.“ Ein neuer Anlaufpunkt ist eine Hilfseinrichtung für Obdachlose und eine Arbeitsgelegenheit zur Wiedereingliederung. Es folgen weitere Stationen. Aber dann: „Ich hab Alkohol mitgebracht, war wieder dicht.“ Jan Holm kommt immer wieder in die Entgiftung, manchmal, wenn es mit der Klinikaufnahme nicht klappt, weil er nicht als Notfall eingestuft wird, legt er nochmals nach, trinkt mehr, um schließlich doch von der Polizei dorthin gebracht zu werden, erzählt er.

Schließlich kommt er auf die Helle Platte der Erlacher Höhe. Die vollstationäre Betreuung 2011 lässt ihm zeitlich mehr Spielraum, setzt ihn nicht unter Druck. Nach rund elf Monaten schließt sich ein Jahr in einer therapeutischen Wohngemeinschaft an. Doch 2013 hat er wieder einen Rückfall. „Trinken ist Kopfsache“, stellt Jan Holm fest. Und dann geschieht etwas, was ihn selbst heute noch überrascht: Karl-Ernst Kühner, damaliger Leiter der beiden Abteilungen Sozialtherapeutische Hilfen und Eingliederungshilfe der Erlacher Höhe, den er von der Hellen Platte kennt, bietet ihm an, einen weiteren Anlauf zu nehmen und wiederzukommen. „Er hat zu mir gesagt, gehen Sie zur Entgiftung, dann nehmen wir Sie wieder auf“, erzählt Holm. Erstaunt, fast schon irritiert schlägt er ein. „Zu verlieren hatte ich ja nichts, aufgeben konnte ich dann immer noch.“ Gut so: Seit dem 23. September 2014 ist Jan Holm trocken. Über die weitere Begleitung kann er nicht nur wichtige Dinge wie Schulden regeln, sondern nutzt auch die Chance, sich bei der Arbeit für das diakonische Sozialunternehmen einzubringen.

Der 49-Jährige macht jetzt wieder den Führerschein, damit er dem Team beim Fahrdienst helfen kann.

Zunächst ist er beim Mobil der Erlacher Höhe tätig, das ein Essensangebot mit Beratung an verschiedenen Orten im Kreis verbindet. Mittlerweile arbeitet der 49-Jährige fest in der Hauswirtschaft und im Postdienst. „Wir sind richtig froh, dass wir ihn haben. Er ist sehr flexibel, arbeitet sich rein und entwickelt sich weiter“, sagt Michael Belz. Dabei denkt der Sozialarbeiter der Erlacher Höhe beispielsweise daran, dass Jan Holm nun wieder seinen Führerschein machen will, um auch bei den Fahrdiensten unterstützen zu können. Wichtig ist ihm aber auch, wie der 49-Jährige den Neuankömmlingen begegnet. „Er kann gut mit den Leuten, ich denke, sie spüren, dass er es gut mit den Menschen meint.“ Am Backnanger Standort gibt es verschiedene Begleitungsformen wie Wohnungslosenhilfe oder Fachberatung, und das Haus Karla ist ein Betreuungs- und Wohnungsangebot für Frauen. Auch vor diesem Hintergrund müsse das Vertrauen entsprechend groß sein, so Michael Belz.

Jan Holm macht klar, dass ihm diese Arbeit sehr wichtig ist, nicht nur, weil sie eine Beschäftigung mit Sozialversicherung bedeutet. „Es ist mein Ziel, dass es hier weitergeht“, sagt er. Der 49-Jährige fühlt sich wohl mit seinen Aufgaben und in seinem Umfeld, es sei fast wie Familie. „Wenn ich Feierabend habe, kann ich aber abschalten, und morgens freue ich mich schon darauf, herzukommen.“ Mittlerweile hat er eine eigene Wohnung. Auch zur Fahrschule hat er sich angemeldet, nachdem der Erste-Hilfe-Kurs gemacht war. Zu viele weitere Ziele will er sich aber nicht stecken. Ob er sich manchmal fragt, was die Ursache oder Ursachen dafür waren, diesen harten Weg gegangen sein zu müssen? Jan Holm schüttelt den Kopf. Er habe seine Zweifel, ob sich das je beantworten lässt. In dieser Hinsicht hat er losgelassen. Er genießt jetzt seine gute Zeit. „Ich bin wirklich sehr zufrieden“, sagt er mit einem Lächeln.

In der Serie Mutmacher-Geschichten berichten wir über Menschen, die ihr Glück gefunden haben, die schwierige Situationen gemeistert und ihre Träume verwirklicht haben. Damit setzen wir einen Gegenpol zu all den negativen Nachrichten, die jeden Tag in der Zeitung stehen.

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Erstellt:
5. Juni 2021, 11:30 Uhr

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