Ein musikalischer Weg in Schleifen

Bands von hier Der Musiker Gitze ist vielen insbesondere als Schwabenrocker bekannt, der mit seiner Band die Songs von Wolle Kriwanek und Co. aufleben lässt. Sein offener Umgang mit prägenden Begegnungen und Ereignissen in seinem Leben war dabei der Schlüssel zum Erfolg.

Günter Deyhle, besser bekannt als Gitze, genießt die Zeit auf der Bühne, teilt das Rampenlicht aber noch lieber mit anderen Musikern. Auch den Besuchern der Belinda hat er gemeinsam mit anderen den Schwabenrock von Wolle Kriwanek und Co. nahegebracht. Fotos: Edgar Layher

© Edgar Layher

Günter Deyhle, besser bekannt als Gitze, genießt die Zeit auf der Bühne, teilt das Rampenlicht aber noch lieber mit anderen Musikern. Auch den Besuchern der Belinda hat er gemeinsam mit anderen den Schwabenrock von Wolle Kriwanek und Co. nahegebracht. Fotos: Edgar Layher

Von Kai Wieland

Spiegelberg. „Wohin noch mag mein Weg mich führen?“, lässt der Schriftsteller Hermann Hesse seinen Protagonisten der Erzählung „Siddharta“ sich fragen. „Närrisch ist er, dieser Weg, er geht in Schleifen, er geht vielleicht im Kreise. Mag er gehen, wie er will, ich will ihn gehen.“

Oftmals ist es nicht der direkte Weg, der zum Ziel führt, davon kann auch der Musiker Günter Deyhle, vielen besser bekannt unter dem Namen Gitze, im wahrsten Sinne der Wortes ein Lied singen. „Auch wenn mal etwas stillsteht, muss ich selbst ja nicht stillstehen. Ich mache einfach weiter“, sagt der in Großhöchberg lebende Künstler. Seit der Pandemie seien er und seine beiden Bandprojekte Gitze&Band sowie Gitze& die Bretter-Combo ein Stück weit außen vor, stellt er ganz nüchtern fest. „Ich bin darüber aber nicht verbittert“, versichert er. Das gebe ihm immerhin die Gelegenheit, sich Neuem zuzuwenden und Dinge auszuprobieren.

Es ist schließlich auch nicht das erste Mal, dass der in Steinheim an der Murr im Ortsteil Höpfigheim geborene Musiker sich neu orientieren muss. Als Jugendlicher spielte er Schlagzeug, Klarinette und Gitarre, bis zu jenem schicksalhaften Tag, an dem er mit dem Moped unterwegs war und eine Autofahrerin ihm die Vorfahrt nahm. Der damals 16-Jährige krachte durch die Scheibe, dabei wurde ein Fingerglied an der linken Hand abgetrennt, bis heute kann er es nicht beugen, um damit zu greifen. Gitarre und Klarinette hatten sich damit erledigt. Schlagzeug spielte er zwar noch einige Jahre, warf mit Anfang 20 aber auch die Drumsticks in die Ecke.

Der Weg zurück zur Musik

Erst mit Mitte 30 führte ihn seine Leidenschaft für die Musik als Sänger zurück auf die Bühne, dann ging es Schlag auf Schlag. Die Steinheimer Band Gitze&The Good Vibes coverte Songs von Bruce Springsteen oder The Doors, mitunter auf durchaus unkonventionelle Weise. „Auf dem Album ist eine Version vom Roadhouse Blues, in die ich ein Gedicht von Jim Morrison eingearbeitet habe. Live hatten wir dafür sogar eine Geige dabei, es war schon teilweise abgefahren, was wir so gemacht haben.“ Dennoch waren die Good Vibes im Jahr 2003 Geschichte, die Bandmitglieder verfolgten unterschiedliche Ziele.

Für Günter Deyhle begann 2004 das Kapitel Gitze Roadshow. Mit seiner neuen Band wendete er sich dem gesamten Spektrum des Deutschrocks zu, von Extrabreit über Bauer, Garn&Dyke und Wolf Maahn bis hin zu Zeltinger – und auch von einem gewissen Wolle Kriwanek, der im Vorjahr überraschend viel zu früh verstorben war, hatte man den einen oder anderen Song im Repertoire.

Kriwanek und Gitze liefen sich gelegentlich über den Weg

Wolle Kriwanek und Gitze waren einander gut bekannt, wenngleich nicht im engeren Sinne befreundet. Als Musiker aus der Region liefen sie sich gelegentlich über den Weg und als Kriwanek elf Tage vor seinem Tod im April 2003 sein letztes Konzert in der Belinda in Sulzbach an der Murr gab, hatte Gitze als Organisator und Vermittler gewirkt. „Ich wünschte mir damals den Song ‚Halbzeit‘, eine Ballade, in der es darum geht, dass die Hälfte unseres Lebens bereits vorbei ist“, erzählt er nachdenklich. „Das war auch so ein magischer Moment. Wenn ich an diese eine Pianostelle in dem Song denke, bekomme ich immer noch Gänsehaut.“

Als noch prägender sollte sich für Gitze allerdings die Bekanntschaft mit Paul Vincent, dem langjährigen musikalischen Begleiter Kriwaneks, erweisen. „Paul stand ja oft im Schatten von Wolle, aber er hat mit allen Großen zusammengearbeitet. Er hat mit Sting produziert, mit Meat Loaf, mit Gianna Nannini...“, erinnert sich Gitze. „Paul hat mir bei unserer Zusammenarbeit seine menschliche und musikalische Freundschaft angeboten. Ich habe ihn im Grunde als späten Mentor empfunden.“

Eine schicksalhafte Schleife

Zum ersten engeren Kontakt zwischen Paul Vincent und Gitze kam es, „Siddharta“ lässt grüßen, durch eine Schleife: In Stuttgart-Stammheim, dem Geburtsort von Wolle Kriwanek, wurde 2007 die altehrwürdige Straßenbahnlinie 5, die dort an einer Schleife wendete und die von der Wolle Kriwanek Band im Song „Stroßabah“ gewürdigt wurde, verabschiedet – ein Anlass, zu dem Paul Vincent mit seiner Band Vincent Rocks angefragt wurde. Paul Vincent hatte die Titel zwar fast alle komponiert und gespielt, aber als gebürtiger Ostwestfale nie schwäbisch gesungen. Paul Vincents Booker Peter Morscheck wendete sich daher an Gitze, der mit Gitze Roadshow bereits die „Stroßaboh“ und ein paar weitere Hits von der Wolle Kriwanek Band im Programm hatte.

In der Folge verlegte sich die Roadshow überwiegend auf Songs der Wolle Kriwanek Band und auf eigene Adaptionen bekannter Titel. Im Rahmen der Einweihung der umgebauten Bahnschleife in Stammheim wurden Gitze und seine Band 2011 zu einem weiteren Auftritt engagiert und schließlich kam es 2013 zu einem Memorialkonzert anlässlich des zehnten Todestags von Wolle Kriwanek im Bildungszentrum Weissacher Tal. Der Abend, an dem neben Paul Vincent auch bekannte Gäste wie Thomas Roth und Sebastian Scheuthle mitwirkten, wurde mitgeschnitten und als Doppel-CD „Danke mir geht’s gut – Das Beste von Wolle Kriwanek und Paul Vincent“ veröffentlicht.

Freunde in der Musik und im Leben: Gitze (links) und Paul Vincent (rechts) beim Release-Konzert zu „Schwabenrock – die Zweite“ (2014) in Sulzbach an der Murr. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Freunde in der Musik und im Leben: Gitze (links) und Paul Vincent (rechts) beim Release-Konzert zu „Schwabenrock – die Zweite“ (2014) in Sulzbach an der Murr. Foto: Alexander Becher

Im Jahr darauf folgte das Studioalbum „Schwabenrock – die Zweite“, welches maßgeblich von Paul Vincent und dessen Kontakten in die Musikbranche geprägt wurde. „Wenn man schaut, wer da so mitgemacht hat, das spricht für sich“, sagt Gitze. Die Rede ist etwa von Schlagzeuger Andreas Keller, der heute bei der Spider Murphy Gang spielt, oder von Günther Gebauer, der als Studiobassist einen fast legendären Ruf innehat. „Paul wollte die Songs von Wolle nach seinen Vorstellungen noch einmal produzieren“, erzählt Gitze. „Er hat mich darin bestärkt, Wolle nicht zu kopieren, sondern mein Ding zu machen.“ Paul Vincent ist 2016 nach einem Herzinfarkt verstorben, doch seine Bedeutung für Gitze hält an.

Eine Reise mit Umwegen

„Das alles hat mein ganzes späteres Leben so dermaßen positiv beeinflusst“, erzählt Gitze, der mit seinem Werdegang sichtlich im Reinen ist. Über die Jahre hat er vieles ausprobiert, nicht nur musikalisch, hat privat Schauspielunterricht genommen und Chakrenatmung praktiziert. „Ich habe dadurch Menschen kennengelernt, mit denen ich sonst nicht in Kontakt gekommen wäre.“ Vor allem die Schauspielerei habe ihm wichtige Einsichten vermittelt. „Ich habe dadurch verstanden, wie ich mich in Stimmungen versetzen kann. Wenn ich heute allein im Wohnzimmer Gitarre spiele, dann empfinde ich dabei pure Freude.“

Gitarre? Ganz recht, denn auch wenn das Fingerglied der Greifhand weiterhin die Beugung verweigert, hat Gitze wieder begonnen, das Instrument zu spielen – und zwar mit links, so mühsam dieser Weg mit Anfang 60 ist. „Ich übe jeden Tag anderthalb bis zwei Stunden“, verrät der Musiker, der auch wieder an einem neuen Album tüftelt und nebenbei halbtags im Büro eines Steinheimer Unternehmens arbeitet, wo er auch ab und zu Kulturveranstaltungen wie ein Open-Air-Kino organisiert. Das Spielen vor Publikum fehle ihm zwar, aber als anpassungsfähig hat er sich schließlich immer erwiesen. „Erfolg ist für mich, wenn man jeden Tag in den Spiegel schauen und aufrecht gehen kann“, sagt Gitze.

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Erstellt:
27. Oktober 2023, 11:00 Uhr

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