Bundesweiter GDL-Streik legt auch Bahnverkehr im Rems-Murr-Kreis lahm
Gestern fuhren auch die Züge von und nach Backnang in undurchschaubarem Takt. Die vielen Ärgernisse der vergangenen Monate rund um die Deutsche Bahn scheinen sich bei den Pendlerinnen und Pendlern auch negativ auf das Verständnis für den Streik auszuwirken.
Von Kai Wieland
Rems-Murr. Schüler auf dem Weg zum Busbahnhof, wartende Personen am Bahnsteig, beim Bäcker oder in der Wartehalle – wer sich am Donnerstagmittag trotz des angekündigten flächendeckenden Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im Nah- und Fernverkehr der Deutschen Bahn an den Backnanger Bahnhof wagte, traf dort erstaunlicherweise den einen oder anderen Pendler an. „Hier war schon sehr wenig los“, sagte zwar ein Mitarbeiter des Kiosks in der Bahnhofsunterführung, vereinzelt verirrten sich aber doch Kunden in seinen Laden. Auch die Einrichtungen in der Bahnhofshalle waren geöffnet und besetzt, einschließlich des Schalters im DB-Reisezentrum. „Die meisten Leute kommen, weil sie Fragen zu ihren Tickets haben, die sie jetzt nicht nutzen können“, ist von dem Bahnbediensteten zu hören. Überrascht worden seien von dem Streik nur wenige, „vielleicht ein, zwei Leute“.
Zu ihnen gehörte Melanie Potzkewitz, die unterwegs zu ihrem Arbeitsplatz in Stuttgart war und nun den Bahnsteig hoch und runter schlenderte, um sich die Wartezeit zu vertreiben. „Ich habe für den Streik kein Verständnis“, sagte sie sichtlich verärgert. „Es ist in letzter Zeit sowieso schon so schlimm geworden mit der Bahn und jetzt auch noch das.“ Der Frust ist nachvollziehbar, obwohl die Gewerkschaften für die jüngsten Einschränkungen im Bahnverkehr im Allgemeinen nur wenig können. Aber auf welchen Zug warteten Melanie Potzkewitz und die umstehenden Pendlerinnen und Pendler überhaupt am Tag eines flächendeckenden Bahnstreiks?
Go-Ahead fährt – aber nur dort, wo nicht gebaut wird
Tatsächlich stand der Zugverkehr am Donnerstag, anders als beim bundesweiten Streik der Gewerkschaften EVG und Verdi im Frühjahr (wir berichteten), nicht völlig still. Bestreikt wurde nur die Deutsche Bahn, nicht aber andere Verkehrsunternehmen wie Go-Ahead oder SWEG Bahn Stuttgart. Vom Streik betroffen waren in der Region sämtliche S-Bahnen einschließlich der Linien S3 und S4, lediglich die am stärksten frequentierte S1 sollte laut VVS im Stundentakt verkehren. Ebenso traf der Streik zahlreiche Regionalzüge und Nebenbahnen, darunter die Linie MEX19/90 aus Schwäbisch Hall-Hessental über Backnang nach Stuttgart.
Nicht unmittelbar betroffen waren hingegen die Züge von Go-Ahead, also auch die Linie RE90 (Stuttgart–Nürnberg), wobei dennoch vor Einschränkungen im Zusammenhang mit dem Streik gewarnt wurde.
Da verlor manch einer schnell den Überblick. Welche Verbindungen nun im Einzelnen gefahren und welche ausgefallen seien, könne man auf so regionaler Ebene gar nicht mehr nachvollziehen, äußerte sogar ein Sprecher der Deutschen Bahn selbst auf Nachfrage. Trotz des Streiks seien nämlich vereinzelt Züge der Deutschen Bahn unterwegs gewesen. „Wir haben ja ein Notfallprogramm, das aber natürlich nicht das gesamte Angebot abdeckt“, so der Sprecher weiter.
Einen genaueren Überblick über die eigenen faktisch abgefahrenen Züge gewährte das Unternehmen Go-Ahead. Zwischen 5 und 14 Uhr fuhren demnach die sehr früh am Morgen verkehrenden Zugnummern 52365 (5.05 Uhr), 88630 (6.05 Uhr), 52368 (7.37 Uhr) und 88610 (8.38 Uhr) von Backnang nach Stuttgart. Dass danach den ganzen Vormittag über keine weiteren RE-90-Züge mehr Backnang passierten, hängt mit einer unabhängig vom Streik verlaufenden Baumaßnahme der DB Netz zusammen: Aufgrund von Schweißarbeiten am Oberbau verkehren seit 13. November bis zum 17. November sowie vom 20. bis zum 27. November zwischen 9.30 Uhr und 15.30 Uhr die Züge des RE90 zwischen Waiblingen und Crailsheim nicht über Backnang, sondern werden über Aalen umgeleitet.
Welcher Zug kommt, welcher nicht?
So begrüßenswert es war, dass überhaupt Züge fuhren, so sehr sorgte die Unregelmäßigkeit für Verwirrung. „Ich bin heute Morgen mit dem Regionalzug gekommen und will jetzt nach der Arbeit nach Hause“, erzählte eine Bahnpendlerin, die wie einige weitere Personen an Gleis 4 auf den für 12.38 Uhr angekündigten RE90 nach Stuttgart wartete. Bei einem erneuten Blick auf die Anzeigetafel war die Verbindung jedoch verschwunden, der nächste Zug ließ eine weitere Stunde auf sich warten. „Das darf doch nicht wahr sein“, stöhnte die Frau und nahm zähneknirschend wieder Platz.
Beinahe entspannt konnten dagegen die Pendlerinnen und Pendler aus den Anrainergemeinden der Linie S4 dem Streik entgegenblicken, jedenfalls sofern sie nur zwischen Backnang und Marbach am Neckar unterwegs sein mussten – aufgrund von Bauarbeiten verkehren zwischen den beiden Städten seit vergangener Woche bis zum 20. November nämlich ohnehin mal wieder keine Züge. Dafür gibt es einen Schienenersatzverkehr, der auch am Donnerstag zuverlässig seinen Dienst tat.
Wie sehr der Streik die breite Öffentlichkeit getroffen hat, ist fraglich. Die meisten Bahnreisenden haben längst einen Notfallmodus entwickelt, auf den sie bei Bedarf zurückgreifen können. In einer nicht repräsentativen Umfrage in den sozialen Netzwerken gaben bis zum frühen Abend 31 Prozent an, sich für Homeoffice entschieden zu haben, wohingegen 19 Prozent antworteten, auf ein eigenes Fahrzeug umgestiegen zu sein. Lediglich zehn Prozent hatten im bestehenden ÖPNV-Angebot nach Alternativen gesucht. 40 Prozent gaben an, vom Streik nicht betroffen gewesen zu sein, da sie ohnehin nie mit der Bahn fuhren. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) sagte außerdem, kein Verständnis für den Streik zu haben. Weitere 30 Prozent meinten, dass der Streik zwar grundsätzlich nachvollziehbar sei, die GDL den Bogen aber diesmal überspanne. Lediglich 16 Prozent gaben dem Streik Rückendeckung – die zuletzt überstrapazierte Frustrationstoleranz dürfte dabei eine Rolle spielen.
Auf dem Papier wurde der Streik um 18 Uhr beendet, die Auswirkungen hielten aber den ganzen Abend über an, teilweise wohl bis zum Betriebsschluss.