Wie viel Potenzial hat die Wasserkraft der Murr?
Energiewende vor der Haustür (7) Das Kraftwerk Rüflensmühle in Oppenweiler steht aktuell still, soll aber künftig 70 Kilowatt Leistung erbringen. Die Layhersche Mühle in Backnang ist ebenso außer Betrieb, da der Mühlkanal wegen der Arbeiten am Hochwasserschutz stillgelegt ist.
Von Matthias Nothstein
Backnang/Oppenweiler. Geht es um den Ausbau der erneuerbaren Energien, so werden meist Solar- und Windkraftanlagen als Erstes genannt, Wasserkraft spielt hingegen eine unbedeutende Rolle. Zu Recht? Wie hoch ist das Potenzial der Wasserkraft im Murrtal? Nach Ansicht von Jürgen Küenzlen, den Betreiber der Rüflensmühle in Oppenweiler, fristet diese Form der Energiegewinnung hierzulande zu Unrecht ein Schattendasein: „Für mich ist das die nachhaltigste Energieform, die zugleich eine ewige Nutzungsdauer hat.“ Und auch Historiker Gerhard Fritz, der den Mühlenatlas Baden-Württemberg herausgegeben hat, erinnert daran, dass die Wasserkraft im 19. und 20. Jahrhundert an vielen Stellen im Rems-Murr-Kreis genutzt wurde. Heute kann man die Generatoren an einer Hand abzählen und einige davon sind aus verschiedensten Gründen nicht in Betrieb.
So zum Beispiel die Anlage von Jürgen Küenzlen: Vor dreieinhalb Jahren hat er den Generator vom Netz genommen, weil einige dringende Wartungsarbeiten anstanden. Die Ausführung dieser Arbeiten hätte sich jedoch nicht mehr gerechnet, da der Um- und Ausbau der Wasserkraftanlage im Zuge des Hochwasserrückhaltebeckens Oppenweiler unmittelbar bevorstand. Dachte Küenzlen zumindest. Doch zu seinem Leidwesen verzögerte sich der Bau des Beckens von Jahr zu Jahr. Aktuell geht der Wasserverband Murrtal davon aus, dass das Becken Ende 2026 komplett fertig ist.
Die Pläne für den Ausbau liegen seit vielen Jahren in der Schublade
Wenn das stimmt, könnte Küenzlen dann mit dem Ausbau seines Kraftwerks beginnen. Die Pläne liegen seit vielen Jahren bereits in der Schublade. Und teure Gutachten, für die er bereits 30.000 Euro investiert hat. Die alte Anlage hatte eine Leistung von 32 Kilowatt und lieferte in guten Jahren bis zu 220.000 Kilowattstunden. Wenn in naher Zukunft das neue Schlauchwehr 300 Meter nördlich der Mühle gebaut ist, dann rechnet Küenzlen mit einer Spitzenleistung von 70 Kilowatt. Dies müsste zu erreichen sein, da die Stauhöhe nochmals 20 Zentimeter höher ist als die zuletzt genehmigte, die Fallhöhe daher auf über drei Meter steigt – die höchste im ganzen Murrtal – und die Durchflussmenge von bisher 1300 Litern pro Sekunde glatt verdoppelt wird. Zudem investiert der 51-Jährige etwa 350.000 Euro nicht nur in die Turbine am bisherigen Standort, sondern auch in ein neues Bauwerk etwas nördlich der Mühle, wo eine Wasserkraftschnecke einen zweiten Generator antreiben wird.
Das Burgstaller Kraftwerk Genkinger versorgt rechnerisch 90 Haushalte
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Aktuell in Betrieb ist weiter flussab das Kraftwerk Genkinger in Burgstall. Der Generator dort hat eine Leistung von maximal 55 Kilowatt und lieferte in guten Jahren bis zu 300.000 Kilowattstunden. Damit können rechnerisch etwa 90 Haushalte versorgt werden. Die erfreuliche Ausbeute war dem Engagement von Albert Genkinger geschuldet, der aus der Anlage auch noch das Letzte herausgeholt hat, sagt Bernd Eckhardt voller Anerkennung. Sein Schwiegervater habe mit viel Herzblut die Anlage und den Mühlkanal gewartet und dem jeweiligen Wasserstand Rechnung getragen. Seit Genkinger die Betreuung der Anlage nicht mehr übernehmen kann, läuft diese auf Automatikbetrieb und liefert nur noch 180.000 Kilowattstunden. Eckhardt würde dies gerne wieder ändern, das Kraftwerk erneuern und in die über 30 Jahre alte Steuerung investieren, zumal die Genehmigung, die immer 30 Jahre lang gültig ist, zum 31. Dezember 2022 abgelaufen ist. Ein Gutachten hat er bereits erstellen lassen. Aktuell weiß er aber nicht, welche Änderungen die Behörden von ihm verlangen und wie viel ihn das kostet, „alles ist in der Schwebe“. Sicher ist er sich nur in einem: „Die Fischereibehörde hat strenge Auflagen.“ Das Turbinenhaus des Burgstaller Kraftwerks liegt an einem 1,2 Kilometer langen Kanal. An einer Murrbiegung zweigt der Kanal geradeaus ab, läuft dann nach knapp einem Kilometer durchs Turbinenhaus und mündet nochmals 300 Meter weiter nach dem Sportplatz wieder in die Murr.
In der Backnanger Talstraße ist die Layhersche Mühle aktuell nicht mehr in Betrieb. Die dortige Wasserkraftanlage wurde von 1994 bis 2014 von Ulrich Stettner aus Löwenstein von der Stadt gemietet, aufgebaut und betrieben. In dieser Zeit leistete die Anlage 120.000 Kilowattstunden pro Jahr und versorgte auf diese Weise ungefähr 30 Haushalte mit Strom. Auch in diesem Fall war der Erfolg der Anlage eng mit dem Engagement des Betreibers verbunden. Stettner hatte die Francis-Turbine, die zuvor in Kiefersfelden am Inn im Einsatz war, von einem Abrissunternehmer gekauft und restauriert. Weil die Maschinen relativ langlebig sind, hatte sich dies rentiert.
Umbau wäre nur mit Fördermitteln wirtschaftlich möglich gewesen
2014 hat die Bürger-Energiegenossenschaft Murr die Anlage von der Stadt gemietet und an den seitherigen Betreiber Ulrich Stettner untervermietet, mit dem Ziel, den Standort zu ertüchtigen und eine neue Turbine einzubauen. Dieser Umbau wäre aber nur mit Fördermitteln wirtschaftlich möglich gewesen. Allerdings wurde die passende Förderung für kleine Wasserkraftanlagen vom Land Baden-Württemberg eingestellt. Als dann im Jahr 2018 der Mühlkanal für die Umsetzung der städtischen Hochwasserschutzmaßnahmen außer Betrieb genommen wurde, ging auch der Generator vom Netz. Und das hat sich bis heute nicht geändert, es wurde kein Strom mehr erzeugt. 2020 wurden der Mietvertrag und Untermietvertrag der Bürger-Energiegenossenschaft beendet.
Reich wird mit Wasserkraft an der Murr vermutlich kein Betreiber. Küenzlen erhielt all die Jahre nur 7,6 Cent pro Kilowattstunde an Einspeisevergütung. Hätte er die Anlage ökologisch zum Beispiel mit einer Fischtreppe aufgewertet, so wäre die Vergütung auf über zwölf Cent gestiegen. Aber dafür wären riesige Investitionen notwendig gewesen. Mit dem Bau des Rückhaltebeckens Oppenweiler wird nun eine Fischtreppe gebaut, die die Durchlässigkeit für alles Getier im Wasser deutlich verbessert.
Pleidelsheim Das Wasserkraftwerk Pleidelsheim ist ein Laufwasserkraftwerk am Neckar. Es wurde 1915 eingeweiht und war seinerzeit das größte Kraftwerk im Königreich Württemberg. Das Krafthaus der Anlage steht unter Denkmalschutz. Das Kraftwerk wird von der Süwag AG betrieben und hat eine installierte Leistung von 4.400 kW. Am Stauwehr Beihingen wird ein Stau von 3,96 Metern über Mittelwasser erzielt. Der parallel zum natürlichen Flusslauf des Neckars verlaufende Neckarkanal erzielt eine Fallhöhe von fast acht Metern, die am Krafthaus genutzt wird, wo das Wasser senkrecht in den Unterlauf fällt.
Technik Das Kraftwerk verfügt über vier Überdruckturbinen, die mehrfach ersetzt wurden, zuletzt 1984/85. Die Turbinen sind durch eine Stahlwelle mit einem Generator im Maschinensaal verbunden.
Ertrag Im Jahr 1989 wurde mit 32 Millionen Kilowattstunden die größte Jahresproduktion erreicht. Seit dem Ausbau des Neckars in den 1950er-Jahren hat die Schifffahrt auf dem Fluss Priorität vor der Stromerzeugung. Mit den 22,9 Millionen Kilowattstunden aus dem Jahr 2021 können rechnerisch 7.630 Haushalte versorgt werden.
Norwegen Fast der gesamte Strombedarf von Norwegen wird aus Wasserkraft gewonnen. Das Land verfügt über 1700 Wasserkraftwerke, die im Jahr 2020 rund 88 Prozent der Stromversorgung abdeckten. In Norwegen gibt es mehr als 1000 Wasserreservoirs, die die Speicherung von bis zu 70 Prozent des jährlichen Stromverbrauchs ermöglichen. Diese Speicher sorgen für viel Flexibilität. Schwankungen bei Niederschlägen oder aufgrund von Schneeschmelzen können so ausgeglichen werden und beeinflussen die Stromerzeugung aus Wasserkraft nicht. Zumal Norwegen über ein leistungsfähiges Speichersystem verfügt, mit dem auch andere erneuerbare Energiequellen wie Wind- und Sonnenkraft gut integriert werden können.