Aussterben von Tierarten in der Steinzeit
Wie die frühen Menschen die Tierwelt beeinflussten
Nicht die Eiszeit hat den großen Raubtieren wie Höhlenlöwe, Säbelzahntiger und Höhlenbär den Garaus gemacht, sondern der Frühmensch. Doch kleinere Aasfresser profitieren von dem Jagdverhalten, wie Tübinger herausgefunden haben.
Von Markus Brauer
Durch ihr Verhalten trugen Menschen vor rund 45.000 bis 29.000 Jahren dazu bei, dass sich die Zusammensetzung der aasfressenden Tierarten in ihrem Umfeld veränderte. Während kleinere Kulturfolger unter den Tieren, wie Füchse und manche Vogelarten, von der Anwesenheit der Menschen profitierten, wurden große Aasfresser wie Hyänen und Höhlenlöwen tendenziell verdrängt.
Das ergab eine umfassende Analyse von Daten aus archäologischen Fundstätten in Europa, die auch Überreste von Tieren bargen. Sie wurde durchgeführt von Chris Baumann vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen, Andrew W. Kandel von der Universität Tübingen und Shumon T. Hussain von der Universität Köln. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift „Quaternary Science Reviews“ veröffentlicht.
Aas als wichtige Nahrungsquelle
Obwohl viele Fleischfresser nicht nur selbst erlegte Beute verzehren, wird das Fressen von Aas bei der Betrachtung der Nahrungsketten häufig vernachlässigt.
„Auch die frühen Menschen vor mehr als 30.000 Jahren lebten nicht losgekoppelt von der Tierwelt, sondern waren in ein Beziehungsgeflecht mit Aasfressern eingebunden“, sagt Chris Baumann. Wie sich die verschiedenen Arten gegenseitig beeinflussten, sei aus heutiger Perspektive schwer nachzuvollziehen.
Frühe Menschen erlegten mehr Tiere, als sie selbst verzehrten
Um mehr zu erfahren, nutzten die Forscher die Datenbank ROAD der Forschungsstelle ROCEEH („The Role of Culture in Early Expansions of Humans“) der Universität Tübingen, der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, in der die Funddaten aus 2400 prähistorischen Fundstätten in Europa, Afrika und Asien digital gespeichert sind.
Sie bezogen dabei vor allem zooarchäologische Daten, die aus tierischen Überresten gewonnen werden konnten, an ehemals von Menschen besiedelten Orten in Europa in ihre Untersuchung ein.
„Wir gehen davon aus, dass frühe Menschen mit ihrem Jagdverhalten mehr Tiere erlegten, als sie selbst verzehrten, sodass mehr Aas vorhanden war“, erklärt Baumann. „Zunächst profitierten davon große Aasfresser.“
Aasfresser wurden geduldet
Das Verhältnis zwischen Menschen und aasfressenden Tieren sei im Zeitraum vor 130.000 bis 60.000 Jahren zunehmend weniger durch Konkurrenz geprägt gewesen. Allerdings hätten die Menschen auch dafür gesorgt, dass die großen Raubtiere nicht in die Nähe der Siedlungen kamen.
„Von kleinen Aasfressern wie Füchsen, Raben oder Krähen ging keine Gefahr aus, sodass sie wahrscheinlich geduldet wurden“, betont der Forscher. „Ähnlich ist es heute in städtischer Umgebung, wo wir Füchse und Waschbären tolerieren, nicht aber Wölfe.“ Eine besondere Dynamik habe sich in den Beziehungen zwischen Menschen und Aasfressern im Zeitraum vor rund 45.000 bis 29.000 Jahren entwickelt, und es kam zu einem Umbruch.
Verdrängung großer Tierarten
„Unsere Analyse ergab, dass in diesem Zeitraum, dem späten Pleistozän, die Ver-drängung der großen Aasfresser einsetzte – zugunsten der kleineren Arten, die teilweise sogar Vorteile aus dem Zusammenleben mit Menschen zogen“, erläutert Shumon Hussain. Auch archäologische Belege aus diesem Zeitraum ließen diesen Rückschluss zu.
Möglicherweise hätte der Umbruch auch damit zu tun, dass in diesem Zeitraum die ersten Populationen des modernen Menschen Homo sapiens in Europa erschienen und die letzten europäischen Neandertaler verdrängten. „Die Menschen entwickelten ihre Fähigkeiten weiter und erlegten so viele Tiere, dass im Nahrungsnetz deutlich mehr Energie verfügbar wurde“, ergänzt Baumann.
Das bewirkte Verhaltensanpassungen und evolutionäre Änderungen bei den aasfressenden Tieren, doch auch die Menschen selbst entwickelten neue Wege bei der Besiedlung der Landschaft. Sie formten dadurch Ökosysteme mit, die wiederum Einfluss auf ihre eigene Evolution gehabt haben könnten.