„Und abends hüpf ich in meine Latzhose“
Leben auf dem Land Im Rems-Murr-Kreis hat die Nebenerwerbslandwirtschaft einen hohen Stellenwert. Für Hofbesitzer wie Dieter Schüle aus Althütte ist der Landwirt „der schönste Beruf, den es gibt, wenn man davon leben könnte“. Aber genau das geben viele kleine Höfe nicht her.
Von Matthias Nothstein
Backnang. Die Landwirtschaft hat im Rems-Murr-Kreis einen hohen Stellenwert. Und wie es sich für einen Landkreis im Ländle gehört, spielen die Nebenerwerbsbetriebe eine große Rolle. Zwischen Murr und Rems werden mit 11000 Hektar knapp die Hälfte der gesamten Acker-, Wiesen-, Reben-, Obst- oder Waldflächen von Menschen bewirtschaftet, die in einer anderen Branche ihren eigentlichen Beruf ausüben. Von insgesamt 1058 Betrieben gelten 680 als Nebenerwerbsbetriebe. Dieser hohe Anteil ist eine Folge der historisch gewachsenen Strukturen: Viele Hofnachfolger mussten aufgrund der geringen Größe ihres Betriebs einen außerlandwirtschaftlichen Beruf erlernen. Und viele führen ihr Erbe deshalb trotzdem im Nebenerwerb weiter.
So etwa Dieter Schüle aus Althütte. Der 50-Jährige ist mit Feuereifer bei der Sache und erklärt: „Da wird man reingeboren. Das entscheidet sich schon in jungen Jahren, ob man gerne Traktor fährt oder nicht. Und wenn einen einmal das Fieber gepackt hat, dann lässt es dich nicht mehr los.“ Unter den Nebenerwerbslandwirten nimmt Schüle eine Sonderstellung ein, da er gar über zwei Hofstellen verfügt. Aufgewachsen ist er in Althütte, wo er den Betrieb seiner Eltern übernommen hat. Aber schon in jungen Jahren hat er auch den 30 Hektar großen Hof seines Onkels in Leutenbach gepachtet, als dieser in Rente ging. Inzwischen sind es nur noch 18 Hektar Ackerland, die Schüle in Leutenbach sein Eigen nennt. Der Betrieb in Althütte umfasst 5 Hektar Ackerland und 11 Hektar Grünland. Angebaut werden Qualitätsweizen, den er an die Labag Marbach für die Brotherstellung verkauft, Wintergerste für die Schweinemast und Mais für eine örtliche Biogasanlage. Das Heu findet Abnehmer bei einem Pferdebetrieb in Rudersberg und einer Alpakazucht in Althütte.
Der Arbeitgeber ermöglicht es, auch einmal kurzfristig freizubekommen
Seine Arbeitskollegen bei Höfliger kommentieren seinen Fleiß zuweilen mit Sprüchen wie „da geh ich lieber joggen oder ins Freibad“. Seine Chefs kennen sein „verrücktes Hobby“ und ermöglichen es ihm, auch kurzfristig freizunehmen, wenn die Zeit gerade optimal ist für die Aussaat oder die Ernte. Schüle indes genießt die Arbeit in Feld und Flur. „Wenn ich abends heimkomme, dann hüpfe ich in meine Latzhose rein. Oft wird es dunkel oder noch später, bis ich wieder heimkomme. Für die Landwirtschaft gehen viele Stunden drauf. Aber ich bin nicht der Sofatyp und brauche auch nicht ständig in Urlaub zu fahren.“
Ganz klar geht die enorme Arbeitsbelastung zusätzlich zur normalen 40-StundenWoche bei Höfliger nur, weil die gesamte Familie mitzieht. „Meine Frau hat mir schon immer mit der Erziehung der beiden Töchter und im Haushalt den Rücken freigehalten. Und meine Tochter Isabel beherrscht inzwischen fast alle Arbeiten auf dem Feld und fährt jedes Fahrzeug.“ Und der Fuhrpark hat es in sich. Zwei John-Deere-Traktoren mit 100 PS gehören dazu, ebenso mehrere Schlepper für Spezialeinsätze. Den Mähdrescher hat Schüle vor vier Jahren abgegeben, „jetzt kommt auch bei uns der Lohndrescher“. Für Schüle ist der Landwirt „der schönste Beruf, den es gibt, vorausgesetzt, man könnte davon leben“. Aber genau das ist das Problem. Zwar bewirtschaftet der 50-Jährige 34 Hektar Acker- und Wiesenflächen, aber als alleinige Einnahmequelle würde das heute niemals reichen. Vor 50 Jahren wäre das noch ein durchschnittlicher Vollerwerbsbetrieb gewesen.
Trotzdem freut er sich, dass seine älteste Tochter sein Lebenswerk weiterführen möchte. Die 19-Jährige studiert Agrarwissenschaft und bezeichnet es als ihren Traum, den Hof einmal zu übernehmen, neben ihrem künftigen Beruf. Den Partner dafür hat sie schon. Ihr Freund Robin Geisler ist gelernter Landwirt und beginnt im Sommer das Studium der Agrarwissenschaft.
Eine solche Nachfolgeperspektive hat auch Martin Schmidgall aus Kleinaspach. Der 49-Jährige hat den Hof von seinen Eltern Emil und Irmgard Schmidgall übernommen, und nun steigt schon Sohn Lukas immer stärker ein. Der 21-Jährige will Veränderungen, wofür der Vater großes Verständnis hat, schließlich hatte er sich vor 20 Jahren auch dafür ausgesprochen, dass die Milchvieh- und Schweinehaltung aufgegeben wurde. Er hätte dies neben seinem Job bei Kärcher, wo er als Versuchsingenieur und Teamleiter weit von einer 40-Stunden-Woche entfernt war, nicht stemmen können. Heute bewirtschaftet er einige Hektar Ackerland, 30 Ar Reben und Streuobstwiesen mit über 100 Bäumen.
Es ist schön, den Lohn seiner Arbeit einfahren zu können
Die Arbeit nebenher bereitet ihm Freude. Gerne denkt er an die Erntezeit, wenn es beim Heumachen nach Gras und Kräutern riecht. Oder an die Lese, wenn alle nach getaner Arbeit gemeinsam mit den Helfern im Weinberg essen und trinken und sich unterhalten. „Es ist einfach schön, den Lohn seiner Arbeit einfahren zu können.“ Wobei auch er zu bedenken gibt, dass zum Beispiel beim Getreideanbau „nicht viel hängen bleibt, wenn man das Korn in der Mühle abgibt“. Vor zehn Jahren sei auch der Erlös beim Streuobst sehr dürftig gewesen. „Da habe ich mich oft gefragt, ob es sich lohnt, dass man rausgeht und sich bückt.“
Sohn Lukas möchte Pflanzenschutzmittel so weit es geht verbannen, auch wenn einige das skeptisch sehen. Er aber meint, „es muss auch anders gehen, früher hat das doch auch funktioniert“. Der junge Mann möchte andere Sorten ausprobieren und ist dafür bereit, auch weniger Ertrag in Kauf zu nehmen. Zudem möchte er als Standbein die Hühnerhaltung ausbauen. Derzeit gackern 80 Hennen auf dem Hof rund um den selbst gebauten Hühnerstall. Das Futter baut Lukas Schmidgall selbst an, er setzt auf heimische Eiweißträger wie Futtererbsen, Ackerbohnen oder Lupine.
Die Viehhaltung hat Helmut Schieber aus Schleißweiler vor 15 Jahren ebenfalls aufgegeben. Die Belastung neben der Arbeit als Maschinenschlosser bei einem Autozulieferer war einfach zu groß. „Wenn ich morgens zur Arbeit bin und 44 Stück Vieh im Stall stehen, dann war das den Tag über zu viel Unsicherheit, wie es den Tieren ergeht.“ Heute bewirtschaftet der 62-Jährige 6 Hektar Grünland und 25 Hektar Wald. Das Heu verkauft er, aber es ist ihm klar, reich wird er dabei nicht. „Den Stundenlohn darf man nicht ausrechnen. Aber es sollte eine schwarze Null rauskommen.“ Ähnlich mau steht es um das Einkommen bei der Waldarbeit. „Wenn ich das Doppelte von dem raushole, was nachwächst, dann lohnt es sich, aber das kann man nicht auf Dauer machen. Und bei den aktuellen Holzpreisen hat sich zuletzt nicht einmal das gelohnt.“ Trotzdem investiert Schieber weiter in seine Landwirtschaft und in den Maschinenpark, zuletzt in eine neue Heupresse. Er ist stark verbunden mit seinem Erbe und sagt voller Überzeugung: „Ich mache es gerne.“
In der Serie „Leben auf dem Land“ beleuchten wir verschiedene Aspekte des dörflichen Lebens in unserer Region genauer.
Ausbildung Auch im Nebenerwerb sind immer mehr Fachkompetenz und Managerqualitäten gefragt. Bis vor einigen Jahren war es schwierig für Menschen, die voll im Berufsleben stecken, eine entsprechende Ausbildung zu erhalten. Die Fachschule für Nebenerwerbslandwirtschaft ermöglicht es, in Teilzeitform nach Feierabend die Qualifikation zu erreichen, die auch ein Nebenerwerbsbetrieb verlangt.
Organisation und Ablauf
Der nächste Kurs beginnt im September und dauert zwei Jahre. Im Mai ist eine Infoveranstaltung dazu geplant. Der Unterricht findet montags von 18.30 bis 21.45 Uhr statt, zudem gibt es Ergänzungsangebote geblockt. Der Kurs geht über 600 Stunden, davon 400 Stunden Theorieunterricht und 200 Stunden Projektunterricht. Ort: gewerbliche Schule in Backnang.
Abschluss Der Kurs stellt eine Ergänzung zur gängigen Ausbildung in der Landwirtschaft dar. Bei entsprechenden Voraussetzungen (längere Tätigkeit in der Landwirtschaft, Abschluss einer anderen Berufsausbildung) bereitet die Nebenerwerbsschule auf die Abschlussprüfung im Beruf Landwirt vor.
Kontakt Weitere Informationen erteilt Michael Stuber, Telefon 07191/895-4212.