Wein trinken für die Backnanger Stiftskirche
Dekan Rainer Köpf verbindet bei seinen Weinproben Backnanger Persönlichkeiten der Geschichte mit jeweiligen Weinen. Die Einnahmen kommen der Stiftskirchengemeinde zugute. Die Sanierungskosten des Gotteshauses sind längst noch nicht getilgt.
Von Matthias Nothstein
Backnang. Die Backnanger Stiftskirche ist ein Juwel, dessen wahre Pracht erst durch die jüngste Sanierung wieder so richtig zum Vorschein gekommen ist. Aber so schön das Ergebnis auch ist, das finanzielle Erbe dieser Verschönerung belastet den Säckel der Kirchengemeinde gewaltig. Für den fast noch neu zu nennenden und allzeit frohgemuten Dekan Rainer Köpf kein Grund, Wasser in den Wein zu schütten. Mit einer Weinprobe in der oberen Sakristei, zu der das Backnanger Who’s who eingeladen war, leistete er mittels Spendenkässle einen Beitrag zur Reduzierung der Schuldenlast, getreu dem Motto: „Wein trinken für die Stiftskirche.“ Es gibt schlimmere Aufgaben.
Bei seinem Parforceritt durch die Stadtgeschichte und die Weinvielfalt hangelte sich der Geistliche am Leben und Wirken von sechs Personen entlang. Dabei schlüpft er jeweils in deren Rolle, Kleidung inklusive. Die vollmundige Ankündigung lautet: „Alle haben einen Bezug zu Backnang.“
Dass der Chef des Backnanger Dekanats zuweilen auf erfreuliche Weise einen Schalk im Nacken hat, wird gleich beim ersten Auserwählten deutlich, dem Apostel Paulus. Dieser hat ziemlich sicher nichts mit Backnang am Hut, was Köpf alias Paulus so kommentiert: „Okay, dass ich in Backnang war, steht nicht in der Bibel.“ Weil aber Köpf die Figur für seine Herleitung des göttlichen Willens von Ordnung und Freiheit braucht, wird der Jünger kurzerhand in die Reihe aufgenommen. Pragmatismus pur.
Die Backnanger praktizieren einen lebensnahen Pragmatismus
Genau diesen leitet Köpf von Ordnung und Freiheit ab: Beides gehört zwar zusammen, ist aber zu unterscheiden. Laut Luther ist ein Christenmensch „ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan“. Ebenso aber ist „ein Christ ein gehorsamer Knecht und jedermann untertan“. Die Einbindung ins Ganze und die Freiheit zur Eigenverantwortung erkennt Köpf in der Geschichte Backnangs. Über die Backnanger sagt er: „Da gibt es etwas Charakteristisches, nämlich keine ideologischen Verkrampfungen, sondern immer einen lebensnahen Pragmatismus.“ Als speziellen Wein für den weit gereisten Apostel hat sich der Kirchenmann für einen Chardonnay entschieden, eine Weinsorte, die weltweit angepflanzt wird.
Die weiteren Personen haben dann umso mehr Bezug zu Backnang. Da ist Hesso von Baccananc, dem zu verdanken ist, dass Backnang im Jahr 1067 erstmals urkundlich erwähnt ist. Weil dessen Wurzeln auch in den Breisgau zurückgehen, füllt Hesso die Gläser seiner Zuhörer mit einem Grauen Burgunder vom Kaiserstuhl.
Weiter geht’s mit Petrus Jacobi, dem Erbauer des Chors und der Sakristeien, von denen die obere einst eine Bibliothek war. Für Petrus Jacobi gehören „das Beten und das Lesen, das Herz und der Verstand, der Glaube und die Bildung“ zusammen. Und weil die ersten Chorherren im 11. Jahrhundert aus Marbach im Elsass nach Backnang gekommen sind, bringt Petrus Jacobi einen Gewürztraminer aus Equisheim mit. Zumal diese Rebe auch in Arlon angebaut wird, der Geburtsstadt des Probsts in Luxemburg.
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Johann Caspar Schiller darf in der Liste der Backnanger nicht fehlen. Der Vater des viel berühmteren Literaten hat hier als Wundarzt praktiziert und wollte stets das Leben der Menschen verbessern. Logisch, dass ihm zu Ehren ein Schillerwein aus Marbach am Neckar ins Glas fließt. Dessen Attribute: „Trinkbar, praktisch, schwäbisch.“
Geprägt vom württembergischen Pietismus
Die Ehre, in die Liste aufgenommen zu werden, erfährt auch Eugen Adolff. Der Industrielle war geprägt vom württembergischen Pietismus und wollte Unternehmer und Christenmensch in einer Person sein. Deshalb hat er seinen Mitarbeitern Häuser gebaut, Mittagessen in der Kantine zum Selbstkostenpreis abgegeben und drei Gemeinschaftsbäder errichtet. Ein kraftvoller Ronchedone steht für ihn. Der Rotweinverschnitt kommt vom Gardasee, dort in Arco ist Eugen Adolff gestorben.
Den Abschluss bildet ein Bessaraber. Einst haben 9000 Württemberger das Land in Richtung Bessarabien verlassen, nach dem Zweiten Weltkrieg sind 90000 wiedergekommen. Für Köpf ist die Integration der Vertriebenen die größte Erfolgsgeschichte der Stadt. Passend dazu kredenzt er einen Trollinger. Dieser hat tiefe Wurzeln. So halt wie auch die Württemberger.
Immer wieder lässt Köpf Zitate aus der Bibel einfließen, schließlich wird Wein darin an 500 Stellen erwähnt. Als Rauschquelle zwar oft kritisch, aber insgesamt „als ein Geschenk Gottes“ überwiegend positiv. Auch bei der Weinprobe bleibt die Wirkung nicht aus: Während der Kanon zum Einstieg noch etwas zurückhaltend geträllert wird, löst der Wein manche Zunge, sodass das Schlusslied „Kein schöner Land“ von vielen mit wahrer Inbrunst intoniert wird.
Bei solch einer gehaltvollen Weinprobe können ein paar Zeilen darüber natürlich nicht viel mehr werden als eine einfache Schorle. Wer sich am ganzen Bouquet des dekan’schen Auftritts ergötzen will, dem sei ein eigener Besuch des mehr als dreistündigen Genuss- und Philosophiemarathons empfohlen. Über einen guten Besuch bei der nächsten Weinprobe und ein leises Rascheln in der Spendenkasse würde sich dann auch Ute Ulfert freuen, die als Vorsitzende des Kirchbauvereins die Idee zu der Veranstaltung hatte. Noch gibt es keinen Termin, aber schon eine Interessentenliste.