Neues Backnanger Wohnprojekt gegen die Anonymität

Auf dem Gelände einer ehemaligen Gärtnerei in Backnang soll ein Quartier entstehen, in dem das Miteinander der Nachbarn gefördert wird. Auch die Bauweise ist ungewöhnlich. Die Stadt will das Projekt bei der Internationalen Bauausstellung 2027 präsentieren.

Die Visualisierung zeigt die vier geplanten Häuser mit dunkler Fassade und das weiße Bestandsgebäude, die durch eine „Dorfstraße“ mit Glasdach miteinander verbunden sind. Im Vordergrund das 2017 eröffnete Geburtshaus. Visualisierung: Plus Bauplanung

Die Visualisierung zeigt die vier geplanten Häuser mit dunkler Fassade und das weiße Bestandsgebäude, die durch eine „Dorfstraße“ mit Glasdach miteinander verbunden sind. Im Vordergrund das 2017 eröffnete Geburtshaus. Visualisierung: Plus Bauplanung

Von Kornelius Fritz

Backnang. Das Grundstück in der Straße mit dem schönen Namen „Im Blütengarten“ haben Caroline Hafner-Pinnel und ihr Mann Thomas Pinnel schon vor sieben Jahren gekauft. Damals hatten sie als Investoren gerade den Bau des neuen Hebammenhauses ermöglicht. Das angrenzende Grundstück, auf dem sich einst die Gärtnerei Bauer befand, sicherte sich das Ehepaar damals gleich noch mit, „weil wir nicht wollten, dass dort etwas gebaut wird, das nicht zum Geburtshaus passt“, wie Thomas Pinnel sagt. Die zwei Wohnungen im bestehenden Gebäude vermieteten sie. Weitere Pläne für das 3200 Quadratmeter große Grundstück gab es zunächst nicht.

Die sind erst in den vergangenen Jahren gereift. Dabei war sich das Ehepaar aus Oppenweiler einig, dass es in der gewachsenen Siedlung westlich der Weissacher Straße keine Nullachtfünfzehn-Wohnungen bauen will. „Wenn wir etwas machen, dann soll es etwas Mutiges sein, das auch eine gewisse Strahlkraft hat“, fasst Pinnel die Überlegungen zusammen. Dafür holten sie sich den Architekten Lukas Brenner ins Boot. Dessen Büro Plus Bauplanung aus Neckartenzlingen ist spezialisiert auf ökologisches Bauen und eine Architektur, die Gemeinschaft fördert. Genau dieses Profil findet sich nun auch in dem Konzept wieder, das in Backnang realisiert werden soll.

Kleinere Wohnungen und Gemeinschaftsräume für alle

Neben dem Bestandsgebäude, das erhalten wird, sehen die Pläne vier neue Häuser mit insgesamt zehn Wohnungen vor. Deren Grundrisse fallen aber deutlich kleiner aus, als es bei Neubauten sonst üblich ist. „Wir reduzieren den individuellen Wohnraum auf ein Minimum“, sagt Lukas Brenner. So soll etwa eine Wohnung für zwei Personen nur 60 Quadratmeter Wohnfläche haben, wodurch auch die Miete im Rahmen bleibt.

Zusätzlich gibt es aber Gemeinschaftsräume, die allen Bewohnern zur Verfügung stehen, zum Beispiel um dort einen Geburtstag zu feiern. Auch drei sogenannte „Jokerhäuser“ können von allen genutzt werden. In den kleinen beheizbaren Holzhäuschen, die auf dem Gelände verteilt stehen, können die Mieter zum Beispiel Übernachtungsgäste einquartieren oder ungestört auf ihrem Musikinstrument üben.

Im hölzernen „Jokerhaus“ besprechen (von links) Stadtplanungsamtsleiter Tobias Großmann, die Eigentümer Thomas Pinnel und Caroline Hafner-Pinnel sowie Architekt Lukas Brenner die Baupläne. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Im hölzernen „Jokerhaus“ besprechen (von links) Stadtplanungsamtsleiter Tobias Großmann, die Eigentümer Thomas Pinnel und Caroline Hafner-Pinnel sowie Architekt Lukas Brenner die Baupläne. Foto: Tobias Sellmaier

Eine ganz besondere Wohnform ist im Obergeschoss des größten Gebäudes geplant: Die sogenannte Clusterwohnung besteht aus sieben Apartments, die alle ein eigenes Bad und eine Toilette haben. Küche und Wohnbereich teilen sich die Bewohner aber. Die Bauherren sind überzeugt, dass es für diese spezielle Form einer Wohngemeinschaft reichlich Interessenten geben wird – nicht nur unter jüngeren Leuten.

Aber auch außerhalb der eigenen Wohnung sollen die Nachbarn miteinander in Kontakt kommen. „Es geht uns darum, Schwellen zu minimieren“, erklärt Brenner. Deshalb verbindet ein breiter Weg, den die Planer „Dorfstraße“ nennen, die Gebäude. Geschützt wird dieser durch ein Glasdach, das an die Gewächshäuser der alten Gärtnerei erinnern soll. „Da muss jeder durchgehen, wenn er zu seiner Wohnung möchte“, erklärt der Architekt. So sollen im Alltag immer wieder Begegnungen und im Idealfall eine Gemeinschaft unter den Bewohnerinnen und Bewohnern entstehen.

Auch für Gewerbe soll Platz sein

Neben Wohnungen sehen die Pläne auch drei kleine Gewerbeeinheiten vor, etwa für eine Physiotherapiepraxis oder einen Friseursalon. Das sei wichtig, damit das Quartier nicht zur reinen Schlafstadt werde, erläutert der Architekt.

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Caroline Hafner-Pinnel ist von den Plänen begeistert: „Der Entwurf hat uns Lust gemacht“, sagt die Tochter des Murrelektronik-Gründers Franz Hafner. Gleichzeitig betont sie aber auch, dass man den künftigen Mietern keine Vorschriften für ihr Zusammenleben machen werde. Die Eigentümer wollen lediglich einen Rahmen schaffen. Was sich daraus einmal entwickelt, sei Sache der Mieter. Wenn möglich würden die Eigentümer diese gerne schon während der Bauphase finden und in die Planung einbeziehen. Falls sich die Gruppe entsprechend organisiert, kann sich das Ehepaar Pinnel sogar vorstellen, das Objekt als Ganzes zu vermieten und den Bewohnern in Selbstverwaltung zu überlassen.

Neue Wege wollen Architekt und Investor auch bei der Wahl der Baumaterialien gehen. Die Häuser in Holzständerbauweise sollen mit Stroh gedämmt und mit Lehm verputzt werden. Lukas Brenner will diese traditionelle Bauweise, die man schon in mittelalterlichen Fachwerkhäusern findet, gerne in die Neuzeit übertragen. Wie das funktioniert, hat er im vergangenen Sommer bereits im kleinen Maßstab getestet, als ein Team von Freiwilligen in Handarbeit das erste „Jokerhaus“ mit Strohdämmung errichtet hat .

Mehrgeschossige Häuser auf diese Weise zu bauen, ist allerdings etwas ganz anderes: „Das sind Prozesse, die es so noch nicht gibt“, erklärt Brenner. Der Architekt ist nun auf der Suche nach experimentierfreudigen Bauunternehmen, die sich an das ungewöhnliche Vorzeigeprojekt heranwagen.

Auch der IBA-Intendantist von den Ideen begeistert

Genau solche innovativen Ideen möchte auch die Internationale Bauausstellung präsentieren, die 2027 in der Region Stuttgart stattfindet. Deshalb war es für Tobias Großmann, den Leiter des Backnanger Stadtplanungsamts, naheliegend, auch dieses Projekt für die IBA vorzuschlagen, obwohl es außerhalb des Quartiers Backnang-West liegt, mit dem sich die Stadt bereits an der Bauausstellung beteiligt. Auch IBA-Intendant Andreas Hofer sei von dieser Idee begeistert gewesen, erzählt Großmann. Wohl auch deshalb, weil die Chance, dass man in drei Jahren fertige Gebäude präsentieren kann, bei diesem Projekt am größten ist.

Mit der morgigen Sitzung des Technischen Ausschusses startet das Bebauungsplanverfahren, die Investoren rechnen noch in diesem Jahr mit der Baugenehmigung. Dann soll es auch gleich losgehen mit dem Bau. Ihr Ziel sei es, sagt Thomas Pinnel, dass die Bewohner der „Alten Gärtnerei“ den IBA-Besuchern in drei Jahren bereits von ihren Erfahrungen mit dieser neuen Art des Wohnens berichten können.

Website Weitere Informationen und die Kontaktdaten der Bauherren findet man auf der Homepage www.imbluetengarten.de.

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Erstellt:
24. Januar 2024, 06:00 Uhr

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