Backnang: Viele neue Tempolimits gegen den Lärm

Die Grenzwerte für Straßenlärm werden in Backnang an vielen Stellen überschritten. Ein Gutachter schlägt deshalb vor, die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten auf den Hauptverkehrsstraßen zu reduzieren. Im Gemeinderat gibt es für diese Idee nicht nur Beifall.

Tempo 30 auf der Bundesstraße? In der Maubacher Ortsdurchfahrt wird das auf der B14 wohl bald Realität. Bei fünf Gebäuden haben Experten dort Lärmpegel von mehr als 70 Dezibel berechnet. Der Grenzwert liegt bei 65 Dezibel. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Tempo 30 auf der Bundesstraße? In der Maubacher Ortsdurchfahrt wird das auf der B14 wohl bald Realität. Bei fünf Gebäuden haben Experten dort Lärmpegel von mehr als 70 Dezibel berechnet. Der Grenzwert liegt bei 65 Dezibel. Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Lärm macht krank – das ist wissenschaftlich erwiesen. So steigt zum Beispiel das Risiko für Bluthochdruck und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch eine dauerhafte Lärmbelastung nachweislich. Die Europäische Union verlangt deshalb von ihren Mitgliedsstaaten, dass sie die Bürgerinnen und Bürger wirkungsvoll vor Dauerlärm, etwa durch Straßenverkehr, schützen. Dafür gibt es Grenzwerte: So darf der Lärmpegel innerhalb von 24 Stunden einen Mittelwert von 65 Dezibel nicht überschreiten, nachts zwischen 22 und 6 Uhr liegt der Grenzwert bei 55 Dezibel. Wo diese Schallwerte überschritten werden, müssen die Städte und Gemeinden aktiv werden.

Und das ist in Backnang an ziemlich vielen Stellen der Fall: Laut einem Gutachten des Stuttgarter Büros Planung und Umwelt wird der Tagesgrenzwert hier an 426 Gebäuden mit insgesamt 970 Bewohnern überschritten. Nachts sind sogar mehr als 1100 Personen in 477 Häusern betroffen. Wobei es sich hierbei nicht um gemessene, sondern um berechnete Werte handelt, die die Experten auf Basis des Verkehrsaufkommens und der gefahrenen Geschwindigkeiten ermittelt haben.

Besonders laut ist es demnach entlang der B14 in Maubach und Strümpfelbach, aber auch an vielen innerörtlichen Straßen wie der Weissacher Straße, der Stuttgarter Straße oder der Eugen-Adolff-Straße. Auch die Bewohner der Stadtteile haben unter dem Straßenlärm zu leiden: Laut Gutachten werden die Grenzwerte sowohl an den Ortsdurchfahrten von Waldrems und Heiningen als auch in Steinbach und Strümpfelbach an vielen Stellen überschritten.

Eine Reduzierung auf Tempo 30 senkt den Lärm um drei Dezibel

Um das Problem zu entschärfen, will die Stadt Backnang nun einen sogenannten Lärmaktionsplan aufstellen. Dazu wäre sie zwar eigentlich nur an Bundes- und Landesstraßen verpflichtet, aber Oberbürgermeister Maximilian Friedrich will keine Unterschiede machen. Es gehe ihm nämlich nicht nur um die reine Pflichterfüllung, sondern darum, „die Lärmbelastung in unserer Stadt systematisch anzugehen und gezielt zu reduzieren“, sagte er bei einer gemeinsamen Sitzung des Aussschusses für Technik und Umwelt und der Ortschaftsräte aus den fünf Stadtteilen.

Wie das funktionieren könnte, erläuterte Michael Koch vom Büro Planung und Umwelt. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, um Straßenlärm zu reduzieren: vom lärmmindernden „Flüsterasphalt“ über Durchfahrtsverbote für Lkw bis zu Lärmschutzwällen und -wänden. Die effektivste und auch kostengünstigste Maßnahme sei aber eine Reduzierung der Geschwindigkeit.

Bremst man beispielsweise den Verkehr von 50 auf 30 Kilometer pro Stunde herunter, sinke der Lärm an den Straßen im Schnitt um knapp drei Dezibel. Das klingt nach wenig, entspricht laut Koch aber tatsächlich einer Halbierung der Schallintensität. Bei Tempo 40 sei immerhin noch ein Rückgang um etwa 1,2 Dezibel zu erwarten. Deshalb empfiehlt der Gutachter für viele Straßen in Backnang ein verschärftes Tempolimit (siehe Infotext).

Weitere Maßnahmen wären notwendig

Gelöst wird das Lärmproblem allein dadurch allerdings noch nicht: Laut Kochs Berechnungen sind auch danach noch mehr als 800 Personen von Lärmwerten über den Grenzwerten betroffen. Die Stadt müsste also noch mit weiteren Maßnahmen, etwa durch Zuschüsse für Schallschutzfenster, nachsteuern. Allerdings brächten die Tempolimits bereits eine spürbare Entlastung für alle Lärmgeplagten.

Entscheiden muss darüber letztlich der Backnanger Gemeinderat, doch die Stadträte taten sich in der Ausschusssitzung sichtlich schwer mit den Empfehlungen des Experten. „Wir brauchen auch eine gewisse Akzeptanz und müssen aufpassen, dass wir es nicht übertreiben“, warnte etwa Armin Dobler (SPD). Er störte sich vor allem an dem Vorschlag, sogar auf der B14 in der Maubacher Ortsdurchfahrt Tempo 30 einzuführen. Da dort nur wenige Wohnhäuser stehen, wäre dies aus seiner Sicht nicht unbedingt notwendig. Auch CDU-Stadtrat Gerhard Ketterer befürchtet, dass es in der Bevölkerung Widerstand gegen weitere Tempolimits geben wird. Grünen-Fraktionschef Willy Härtner warnte vor einem „Flickenteppich“ aus unterschiedlichen Tempolimits. Das irritiere die Autofahrer und störe den Verkehrsfluss durch ständiges Abbremsen und erneutes Anfahren.

Öffentlichkeit wird beteiligt

Auf Drängen der Verwaltungsspitze stimmte der Ausschuss dem Entwurf für den Lärmaktionsplan bei drei Enthaltungen und einer Gegenstimme von der AfD am Ende aber trotzdem vorläufig zu. Das Votum der Ortschaftsräte fiel einstimmig aus.

Baubürgermeister Stefan Setzer hatte zuvor noch einmal deutlich gemacht, dass es sich um ein mehrstufiges Verfahren handelt. Gibt auch der Gemeinderat am Donnerstag grünes Licht, wird zunächst die Öffentlichkeit beteiligt. Die Bürger haben dann ebenso wie die sogenannten Träger öffentlicher Belange sechs Wochen Zeit, um Bedenken und Einwände vorzubringen. So ist etwa noch zu klären, welche Auswirkungen eine Reduzierung der Höchstgeschwindigkeiten auf die Pünktlichkeit der Busse hat. Anschließend wird der Lärmaktionsplan dann ein weiteres Mal im Gemeinderat diskutiert und kann auf Wunsch des Gremiums auch noch geändert werden.

Oberbürgermeister Maximilian Friedrich machte allerdings deutlich, dass die Bevölkerung einen Anspruch darauf hat, dass die Stadt sie vor gesundheitsschädlichem Lärm schützt. Dabei müsse man alle Betroffenen gleich behandeln. Allein der Wunsch vieler Autofahrer, lieber schneller zu fahren, dürfte als Argument gegen die geplanten Tempolimits deshalb wohl nicht ausreichen.

Empfehlungen für den Lärmschutz

B14 An der Bundesstraße sind vor allem die Anwohner in Maubach und Strümpfelbach besonders vom Lärm betroffen. In Maubach empfehlen die Gutachter deshalb, bis zum Bau der neuen Trasse auf einer Länge von rund 200 Metern die Höchstgeschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde zu reduzieren. In Strümpfelbach soll künftig nur noch Tempo 50 erlaubt sein. Aktuell darf man dort noch 70 Kilometer pro Stunde fahren.

Tempo 40 Innerhalb der Stadt soll künftig auf mehreren wichtigen Ausfallstraßen Tempo 40 gelten. Die Experten vom Büro Planung und Umwelt empfehlen diese Geschwindigkeitsreduzierung für die Weissacher Straße, die Stuttgarter Straße, die Sulzbacher Straße und die Gartenstraße.

Tempo 30 Auf weiteren innerörtlichen Straßen soll die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde begrenzt werden. Nach der bisherigen Planung betrifft das die Ortsdurchfahrten von Heiningen, Waldrems, Strümpfelbach und Steinbach, die Aspacher Straße zwischen Mörikeschule und Kreisverkehr, den Dresdener und den Berliner Ring, die Stuttgarter Straße und die Blumenstraße zwischen Kawag-Kreisel und Adenauerplatz sowie die Eugen-Adolff-Straße.

Schallschutzfenster Für Gebäude, bei denen die Grenzwerte trotzdem weiterhin überschritten werden, schlagen die Gutachter ein Schallschutzfensterprogramm vor. Hauseigentümer könnten dann für den Austausch der Fenster einen Zuschuss von bis zu 75 Prozent von der Stadt erhalten.

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Erstellt:
24. April 2023, 06:00 Uhr

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