Programmierer nach Sulzbach locken
Leben auf dem Land: Viele Landbewohner fahren zum Arbeiten in die Stadt. Doch auch in ländlichen Gemeinden gibt es attraktive Arbeitgeber. Die kämpfen zwar manchmal mit Problemen, fühlen sich ihrem Standort aber trotzdem eng verbunden.
Von Kornelius Fritz
Rems-Murr. Der Arbeitstag beginnt für Jochen Wieland sehr früh: Bereits um kurz nach 5 Uhr verlässt der 42-Jährige sein Haus in Spiegelberg. Um diese Uhrzeit schafft er es mit dem Auto in rund 40 Minuten bis zu seinem Arbeitsplatz bei Daimler in Esslingen-Mettingen. Eine Stunde später wäre er fast doppelt so lang unterwegs. Schon seit seiner Ausbildung vor 25 Jahren nimmt der gelernte Werkzeugmacher täglich die fast 50 Kilometer lange Anfahrt auf sich: „Ich kenne es nicht anders.“ Klar, die Pendelei sei manchmal nervig, räumt Wieland ein, doch ein Umzug kam für ihn nie infrage. In Spiegelberg ist er verwurzelt, hier hat er ein eigenes Haus mit Garten und die Natur direkt vor der Haustür. „Das ist doch etwas anderes, als in der Stadt zu wohnen. Von den Preisen mal ganz abgesehen.“
So wie Jochen Wieland machen es viele in der Region: Leben auf dem Land, Arbeiten in der Stadt. Oft haben sie auch keine andere Wahl, weil es in den meisten ländlichen Gemeinden viel weniger Arbeitsplätze als Einwohner gibt. So wie in Spiegelberg: Gerade mal 158 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gibt es in dem kleinen Ort. Die größten Arbeitgeber sind die Gemeinde selbst und das örtliche Pflegeheim, sonst gibt es nur noch ein paar kleinere Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe. „Wegen der topografischen Lage ist es uns nicht möglich, ein Gewerbegebiet auszuweisen“, sagt Bürgermeister Uwe Bossert. Daher kassiert seine Gemeinde auch nur rund 300000 Euro Gewerbesteuer pro Jahr. Um trotzdem investieren zu können, ist Spiegelberg auf Zuschüsse und Fördergelder vom Land angewiesen. Inzwischen habe man sich damit arrangiert, sagt der Bürgermeister.
Obwohl das Angebot an Arbeitsplätzen in der Stadt natürlich größer ist, gibt es auch in ländlichen Gemeinden viele erfolgreiche Unternehmen. Markus Beier, Geschäftsführer der Bezirkskammer Rems-Murr bei der Industrie- und Handelskammer (IHK), sieht darin sogar eine besondere Stärke des Rems-Murr-Kreises: „Die vielen kleinen ,Fabrikle‘ im ländlichen Raum sind ein Schatz, den es zu pflegen gilt.“
Manchmal wird aus so einem „Fabrikle“ sogar ein Weltmarktführer. Bestes Beispiel ist die Firma Harro Höfliger, die sich 1979 in Allmersbach im Tal angesiedelt hat. Der aus Stuttgart stammende Firmengründer hatte damals bewusst einen Standort in der Peripherie gewählt, weil er glaubte, dort leichter qualifizierte Mitarbeiter zu finden als in der Großstadt, wo alle zu Daimler, Bosch oder Porsche wollen. Mittlerweile beschäftigt Höfliger rund 1100 Mitarbeiter an seinem Stammsitz und will Allmersbach weiterhin treu bleiben: „Als Produktionsunternehmen sind wir auch auf Fläche angewiesen. Die würden wir in der Großstadt gar nicht bekommen“, sagt Markus Höfliger, Vorsitzender des Aufsichtsrats.
Die Mitarbeiter kommen größtenteils aus einem Umkreis von etwa 20 Kilometern, viele haben bereits bei Höfliger gelernt. Die Bindung zum Unternehmen ist eng, was sich auch in einer geringen Fluktuation zeigt. Das sei typisch für Firmen im ländlichen Raum, sagt Markus Beier: „Die Mitarbeiter schätzen die kurzen Wege und zeigen oft eine höhere Unternehmenstreue.“
Glasfasernetz erreicht ländlichen Raum
Für Firmen, die bestimmte Spezialisten suchen, kann der Standort auf dem Land aber auch ein Nachteil sein. „Die Mitarbeiterakquise ist eine Herausforderung“, sagt etwa Christian Gmehling, Marketingchef bei
L-Mobile in Sulzbach an der Murr. Das Unternehmen entwickelt mobile Softwarelösungen und braucht dafür vor allem IT-Spezialisten. Doch die sind begehrt, und einen jungen Programmierer nach Sulzbach zu locken, sei nicht ganz einfach. „Die wollen eher nach Stuttgart, wo mehr Leben ist“, weiß Gmehling. Die Antwort darauf könnte Homeoffice lauten. Schon vor Corona hat L-Mobile diese Möglichkeit angeboten, seit Beginn der Pandemie wird sie noch wesentlich häufiger genutzt. Mittlerweile gibt es bei L-Mobile sogar Beschäftigte, die ausschließlich von zu Hause arbeiten. Eine Mitarbeiterin wohnt zum Beispiel in Aschaffenburg. „Die wäre nie nach Sulzbach gezogen“, weiß Gmehling.
Das geht allerdings nur, wenn auch ländliche Standorte Zugang zum Breitbandnetz haben. Lange Zeit war das nicht der Fall. Christian Gmehling erinnert sich noch, wie er vor einigen Jahren, immer wenn er eine größere Datei hochladen wollte, mit dem Fahrrad nach Hause geradelt ist, weil sein privater Internetanschluss schneller war als der in der Firma. Inzwischen gibt es in Sulzbach aber schnelles Internet und auch in anderen Gemeinden habe sich viel getan, sagt IHK-Geschäftsführer Beier. Seit der Gründung der Gigabit-Region Stuttgart erreiche das Glasfasernetz nun auch Schritt für Schritt den ländlichen Raum.
Dass ein Firmensitz auf dem Land auch Nachteile hat, bestreiten die Chefs der hiesigen Unternehmen nicht. Einer davon ist der Pendlerverkehr, der sich bei einem ländlichen Standort fast ausschließlich aufs Auto konzentriert. Markus Höfliger beklagt außerdem, dass es in Allmersbach und den umliegenden Gemeinden fast keine Mietwohnungen gibt, die für Berufseinsteiger infrage kommen. Trotzdem fühlen sich die Betriebe ihrem Standort meist eng verbunden. Auch L-Mobile hat entschieden, sein neues Hauptquartier in Sulzbach zu bauen. „Wenn wir wegziehen würden, gäbe es dort wieder andere Probleme“, vermutet Christian Gmehling. Außerdem hat das Arbeiten auf dem Land auch Vorteile, die sich nicht beziffern lassen: „Wenn ich hier in der Mittagspause in der Sonne spazieren gehen kann, dann ist das einfach ein anderes Lebensgefühl als in der Stadt.“