Der Trendsport Poledance erreicht Backnang
Das Tanzen an der Stange ist längst nicht mehr nur verruchten Clubs zuzuordnen, sondern vielmehr einer herausfordernden Trendsportart. In Backnang gibt es nun Poledance-Kurse. Die Teilnehmerinnen schätzen dabei nicht nur das Ganzkörpertraining, sondern auch die Atmosphäre.
Von Kristin Doberer
Backnang. Die Muskeln sind angespannt, die Zehen gestreckt, in den Gesichtern der Kursteilnehmerinnen kann man die Anstrengung sehen, die es sie kostet, sich langsam drehend an der Stange heruntergleiten zu lassen. Unten angekommen entwirren sie ihren Körper in einer fließenden Bewegung und kommen elegant wieder auf die Beine. „Bei einer Choreografie ist das eine schöne Art, aufzustehen“, lobt Trainerin Joulia Brountsou die sechs Frauen in ihrem Poledance-Kurs für Fortgeschrittene. Gegen Ende der Stunde üben die Frauen unterschiedliche Posen und Abläufe: Mal hängt eine kopfüber an der Stange, mal horizontal. Unterdessen läuft Joulia Brountsou mit aufmerksamen Blick zwischen ihnen hin und her. Hier korrigiert sie mal einen Handgriff, dort weist sie auf die richtige Körperhaltung hin oder gibt Tipps, wie man die Stange am besten so unter die Achsel klemmt, dass man selbst ohne die Hände nicht abrutscht.
Ende vergangenen Jahres hat die 28-Jährige ein eigenes Poledance-Studio in Backnang eröffnet. In den Räumen der Dance Intense Factory in der Backnanger Fabrikstraße gibt sie seit einigen Wochen nun Poledance-Kurse. Die meisten sind eher für Anfänger geeignet, nur samstags gibt es einen für die Fortgeschrittenen. Die Nachfrage ist auf jeden Fall da. Nicht nur die ersten Schnupperkurse waren sofort ausgebucht, auch die mittlerweile acht regelmäßigen Kurse sind gut besucht. Kein Wunder, Polesport in all seinen Variationen hat in den vergangenen Jahren an Beliebtheit gewonnen und sich zu einer internationalen Wettkampfsportart entwickelt. Die meisten Teilnehmerinnen in Backnang sehen es aber als Hobby. „Da ist alles dabei. Von Mamas, die abends einfach noch einen Sport für sich selbst machen wollen, bis zu Schülerinnen, die einen Ausgleich neben der Schule suchen“, sagt die Trainerin.
Eine Mischung aus Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Tanz
Die Kursteilnehmerinnen selbst sind begeistert. „Das ist einfach eine sehr coole Mischung aus Kraft und tänzerischen Elementen“, sagt Leonie Heiduk. „Es ist sehr körperintensiv, aber man braucht auch viel Ausdauer, Technik und Wille“, ergänzt Sara Swistun. Dazu komme Beweglichkeit und Körperkoordination. Auch könne man sich immer neue Herausforderungen suchen – ob durch einen neuen Tanzstil oder durch neue Akrobatikherausforderungen. Man merke eine ganz andere körperliche Veränderung als im Fitnessstudio, sagt Julia Pfeil. „Durch die fließenden, sinnlichen, schönen Bewegungen findet man ganz anders zu seinem Körper“, stimmt die Trainerin zu. Man finde zu sich und fange an, den eigenen Körper zu akzeptieren. Neben dem sportlichen Aspekt schätzen die Frauen am Poledance aber auch die Community. „Die Atmosphäre ist einfach sehr gut“, sagt Kursteilnehmerin Franzi. Es gebe eine große Offenheit und positive Unterstützung statt Konkurrenzkampf.
Immer wieder müssen sie sich aber auch den einen oder anderen unangebrachten Witz oder Kommentar zu ihrem Hobby anhören, berichten die Frauen, die teils schon seit Jahren Poledance machen. Solche Kommentare kommen aber vor allem von Menschen, die ein komplett falsches Bild von der Sportart haben. Deshalb empfiehlt Joulia Brountsou, dass man gegen die Vorurteile nur mit Aufklärung über den Sport vorgehen kann. „Man kann einfach mal Videos zeigen. Oder sogar sagen, dass die das mal selbst probieren sollen, um zu sehen, wie anstrengend es eigentlich ist.“ Ihr ist es aber trotz der Vorurteile wichtig zu betonen, dass es völlig in Ordnung ist, wenn die Teilnehmerinnen beim Tanz in die sinnliche Richtung gehen wollen. Denn das sei eben auch eine von vielen verschiedenen Arten, die es im Polesport gibt. Der Fokus liegt hier weniger auf Luftakrobatik, sondern mehr auf dem Tanzen in fließenden und sinnlichen Bewegungen – wenn gewünscht auch mit High Heels. Daneben gibt es zahlreiche verschiedene Stilrichtungen, bei manchen ist die technische Ausführung der Tricks wichtiger, bei anderen die tänzerische Choreografie.
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Dass der Sport durchaus eher leicht bekleidet betrieben wird, hat übrigens nichts mit der Entwicklung über das Erotikmilieu zu tun (siehe Infotext), vielmehr geht es darum, möglichst guten Halt an der Stange zu haben – und das geht eben am besten über Hautkontakt. „Am Anfang kommen viele in längeren Klamotten und sind noch etwas zögerlich“, sagt Brountsou. Doch von Stunde zu Stunde werden die Hosen kürzer und die Teilnehmerinnen selbstbewusster. „Grundsätzlich gibt es bei der Kleidung aber keine Einschränkungen.“ So gebe es auch lange Hosen mit Anti-Rutsch-Noppen, zum Beispiel für Frauen, die sich aus religiösen Gründen nicht leicht bekleidet zeigen möchten. Im Moment zumindest sind es nur Frauen, die in dem neuen Backnanger Studio trainieren. Allerdings hofft sie, dass sich das noch ändern könnte. „Ein paar Anfragen von Männern gab es schon, aber keiner will der Erste sein“, erzählt sie lachend. In anderen Studios habe sie aber durchaus bereits gemischte Gruppen gehabt.
Schnelle Fortschritte und leichte Einstiegsmöglichkeiten in den Sport
Joulia Brountsou selbst macht seit 2016 Poledance. Dazu gekommen ist sie auf einem Umweg. „Eine Freundin wollte das unbedingt machen, aber ich hatte Vorurteile. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, was die Leute denken“, erinnert sie sich. Dann sei sie aber doch mitgekommen. Und während es der Freundin damals zu anstrengend gewesen war, hat sich Brountsou sofort in den Sport verliebt. Erst in Köln und später in Tübingen hat sie bei den in der Branche Bekannten Anne-Marie Kot und Julia Wahl gelernt, seit einigen Jahren ist sie auch selbst als Trainerin in verschiedenen Studios. Nach dem Abschluss ihres Medizinstudiums hat sie sich nun in Backnang selbstständig gemacht, zwei Trainerinnen sollen noch dazukommen.
„Poledance ist für jeden Körpertyp und jedes Alter geeignet“, sagt die Trainerin. Ihre aktuell jüngste Schülerin ist elf Jahre alt, doch den Sport könne man auch problemlos in höherem Alter erst beginnen. „Ich habe erst mit über 40 angefangen“, stimmt eine Kursteilnehmerin zu, die von sich selbst sagt, vorher recht unsportlich gewesen zu sein. „Das Tolle ist: Man kann bei null anfangen und sieht sehr schnell Erfolge“, sagt auch Brountsou. Natürlich entwickle man sich schneller, wenn man schon mal einen Turn- oder Tanzsport ausgeübt hat, schon allein deshalb, weil man dann bereits die benötigte Körperspannung mitbringt. Doch selbst absolute Anfänger seien immer begeistert von den Erfolgen.
Schnupperkurse Die nächsten Schnupperkurse finden am 28. Januar sowie am 9. Februar statt. Weitere Infos gibt es auf www.pole-passion.studio oder auf dem Instagram-Account polepassion_studio.Ursprung In Asien waren es ursprünglich Männer, die sich dem Polesport gewidmet haben. Dort war es nachweislich schon im 12. Jahrhundert Brauch, Stangen oder Holzpfähle für Fitnessübungen zu verwenden, von der indischen Sportart Mallakhamb bis hin zum Chinese Pole, einer Kunstform, bei der die Akrobatikübungen an der Stange auch heute noch in Zirkussen gezeigt werden.
Entwicklung Über Wanderzirkusse kam die Tanzform dann auch in den USA an, wo sich weiblicher Artistinnen vor dem männlichen Publikum entblößten und Poledance mit skandalösen Shows in Verbindung gebracht wurde. Mit der Zeit verlagerten sich die Tänze in Bars, ab etwa 1950 kamen erste Strip-Clubs mit Stangen auf der Bühne auf, an denen die leicht bekleideten Frauen tanzten.
Trendsport In den 80ern verbreitete sich Poledance von Amerika aus in den Rest der Welt. Seit etwa 2000 etablierte er sich zunächst als Fitnessform, seit 2006 werden Meisterschaften im Polesport veranstaltet, seit 2015 gibt es Wettkämpfe in Deutschland. 2018 erkannte die General Association of International Sports Federations (GAISF) den Sport an und machte ihm den Weg Richtung Olympia frei.