Weniger Haltestellen für mehr Komfort
Exemplarisch für oftmals überfüllte Schulbusse steht seit Jahren die Linie 390, welche Kinder aus Sulzbach an der Murr, Oppenweiler und Strümpfelbach zum Tausgymnasium bringt. Durch eine Anpassung des Fahrplans soll sich die Lage nun verbessern. Es gibt aber auch Kritik.
Von Kai Wieland
Backnang. Ein schulnaher Wohnort ist ein Privileg – eigentlich. Wenn man dennoch auf den Bus angewiesen ist, kann sich der Spieß aber schnell umdrehen. Ist der Bus während der morgendlichen Stoßzeiten nämlich bereits von den vorangegangenen Haltestellen überfüllt, müssen sich die Kinder, die an den späteren Stationen zusteigen, häufig in den Türbereich zwängen oder schauen gar komplett in die Röhre. Ein Schicksal, von dem viele Schülerinnen und Schüler aus dem Backnanger Stadtteil Strümpfelbach auf ihrem Weg zum Tausgymnasium oder zur Gemeinschaftsschule in der Taus in der Vergangenheit ein Lied singen konnten – trotz eines zusätzlichen Schulbusses. Der Einsatz von Verstärkerbussen sollte das Problem lösen, stieß aber immer wieder an seine Grenzen und war bisweilen auch personell für das zuständige Busunternehmen Omnibus-Verkehr Ruoff nicht zu stemmen (wir berichteten). Mit den Fahrplanänderungen im oberen Murrtal, die zum 4. Oktober umgesetzt wurden, soll dieser Zustand endlich der Vergangenheit angehören.
„Es freut mich sehr, zu sehen, dass die zuständigen Stellen auf die geänderte Schülerverkehrssituation reagiert haben“, so Ralf Nentwich, Landtagsabgeordneter der Grünen. „Die Anpassungen auf der Linie 390 gewährleisten, dass alle Fahrgäste, insbesondere die Schülerinnen und Schüler, die nach Backnang fahren möchten, pünktlich und zuverlässig ankommen.“ Der Landkreis, die Verkehrsunternehmen und der VVS seien sich darüber einig, dass kurzfristige Maßnahmen notwendig seien, um die Anbindung zur ersten Unterrichtsstunde in Backnang zu optimieren, führten aber weiterhin Gespräche über langfristige Lösungen.
Kein umfangreicheres,sondern ein angepasstes Angebot
Was zunächst nach einem ausgebauten Fahrplan klingt, ist also vielmehr eine Anpassung von selbigem mit dem Ziel, die Fahrgastströme anders zu lenken und sinnvoller auf die bestehenden Kapazitäten zu verteilen. „Im oberen Murrtal haben wir die Sondersituation, dass sich Bahn und Bus die Aufgabe der Schülerbeförderung teilen, der Bus also die schienenfernen Orte und Wohngebiete versorgt, während die Fahrgäste in der Nähe der Bahnhöfe den Zug nutzen sollten“, erklärt eine Sprecherin des VVS. „Rein von der Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze her ist der Zug für die Schülerbeförderung viel besser geeignet als der Bus. In der Bahn ist das Platzangebot größer.“ Weil aber aus den unterschiedlichsten Gründen – insbesondere zu Zeiten, in denen die Murrbahn wie zuletzt häufig nicht zuverlässig operierte – viele Kinder aus Sulzbach an der Murr und Oppenweiler dennoch den Bus wählten, ging diese Rechnung nicht auf.
Konkret sollen durch die Anpassungen im Fahrplan daher die Fahrgäste aus Sulzbach während der Stoßzeiten zur Nutzung der Regionalzüge bewegt werden. Zu diesem Zweck entfallen bei der Busverbindung am Morgen die Haltestellen Murrhardter Straße (6.53 Uhr), Marktplatz (6.54 Uhr) und Schloss Lautereck (6.55 Uhr). Schülerinnen und Schüler aus diesem Einzugsbereich könnten stattdessen mit der Regionalbahn MEX90 fahren, so der VVS.
Ganz ideal ist diese Lösung indessen nicht, wie man beim Verkehrsverbund einräumt: „Leider passen die Fahrplanzeiten der Züge auf der Murrbahn aktuell nicht optimal zum morgendlichen Unterrichtsbeginn der Backnanger Schulen. Während der Zug aus dem oberen Murrtal mit Ankunft um 7.04 Uhr in Backnang für den Unterrichtsbeginn um 7.45 Uhr sehr früh ankommt, ist der nachfolgende Zug mit Ankunft um 7.36 Uhr eigentlich schon zu spät.“ Gemeinsam mit dem Landkreis sei man daher bestrebt, die Ankunft des späteren Zuges einige Minuten vorzuverlegen. Gespräche mit dem Land beziehungsweise der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg sind demnach bereits im Gange. Auch beim Busunternehmen Omnibus-Verkehr Ruoff ist man sich dieser Problematik bewusst, zeigt sich ansonsten aber zufrieden. „Die Fahrplanumstellung zeigt Wirkung“, sagt Friedrich Boehringer, Fachbereichsleiter Verkehr und Planung. „Die Verteilung der Schüler auf Bahn und Bus ist nun ausgewogen.“ Insgesamt seien die Kapazitäten beim Schulverkehr im oberen Murrtal ausreichend.
Die Busse sind weiterhin voll,aber sind sie auch überfüllt?
„Das ist kein breiteres Angebot, sondern eine komplizierte Umstellerei. Und wirklich zufrieden sind damit weder die Schülerinnen und Schüler noch deren Eltern“, beanstandet hingegen Udo Weisshaar, Schulleiter des Tausgymnasiums. „Wir sind zwar sehr froh, dass wir einen Schulbusverkehr haben, nicht nur aus Strümpfelbach, sondern auch aus Aspach, aber in beide Richtungen sind die Busse nach wie vor teils extrem voll.“ Davon könne er sich nachmittags an der Bushaltestelle selbst regelmäßig überzeugen, so der Schulleiter weiter. Zudem kämen oftmals, anders als in der Vergangenheit, keine Gelenkbusse zum Einsatz – dieser Darstellung widerspricht man allerdings beim VVS: „In der morgendlichen Hauptverkehrszeit ist die am stärksten nachgefragte Fahrt die der Linie 390 um 6.44 Uhr ab Murrhardt. Dort kommt wie auch bei weiteren Fahrten der Linie 390 an Schultagen nach wie vor ein Gelenkbus zum Einsatz.“
Dass ungeachtet dessen mit den Anpassungen auf der Linie 390 nicht alle Probleme gelöst sind, ist auch Ralf Nentwich bewusst: „Die Schulbusse sind oftmals leider in den Stoßzeiten immer noch eher mit Viehtransporten vergleichbar“, bestätigt der Landtagsabgeordnete, der sich selbst als ÖPNV-affin bezeichnet. „Gerade in der flexiblen Nachsteuerung der Fahrpläne und Busse ist, wie das Beispiel der Linie 390 zeigt, insgesamt noch Luft nach oben.“
Wieso ist aber die scheinbar naheliegendste Lösung, nämlich eine höhere Taktung im Busverkehr, keine Option? „Maßgeblich hierfür sind die Festlegungen in der Schülerbeförderungskostensatzung für den Rems-Murr-Kreis“, erklärt eine Sprecherin des VVS. „Diese definiert den Vorrang des vorhandenen ÖPNV. Erst wenn die innerhalb der zumutbaren Wartezeit von 45 Minuten zwischen Ankunft des Busses und dem Unterricht verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittel die gemeldete Anzahl an Schülern nicht mehr befördern können, ergibt sich für den Landkreis als Aufgabenträger ein Handlungsbedarf. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die eingesetzten Fahrzeuge nicht nur über Sitzplätze, sondern auch über ausdrücklich zugelassene Stehplätze verfügen.“
Bei der Frage: Ist ein Linienbus überfüllt oder nicht? streiten sich die Geister
An dieser Stelle tritt ein gewisser Ermessensspielraum zutage, den Betroffene – in diesem Fall die Kinder und ihre Eltern – naturgemäß anders auslegen als die Verkehrsbetriebe und die Aufgabenträger. „Bei der Frage, ob ein Linienbus ‚überfüllt‘ ist oder nicht, unterscheiden sich oftmals das subjektive Empfinden der Eltern und Schüler von den objektiven Fakten“, argumentiert man beim VVS. So gebe es im Busverkehr eine zugelassene Anzahl an Stehplätzen, für welche geeignete Halteeinrichtungen in ausreichender Anzahl vorhanden sein müssen, die von Schülern aller Altersklassen benutzt werden können. Ist dies der Fall, so wird davon ausgegangen, dass auch die stehenden Schulkinder ausreichend gesichert befördert werden können. „Die zulässige Stehplatzdichte wird im Alltagsbetrieb in der Regel nicht erreicht.“ Aus diesem Grund sei aktuell weder auf der Linie 390 noch an anderer Stelle im Raum Backnang der Einsatz zusätzlicher Busse geplant. Dasselbe gilt für den vermehrten Einsatz der kapazitätsstärkeren Gelenkbusse.
In diese Rechnung wird laut VVS allerdings auch der Zugverkehr einbezogen. „Für die Verbindungen von Murrhardt, Sulzbach und Oppenweiler nach Backnang sowie umgekehrt bietet sowohl aus Kapazitäts- als auch aus Fahrzeitgründen stets der Zugverkehr gegenüber dem Busverkehr die bessere Reisequalität und sollte daher von den Fahrgästen bevorzugt genutzt werden“, heißt es dort. „Bei der Kapazitätsbemessung und bei der Entscheidung für oder gegen einen Gelenkbus auf einzelnen Fahrten in diesem Korridor ist folglich die Gesamtsumme der angebotenen Fahrgastplätze bei Bus und Bahn maßgeblich.“