Die Würde des Menschen ist sein Maßstab
Zu seinem 85. Geburtstag würdigen zahlreiche Weggefährten die Lebensleistung von Robert Antretter. Mit einem klaren Wertekompass hat sich der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete in zahlreichen Ehrenämtern für die Schwachen in der Gesellschaft eingesetzt.
Von Kornelius Fritz
Backnang. Als ehemaliger Politiker nicht nur Respekt und Anerkennung über alle Parteigrenzen hinweg zu genießen, sondern sogar als eine Art moralische Instanz zu gelten – das schaffen nicht viele. Robert Antretter ist es gelungen, weil er ein Mensch ist, der nicht die Spaltung, sondern das Verbindende sucht. Das wurde beim Empfang zu seinem 85. Geburtstag deutlich, der am Montag in den Räumen des stationären Hospizes in Backnang stattfand.
Der Ort war nicht zufällig gewählt, denn die Hospizbewegung ist eines der Herzensthemen, für das sich Robert Antretter viele Jahre ehrenamtlich engagiert hat. Hinzu kommen sein Einsatz für Menschen mit Behinderung in seiner Funktion als Bundesvorsitzender der Lebenshilfe sowie verschiedene Ehrenämter in der katholischen Kirche. Auch im Tierschutz war der gebürtige Münchner aktiv.
Dabei ging es dem SPD-Politiker, der von 1980 bis 1998 im Bundestag saß, aber nie darum, sich mit irgendwelchen Posten zu schmücken. Robert Antretters Motivation sei es viel mehr gewesen, „mitzuhelfen, eine humane, menschenwürdige, tolerante und an christlichen Grundsätzen orientierte Gesellschaft zu schaffen“, sagte sein Parteifreund und Vorsitzender der Hospizstiftung Rems-Murr, Heinz Franke.
Immer an der Seite der Schutzbedürftigen
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„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Sowohl Heinz Franke als auch der stellvertretende Vorsitzende des Backnanger SPD-Ortsvereins, Armin Dobler, erinnerten an diesen ersten Artikel unseres Grundgesetzes, der für Robert Antretter Maßstab seines Handelns war und ist. „Deshalb steht er immer an der Seite derer, deren Würde besonders schutzbedürftig ist oder bereits angetastet wurde“, sagte Dobler. Etwa Menschen mit Behinderung, Opfer von sexuellem Missbrauch oder Todkranke in ihrer letzten Lebensphase. Den Begriff Menschenwürde habe Antretter dabei nie nur als juristischen Terminus verstanden, sondern als „seine ganz persönliche lebenslange Verpflichtung“, sagte Franke. Seinem eigenen Wertekompass fühlte sich Antretter im Zweifel auch mehr verpflichtet als der Fraktionsdisziplin. Als es im Bundestag etwa um eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts ging, stimmte der gläubige Katholik gegen die SPD-Parteilinie ab. Der damalige Fraktionschef Hans-Jochen Vogel habe dafür Verständnis gehabt, erinnert sich Antretter.
Erster Bürgermeister Stefan Setzer, der den erkrankten OB Maximilian Friedrich vertrat, bezeichnete den Jubilar als Vorbild, das auch immer wieder andere zum ehrenamtlichen Engagement motiviert habe. „Es gibt viele Dinge, die staatliche Organisationen nicht leisten können. Wir brauchen deshalb Menschen, die mehr tun, als man unbedingt tun muss“, sagte Setzer. Menschen wie Robert Antretter.
Der Jubilar wirbt für Kompromissbereitschaft
Weitere Glückwünsche überbrachten Michael Balzer (Lebenshilfe Rems-Murr), Manfred Bergmüller (TSG Backnang Fußball), der ehemalige Heininger Ortsvorsteher Leonhard Groß sowie der katholische Pfarrer Wolfgang Beck und sein evangelischer Amtskollege Dekan Rainer Köpf. Letzterer auch in gesungener Form mit dem Choral „Bis hierher hat mich Gott gebracht“, den er selbst auf dem Akkordeon begleitete. Der Jubilar, der Anfang der 1970er-Jahre wegen seiner Stelle als Landesgeschäftsführer der SPD in Stuttgart vom Nordschwarzwald nach Waldrems gezogen war, bezeichnete den Empfang mit zahlreichen Freunden und Weggefährten als „schönstes Geschenk“. Gleichzeitig nutzte er seine Dankesrede aber auch für einen weiteren Appell für mehr Verständigung in Politik und Gesellschaft. „Wer glaubt, nur er habe recht, der ist nicht in der Lage, aufzumerken, was andere sagen.“ Dabei sei es gerade in der heutigen Zeit wichtig, auch andere Meinungen zu hören und Kompromisse einzugehen. „Lupenreine Politik kann man nur machen, wenn man lupenreine Mehrheiten hat. Aber ich bin mir gar nicht sicher, ob das wünschenswert wäre“, sagte Antretter. Ihm sei es immer wichtig gewesen, sich über Grenzen hinweg zu verstehen. Dass auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Inge Gräßle zu den Gratulanten zählte, hat den SPD-Mann deshalb ganz besonders gefreut.
Welche Wertschätzung Robert Antretter in Politik und Gesellschaft genießt, zeigt sich auch an den Absendern der Glückwünsche, die ihn zu seinem Ehrentag erreicht haben.
Horst Köhler Der Alt-Bundespräsident, der selbst als Kind einige Monate in Backnang gelebt hat, gratulierte per Brief aus Berlin. Darin heißt es: „Auch heute, wo vieles auseinanderzubrechen droht und manche sich am liebsten aus allem heraushalten würden, sind Sie weiterhin zur Stelle und erheben Ihre Stimme für mehr Achtsamkeit und Miteinander, und das weit über das schöne Backnang hinaus. Das verdient Anerkennung und Dank.“
Herta Däubler-Gmelin Die ehemalige Bundesjustizministerin war Robert Antretters Vorgängerin als SPD-Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Backnang/ Schwäbisch Gmünd. In ihrer Grußbotschaft erinnerte sie an viele gemeinsame Erlebnisse: „Die politische Aufbauarbeit mit Erhard Eppler hier in Baden-Württemberg, die Du, lieber Robert, so maßgeblich mitgestaltet hast, gehört genauso dazu wie unsere gemeinsame Arbeit in Bonn und Berlin.“
Ulla Schmidt Robert Antretters Engagement bei der Lebenshilfe würdigte deren Bundesvorsitzende. Die frühere Gesundheitsministerin schreibt an den Jubilar: „Deine Hartnäckigkeit im Eintreten für die Belange von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung hat mich sehr beeindruckt.“ Unter anderem sei es Antretter zu verdanken, dass 2017 Sebastian Urbanski als erster Mensch mit Downsyndrom im Deutschen Bundestag sprechen durfte.
Gebhard Fürst Der emeritierte Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart bezeichnete Robert Antretter in seiner Grußbotschaft als „eine der verdienstvollsten ehrenamtlich engagierten Persönlichkeiten während der über zwei Dekaden meiner Amtszeit“. Antretter gehöre zu den Menschen, „die in ihren politischen Überzeugungen die menschliche Aufrichtigkeit immer den erwünschten Opportunitäten vorgezogen haben“.
Dieter Spöri Der ehemalige baden-württembergische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident, der heute in Berlin lebt, kennt den Jubilar schon seit Anfang der 70er-Jahre und erinnert sich unter anderem an „legendäre Ortsvereinssitzungen im Waldheim Backnang“. An Robert Antretter beeindruckt Spöri besonders dessen „ausgeprägte Eigenschaft, bei der Begegnung und Gesprächen mit Menschen wirklich zuzuhören und auf jeden sensibel einzugehen“. Genau diese Fähigkeit sei der Grund für Antretters hohe Glaubwürdigkeit und Beliebtheit.