Holocaust-Gedenken: Die Schrecken des Dritten Reichs vergegenwärtigt
Der Heimat- und Kunstverein Backnang erinnert mit einer berührenden Gedenkfeier in der Friedhofkapelle an den Holocaust.
Von Klaus J. Loderer
Backnang. Der Arbeitskreis Gedenken und Erinnern des Heimat- und Kunstvereins Backnang hat mit seinen 2016 eingeführten Holocaust-Gedenkveranstaltungen in der Friedhofkapelle im Stadtfriedhof schon eine kleine Tradition geschaffen. Vor 79 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit. In diesem Jahr lag die Gedenkfeier in Backnang exakt an diesem Tag.
Die vom früheren Vorsitzenden Ernst Hövelborn konzipierte Veranstaltung hatte in diesem Jahr den Vergleich zwischen der Hölle von Auschwitz und der Beschreibung der Hölle durch den italienischen Schriftsteller Dante zum Thema. Pia Sophie Stahl, die auch als Cassiopia bekannt ist und am Gymnasium in der Taus unterrichtet, sorgte musikalisch für einen bemerkenswerten Rahmen, indem sie musikalische Stimmungsmotive einstreute, die Themen aus Hövelborns Vortrag auf- oder vorwegnahmen und dadurch wirkungsvoll in Szene setzten. Mit unbehaglich wirkenden Missklängen auf dem Horn leitete sie die Gedenkfeier ein. Sie wählte bewusst keine schönen Töne, sondern schuf eine Einstimmung auf die Hölle.
Ernst Hövelborn verwies in seinen Ausführungen auf einen fundamentalen Unterschied zwischen der Hölle von Auschwitz und der Hölle in der „Göttlichen Komödie“. Bei Dante werden die Sünder ihrer gerechten Strafe zugeführt. In Auschwitz wurden unschuldige Menschen ermordet, nur weil sie Juden waren. Die Gemeinsamkeit sah der ehemalige Vereinsvorsitzende in den Gewaltaktionen. Und noch einen Unterschied hob Ernst Hövelborn hervor, denn in der christlichen Vorstellung der Hölle habe die Möglichkeit eines Entrinnens bestanden, nämlich durch das Purgatorium ins Paradies zu gelangen. Das Leben der Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz kannte nur einen Weg: die Ermordung in der Gaskammer und die Verbrennung der Leichen zu Asche.
Ernst Hövelborn beleuchtete seinen Vergleich unter verschiedenen Aspekten: „Die Teufel in Dantes Hölle tun ihre Werke der Grausamkeit, um Sünder zu bestrafen, während die Teufel von Auschwitz, das Wach- und Führungspersonal, durchaus Exzesse der Gewalt ausübten.“ Deren Grausamkeiten seien Aktionen im rechtsfreien Raum gewesen.
Einen Exkurs zum Tor von Auschwitz machte Eduard Losing. Dabei ging der Künstler auf zwei bekannte Inschriften ein. Während bei Dante die Inschrift am Eingang zur Hölle aufforderte, alle Hoffnung fahren zu lassen, prangte am Haupteingang des Lagers Auschwitz der makabre Satz „Arbeit macht frei“. Pia Sophie Stahl nahm diesen Satz auf, angekündigt durch ein Trompetensignal. Die beiden harten Wiederholungen machten den Satz nur noch beklemmender. Auch Dantes Beschreibungen zu Beelzebub und Luzifer nahm die Musikerin auf. Sie mischte dazu musikalische Effekte und Sprache.
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Auf Adorno griff Ernst Hövelborn zurück mit dem Hinweis auf den manipulativen Charakter der Machtstrukturen im Konzentrationslager, der auch für moderne Gesellschaften typisch sei. Die Empathielosigkeit des Personals von Auschwitz sei ebenso markant gewesen wie die exzessiven Bestrafungen ohne jeden Anlass: „Grausamkeit gehörte zum üblichen Dienstbetrieb.“
Millionen Menschen wurden ermordet
Immer wieder verwies Hövelborn auf die Unmenschlichkeit des Vernichtungssystems in Auschwitz, einem Ort der totalen Überwachung: „Der Mensch ist nicht mehr Mittelpunkt seiner Welt, sondern nur noch ein Objekt.“ Der absoluten Macht der Wachen habe die Machtlosigkeit der Häftlinge gegenübergestanden. Er zitierte ausführlich Dante, um die Struktur der nach den sieben Todsünden gegliederten Hölle Dantes zu beschreiben, an deren tiefster Stelle im untersten Höllenkreis die Verräter verharren mussten.
Zwar gab Pia Sophie Stahl ihrem Hornsignal nun eine hoffnungsvolle Wirkung, doch stellte Ernst Hövelborn in seiner nächsten Lesung gleich fest: „In der Hölle wie in Auschwitz herrschen der Terror der absoluten Gewalt und der absoluten Ohnmacht.“ Wie Luzifer am Grund der Hölle herrsche, so sitze der Kommandant im Zentrum von Auschwitz „mit seinem ultimativen Mandat, Schrecken zu verbreiten, und ausgestattet mit absoluter Vernichtungspotenz, die ohne Mitleid und damit Menschengefühl ihr Geschäft betreibt“.
Am Ende zog Ernst Hövelborn eine nüchterne Bilanz, indem er mit 17 Millionen Menschen die Zahl der im Dritten Reich ermordeten Menschen in den Raum stellte. Das auf dem Horn gespielte Kaddisch erwies am Schluss den ermordeten Juden eine musikalische Referenz.