Noch keines der sieben Becken im Murrtal ist fertig

Der Hochwasserschutz im Murrtal hinkt im Vergleich mit dem Remstal gewaltig hinterher. Immerhin wird am Becken Oppenweiler bereits gearbeitet. Aber auch wenn alle großen Schutzmaßnahmen in Betrieb sind, bilden sie nur einen eingeschränkten Schutz vor Starkregen.

Am Becken Oppenweiler wird seit Jahresanfang gearbeitet. Wenn alles glattgeht, kann es 2026 in Betrieb gehen. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Am Becken Oppenweiler wird seit Jahresanfang gearbeitet. Wenn alles glattgeht, kann es 2026 in Betrieb gehen. Foto: Alexander Becher

Von Matthias Nothstein

REMS-MURR. Rückhaltebecken können die schlimmen Folgen eines Hochwassers deutlich mildern. In der Nacht auf Sonntag war dies etwa im Remstal der Fall. Obwohl es im Wieslauftal massive Zerstörungen gab und sich riesige Wassermassen über die Wieslauf in die Rems ergossen, kam es im Remstal nicht zum Äußersten. Die Becken hatten ihre zähmende Wirkung entfaltet.

Landrat Richard Sigel hat bei der ersten Pressekonferenz nach dem Desaster zu Recht in erster Linie über die dramatischen Flutfolgen informiert. Er würdigte en passant aber auch die vorbeugenden Maßnahmen, die in der Vergangenheit im Remstal getroffen worden waren. So sind zwischen Lorch und Winterbach neun Becken gebaut worden. Es habe sich ausbezahlt, dass die öffentliche Hand viel in diese Becken und Dämme investiert habe.

Bei mehreren Becken, die das Murrtal schützen sollen, existiert nur die Idee

Die Erfolge an der Rems ermutigen. Zugleich ist es jedoch traurige Tatsache, dass es an der Murr noch kein einziges Hochwasserrückhaltebecken gibt. Zwar wird derzeit in Oppenweiler an einem solchen gearbeitet, aber bis zur Inbetriebnahme werden wohl noch drei Jahre vergehen. Von den anderen sechs Becken, die der 2008 gegründete Wasserverband Murrtal bauen möchte, ganz zu schweigen. Von mehreren dieser Projekte existiert nicht viel mehr als die Idee. In Murrhardt etwa ist das Becken Mahd noch meilenweit von einer Realisierung entfernt. Auch die Becken in Sulzbach, die den Fischbach und den Haselbach zähmen sollen, stehen noch in den Sternen.

Zugleich räumte Landrat Sigel ein: „Hätte sich der Starkregen im Murrtal ergossen, wären die Folgen mutmaßlich gravierender gewesen als jetzt im Remstal.“ Selbst Todesfälle wollte Sigel angesichts der potenziellen Gefahr nicht ausschließen. Zwar lobte er den aktuellen Beckenbau in Oppenweiler, doch das werde nicht reichen, „wir müssen den Hochwasserschutz weiter vorantreiben“. Er verwies aber auch die altbekannten Probleme: „Ganz einfach ist das allerdings nicht, weil Einsprüche viel zu oft zu langen Verzögerungen führen und sich alles lange hinzieht.“ Sigel appellierte, es müssten alle am selben Strang ziehen und den Klimawandel ernst nehmen. Unter dem frischen Eindruck der Katastrophe sagte er: „Solche Situationen sind reell. Solche Situationen sind lebensbedrohend.“

Private Interessen und der Umwelt- und Naturschutz stellen hohe Hürden dar

Bernhard Bühler ist nicht nur Oppenweilers Bürgermeister, sondern auch der Vorsitzende des Wasserverbands Murrtal. Seiner Ansicht nach hakt der zügige Bau der Becken vor allem an „privaten Interessen und den Auflagen des Natur- und Umweltschutzes, die für uns hohe Hürden darstellen“. Die konkrete Umsetzung braucht daher sehr lange. Bühlers Appell: „Wir brauchen die Unterstützung der Behörden und könnten uns da deutlich mehr vorstellen.“

Die Kritik bezieht sich ganz eindeutig auf das eigene Landratsamt. Konkret geißelt er den langen Zeitraum, den zum Beispiel die Prüfung von Unterlagen benötigt. „Wenn wir Anträge einreichen, dann sitzen wir oft da und warten und warten.“ In Bühlers Amtszeit als Verbandschef fiel zuletzt etwa der Planfeststellungsbeschluss für das Murrhardter Becken Gaab. Das Verfahren habe ewig gedauert. Bühler: „Welche Belange da plötzlich hochgefahren wurden, das hat uns doch sehr verwundert.“ So musste etwa wegen „irgendwelcher Pflänzchen“ ein Ausgleichskonzept ausgearbeitet werden, das dann nach Jahren abgelehnt wurde, „und dann fangen wir nochmals von vorne an“. Bühler ist überzeugt: „Wir könnten schneller sein, wenn unsere Unterlagen schneller gesichtet und Entscheidungen getroffen werden würden.“ Ganz wichtig ist für Bühler aber auch die Unterscheidung zwischen Hochwasser und Starkregen. Die Becken helfen bei Hochwasser. Bei örtlichem Starkregen sind auch sie kein Schutz.

Für das Murrhardter Becken Gaab wurden die ersten Arbeiten vergeben

Immerhin: Für das Becken Gaab ist 2023 der Planfeststellungsbeschluss eingegangen. Aktuell läuft die europaweite Ausschreibung der Ingenieurarbeiten. Die werden im Herbst vergeben. Dann geht es an die Ausführungsplanung. Baubeginn? Wer weiß.

In Backnang ist laut Tiefbauamtsleiter Lars Kaltenleitner der Start für den Bau des Beckens Brunnenwiesen vor den Toren Strümpfelbachs für Juli 2025 geplant. Bauzeit: etwa ein Jahr. „Momentan warten wir noch auf einen Förderbescheid für dieses Vorhaben.“ Parallel dazu werden die Planungen für das Becken Seehau nördlich der Sulzbacher Straße weitergeführt. Laut Planung könnte dessen Bau 2026 beginnen.

Das Thema Hochwasser beschäftigt Jürgen Küenzlen von der Rüflensmühle Oppenweiler sein ganzes Leben lang. Seit Jahren geißelt er das zögerliche Vorgehen des Wasserverbands, wenngleich er bis vor fünf Jahren selbst daran nicht ganz unbeteiligt war. Nun wartet er sehnsüchtig auf die Fertigstellung des Beckens. Gestern erklärte er: „Langsam habe ich den Eindruck, die Verantwortlichen für den Hochwasserschutz im Murrtal spielen mit dem Schicksal von uns Bürgern eine Art Hochwasserroulette. Wir hatten jetzt einfach nur unfassbares Glück, dass der Starkregen wenige Kilometer entfernt niederging.“ Küenzlen erinnert an die erste Satzung des Verbands von 2008, wonach fünf Rückhaltebecken gebaut werden sollten: „Das ist 16 Jahre her. Nur Oppenweiler wurde sechs Jahre nach Planfeststellungsbeschluss überhaupt begonnen. Für mich eine schockierende Leistung, die der Verband bisher im Tal erbracht hat. Wenn wir das nächste Mal weniger Glück haben, bezahlen wir alle dafür die Zeche.“

Kommentar
Die Schuld tragen alle

Von Matthias Nothstein

Wer trägt die Schuld, dass die Becken bislang noch nicht ihre beschützende Wirkung entfalten können? Im Grund wir alle. Die große Politik, weil die Verfahren mittlerweile viel zu kompliziert sind. Die Genehmigungsbehörden, weil Anträge und Pläne viel zu lange nicht bearbeitet werden. Die Politik vor Ort, weil man die millionenschweren Investitionen nur ungern anpackt. Die Gemeinderäte, weil es immer Projekte gibt, die gerade noch wichtiger sind als so ein Hochwasserschutz, von dem man hofft, dass man ihn in den nächsten Jahren sowieso nicht braucht. Der Naturschutz, weil ein Blümchen oder eine Eidechse schon ausreicht, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Die Anwohner, weil zuweilen kleine Eigeninteressen über das Wohl der Allgemeinheit gestellt werden. Und letztendlich wir alle, weil wir die Becken nicht mit noch höherem Nachdruck einfordern.

Eigentlich sollte die Katastrophe vom Ahrtal uns allen die Augen geöffnet haben. Warum brauchen diese lebensrettenden Projekte von der Idee bis zur Verwirklichung mehr als 20 Jahre? Ist es wirklich naiv, zu denken, mit etwas gutem Willen müssten drei Jahre nach einer Absichtserklärung zumindest die Bagger rollen? Der Blick in andere Länder lehrt uns, dass dort Projekte ganz anderen Kalibers in kürzerer Zeit durchgezogen werden. Immerhin: Am Geld kann es nicht liegen. Die Zuschüsse von Bund und Land sind enorm. Der Eigenanteil der Kommunen ist zwar immer noch happig, aber das sollten Menschenleben uns auch wert sein.

m.nothstein@bkz.de

200 statt 1000 Kubikmeter pro Sekunde

Ahrtal Hochwasserkatastrophen wie im Sommer 2021 im Ahrtal könnten Experten zufolge verhindert werden. Dazu müssten 19 große Regenrückhaltebecken gebaut werden. Ausgerechnet am vergangenen Montag wurden die Pläne dazu den Bürgern des Landkreises in Ahrweiler präsentiert. Laut Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) werde es Jahrzehnte dauern, die Becken zu bauen, und es werde enorm viel kosten. Hätte es diese Regenrückhaltung schon bei der Katastrophe 2021 gegeben, wären am Pegel in Altenahr statt 1000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde nur 200 Kubikmeter vorbeigeflossen. Zur Erinnerung: Allein im Kreis Ahrweiler starben 135 Menschen.

Remstal Neun Hochwasserrückhaltebecken sind für die Rems vorgesehen.

Die Becken Reichenhofund Lorch/Waldhausen im Ostalbkreis haben zusammen ein Rückhaltevermögen von 1,6 Millionen Kubikmetern. 20 Millionen Euro wurden 2006und 2008 dafür investiert.

Das Becken Plüderhausen/Urbach fasst 665000 Kubikmeter. Es wurde 2019 fertig und kostete zwölf Millionen Euro.

Das Becken Schorndorf/Winterbach ist mit einem Fassungsvermögen von 1,26 Millionen Kubikmetern das größte des Wasserverbands Remstal. Es kostete 200514 Millionen Euro.

Die Becken 2, 3, 5, 7 und 8 sind noch nicht gebaut.

Zuflüsse Im Remstal gibt es fünf Becken, die Zuflüsse bändigen: Winterbach (Lehenbach/452000 Kubikmeter), Weinstadt (Schweizerbach/36000 und Strümpfelbach/72000), Kernen (Haldenbach/20300) und Schorndorf (Schornbach/ 64700). Im Wieslauftal existieren vier Becken: Rudersberg (Glasofenbach/63500, Mittelbach/20000, Wieslauf/301000) und Kaisersbach (Ebnisee/36000). In Planung: in Rudersberg (Daukernbach/Klingenbach/6000) und Miedelsbach (Tannbach/105000).

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Erstellt:
6. Juni 2024, 06:00 Uhr

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