Von der Missionsschule zur Misswahl

Kira Geiss ist eine der 20 letzten Kandidatinnen bei der Wahl zur Miss Germany 2023. Die 20-Jährige besucht die Evangelische Missionsschule in Unterweissach, sie will Pastorin werden. Im Falle eines Gewinns möchte sie ein Netzwerk für junge Menschen aufbauen.

In der Bibliothek der Missionsschule leiht Kira Geiss regelmäßig Bücher aus. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

In der Bibliothek der Missionsschule leiht Kira Geiss regelmäßig Bücher aus. Foto: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Weissach im Tal. Kira Geiss hat vieles von dem, was zum Klischeebild einer schönen Frau gehört: Sie ist groß, dünn, hat lange Haare, ein hübsches Gesicht. Doch nicht ihr Aussehen hat die 20-Jährige dazu bewogen, sich als Miss Germany 2023 zu bewerben. Auf Instagram war ihr eine Werbung für den Wettbewerb angezeigt worden – gleich zweimal sogar, die erste hatte sie einfach weggewischt. Erst beim zweiten Mal las sie die Anzeige durch und was da stand, gefiel ihr. Die Wahl zur Miss Germany hat sich nach Aussage der Veranstalter von einem Talentwettbewerb (gemeinhin würde man wohl eher sagen: Schönheitswettbewerb) zu einer Plattform für Frauen mit einer Vision für eine bessere Zukunft entwickelt. Und diese Vision, die hat Kira Geiss. Sie möchte Menschen der Generation Z, ihrer Altersgruppe, die Möglichkeit geben, sich zu vernetzen, ihr volles Potenzial zu entfalten und dabei Gemeinschaft zu erleben – so wie sie selbst Gemeinschaft erleben dürfe, seit sie in der Kirche aktiv sei, erklärt sie.

Nachdem sie ihre Bewerbung abgeschickt hatte, schaffte sie es in einem mehrstufigen Auswahlverfahren (siehe Infotext) als eine der letzten 20 Kandidatinnen von rund 15000 Bewerberinnen ins Halbfinale. Anfang Februar wird sich entscheiden, ob sie auch am Finale teilnehmen darf.

Seit September 2022 besucht Kira Geiss die Missionsschule in Unterweissach

Kira Geiss besucht die Evangelische Missionsschule in Unterweissach. Mit 16 Jahren wurde sie gläubig. Aufgewachsen ist sie in Wilhelmsdorf bei Ravensburg. Dass sie bei der Wahl zur Miss Germany für Sachsen-Anhalt antritt, liegt daran, dass sie noch in Magdeburg lebte, als sie sich um die Teilnahme bewarb. Dort engagierte sie sich parallel zu ihrer Ausbildung zur Gestalterin für visuelles Marketing in Ravensburg bei den Projekten einer Kirchengemeinde und gründete eine Jugendgemeinde mit.

Dass sie zu ihrem Glauben gefunden hat, war nicht vorauszusehen. Ihre Eltern seien nicht gläubig, sagt sie. Der Freundeskreis, den sie als 16-Jährige hatte, habe ihr nicht gut getan. „Er war alkoholverherrlichend. Ich habe gemerkt, dass mir etwas fehlt, wusste aber nicht, was es war“, blickt sie zurück. Zu Beginn ihrer Ausbildung brach sie den Kontakt zu ihren Freundinnen und Freunden ab. Im Bus traf sie zwei Mädchen, die sie noch aus der Grundschule kannte. Sie überredeten Kira Geiss dazu, an einer kirchlichen Jugendfreizeit in der Schweiz teilzunehmen. „Dort wurde ich zum ersten Mal als Person wertgeschätzt, ohne dass ich etwas leiste“, sagt sie. Den Glauben anderer fand sie zunächst eher komisch – „cringe würde man in der Jugendsprache sagen“, fügt sie hinzu und grinst. „Aber ich bin da reingewachsen.“ Sie habe verstehen wollen, warum die Menschen in der Gemeinde so anders seien, habe angefangen zu beten.

Kira Geiss sieht in dem Wettbewerb eine Möglichkeit, etwas zu bewegen

Auf die Missionsschule wurde sie durch zwei Personen aus der Magdeburger Gemeinde aufmerksam, die beide selbst in Unterweissach studiert hatten. Im vergangenen September zog sie in eine der Wohngemeinschaften auf dem Gelände ein. Sie würde gerne Pastorin in einer jungen Gemeinde werden, sagt Kira Geiss. „Dort sehe ich vor allem den Bedarf für die Förderung und Integration junger Menschen. Und das ist auch der Grund, warum ich bei der Wahl zur Miss Germany mitmache.“ Ihr Ziel sei es, Safe Spaces, sichere Orte für Menschen der Generation Z außerhalb der digitalen Welt zu schaffen. Dafür würde sie das Preisgeld von 25000 Euro einsetzen. „Der Wettbewerb“, sagt sie, „ist eine unglaublich tolle Möglichkeit, um etwas zu bewegen.“

Wie hoch ihre Gewinnchancen sind, das kann Kira Geiss nicht einschätzen. Sie sei „superüberrascht“, dass sie unter die ersten 20 gekommen ist. Ihre Mitbewerberinnen seien alle tolle Frauen. Jede habe das Recht, weiterzukommen. „Es sind alles schöne Frauen, die aber nicht dem Schönheitsideal entsprechen.“ Tatsächlich sind unter den verbliebenen 20 Kandidatinnen viele dabei, die nicht den einstigen Ansprüchen an Konfektionsgrößen entsprechen und die verschiedene Facetten von Diversität verkörpern. Im Halbfinale stehen zum Beispiel auch zwei Transfrauen. „Personality Camp“ nennen die Veranstalter die vorletzte Wettbewerbsrunde. Die Miss Germany Corporation ist ein Oldenburger Familienunternehmen, das in dritter Generation von dem 26-jährigen Max Klemmer geführt wird. Er bezeichnet sich selbst als einen Feministen.

Zu den Kriterien gehören das Auftreten und die Wandlungsfähigkeit

Auch Kira Geiss spricht von „Sisterhood“, Schwesternschaft, unter den Frauen, die sich um den Titel bewerben. Es gehe nicht so sehr darum, zu gewinnen, sondern eher darum, sich zu vernetzen. Einige Frauen würden bereits privat etwas miteinander unternehmen. Die zehn Finalistinnen würden von den Veranstaltern weiter gefördert. Am Ende entstehe eine große Gemeinschaft – deshalb gebe es bei dem Wettbewerb auch keine Ellbogenmentalität. „Wir profitieren alle voneinander“, sagt Kira Geiss. In den Hintergrund rückt bei so viel Lob der Fakt, dass die Miss Germany Corporation noch immer sehr viel Geld mit dem Wettbewerb verdient (der Jahresumsatz liegt bei rund 1,5 Millionen Euro) – auch wenn er inzwischen an die Ansprüche eines aktuelleren Frauenbilds angepasst worden ist.

Und bewertet werden die Frauen nach wie vor. Zu den Kriterien gehören etwa das Auftreten, aber auch die Professionalität, Bühnenpräsenz und Wandlungsfähigkeit, listet Kira Geiss auf. Bei einer sogenannten „Network Experience“ mussten sie und ihre Konkurrentinnen beispielsweise in einem einminütigen Kurzvortrag erklären, wer sie sind und wofür sie stehen. Ein anderes Mal sollten sie schriftlich ausformulieren, was genau sie im Fall eines Gewinns mit der Fördersumme anfangen würde.

Die Anwärterinnen haben einen Coach

Ein Bikinilauf oder Ähnliches findet aber nicht mehr statt. Hätte sich das Wettbewerbskonzept nicht grundlegend geändert, hätte sie sich gar nicht beworben, betont Kira Geiss. Die Missanwärterinnen werden nun sogar gecoacht – unter anderem von Choreograf Bruce Darnell, den man aus der Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ kennt. „Ein Catwalk-Training sollte unser Selbstwertgefühl stärken und uns dabei helfen, uns in unserem Körper wohlzufühlen“, berichtet Kira Geiss. Reality-TV-Darsteller Nicolas Puschmann (bekannt aus der Datingshow „Prince Charming“) habe ihnen dagegen Tipps gegeben, wie man souverän mit öffentlicher Kritik umgehen kann.

Von ihrer Teilnahme an dem Wettbewerb habe sie jetzt schon profitiert, so Kira Geiss. Vor dem Halbfinale sei sie ein wenig aufgeregt, gibt die angehende Diakonin zu. „Man steht natürlich schon die ganze Zeit unter Beobachtung“, erklärt sie. Zugleich sagt sie: „Ich möchte nicht daran zweifeln, dass ich’s auch schaffen kann.“

So läuft die Wahl zur Miss Germany 2023 ab

Konzept Hinter der Wahl zur Miss Germany 2023 steht ein neues Konzept: Die Wahl habe sich vom Talentwettbewerb zu einer „Female-Empowerment-Plattform für die Stimmen der Gegenwart“ entwickelt, heißt es auf der dazugehörigen Website www.missgermany.de. Die Auszeichnung geht demnach an Frauen, die Verantwortung übernehmen. Die Gewinnerin erhält neben dem Titel eine Fördersumme über 25000 Euro, die für ein selbst gewähltes Projekt verwendet werden soll.

Auswahlprozess Die digitale Bewerbungsphase lief vom 1. bis zum 31. Juli 2022. Anmelden konnten sich Frauen zwischen 18 und 39 Jahren. Von den rund 15000 Bewerberinnen wurden 160 zum E-Casting eingeladen. In jedem weiteren Schritt wurde die Kandidatinnenzahl halbiert. 80 Frauen absolvierten eine „Casting Experience“, 40 maßen sich bei einer „Network Experience“. Die letzten 20 gehen im Februar ins „Personality Camp“. Das Finale ist am 4. März im Europapark Rust.

Teilnehmerinnen Kira Geiss tritt bei der Wahl für Sachsen-Anhalt an. Für Baden-Württemberg bewerben sich Chantal Epli (29) aus Reutlingen, eine Mutter, die einen Baby- und Kinderladen betreibt, Tiffany Licker (28) aus Ostfildern, die als Coach Frauen zu mehr Selbstliebe verhelfen will, Influencerin Selina Tossut (23) aus Sindelfingen, die sich gegen unrealistische Schönheitsideale wendet, und Lena Petrides (30) aus Murr, die Frauen die Angst vor Finanzen nehmen will.

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Erstellt:
16. Januar 2023, 06:00 Uhr

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