Wenn der Kuhstall neben der Schule steht
Leben auf dem Land Wenn es mitten im Ort einen landwirtschaftlichen Betrieb gibt, kommt es immer wieder zu Konflikten. Gerade Zugezogene zeigen oft wenig Verständnis für die Zwänge durch Wetter und Jahreszeiten. Kinder dagegen sind oft begeistert vom praktischen Arbeiten.
Von Ute Gruber
Sulzbach an der Murr. Das Klischee vom konfliktträchtigen, in aller Herrgottsfrühe krähenden Hahn auf dem nicht minder anrüchigen Misthaufen mitten im Ort hat heutzutage nicht mehr viel mit moderner Landwirtschaft zu tun. Betriebe, die von ihren Erzeugnissen leben wollen, haben schon aus Platzgründen meist längst ihre Produktionsstätten an den Ortsrand oder ganz aufs freie Feld verlegt. Konflikte mit Mitbürgern gibt es dennoch zuhauf, zumal mit zugezogenen. Im Gegensatz zu den Einheimischen, die meist selbst noch mit Landwirtschaft aufgewachsen sind oder ein Stückle bewirtschaften, fehlen hier oft Wissen um die Zusammenhänge und Verständnis für die Notwendigkeiten. So fällt der frischgebackene Eigenheimbesitzer auf seiner Sonnenterrasse am Wiesenrand womöglich aus allen Wolken, wenn bei stabilem Sommerwetter plötzlich nebenan der Bauer mit schwerem Gerät anrückt und über Tage unter Vollgas erst mäht und zuletzt das fertig getrocknete Heu unter massiver Staubentwicklung auf Mahden recht und in Ballen presst. Das gekonnte Aufladen mit dem Frontlader und der Turmbau auf dem großen Anhänger mag den technisch Interessierten eventuell noch faszinieren, aber schon rückt der Schlepper mit dem Güllefass an, um die entzogenen Nährstoffe zu ersetzen, und hüllt die ganze Gegend in einen allumfassenden Kuhfladendunst. Die gute Landluft hatte sich der Städter eigentlich anders vorgestellt.
Vor allem Kinder helfen gerne im Stall
„Besonders das Freizeitverhalten kollidiert oft mit unserer Arbeit“, stellt Achim Magenau aus Lautern fest. So fülle sich ab etwa 16 Uhr der Feldweg durchs Lautertal mit Spaziergängern, Radfahrern und Skatern. „Da muss ich beim Wenden tierisch aufpassen, dass ich mit dem ausschwenkenden Kreisler keinen abräume!“ Außerdem weigerten sich manche Radler oder Jogger auf dem engen Weg schimpfend, dem Traktor auszuweichen. „Das ist unfassbar – da kann doch jeder ein bisschen zur Seite, dann langt’s.“ Manche Landwirte sind da radikaler. „Früher war das ganz klar: Wer schafft, hat Vorfahrt!“ Denn wann der Landwirt Feierabend hat, das bestimmt kein Tarifvertrag und kein Chef: „Das bestimmt allein das Wetter.“ Bei trockenem Wetter wird gesät, Heu gemacht, siliert und, falls das Getreide reif ist, gedroschen, solange es geht; bei leichtem Regen wird Gülle gefahren, bei Frost wird gepflügt. Auch nachts. Und anschließend geht es hier im Grünlandgebiet des Schwäbischen Waldes dann meist noch in den Stall.
Andererseits sind aber manche Erwachsenen und vor allem Kinder von den Arbeiten mit Tieren und Maschinen begeistert. Hier können sie sich leicht an der Arbeit beteiligen. Anders als vielleicht die Arbeit der Eltern, die meist auswärts oder am PC stattfindet und oft schwer vorstellbar ist. „Wir haben immer viele Helfer im Stall“, erzählt zum Beispiel Elke Böhm, deren Familie als letzte Milchbauern in Sulzbach an der Murr ihren Kuhstall innerhalb vom Ort ausgebaut hat und zwar direkt neben der Schule. „Vor Corona kamen immer wieder Schulklassen in den Stall, wenn das Thema Landwirtschaft behandelt wurde. Die pfusen zwar kurz, weil es stinkt, aber ernsthaft Probleme hatten wir nie.“ Für Elke Böhm sind diese Kontakte eine Bereicherung. Fatal allerdings ist für Familie Böhm, die den Betrieb seit Generationen bewirtschaftet, der dauernde Verlust von Flächen im engen Murrtal durch neue Baugebiete. „Irgendwann reicht es halt nicht mehr fürs Futter und zum Leben.“ Dann muss nach anderen Einkommensquellen gesucht werden und so fällt ein prosperierender Vollerwerbsbetrieb irgendwann in den Nebenerwerb.
Kontaktfreudige Landwirte in Ortsnähe nutzen die Nähe zum Verbraucher für eine Direktvermarktung ihrer Produkte. Sofern sie neben dem umfangreichen Arbeitspensum freie Kapazitäten haben, denn Ware und Kunden wollen betreut werden. Weitverbreitet im Schwäbischen Wald ist der lukrative Straßenverkauf von Deckreisig und Weihnachtsbäumen während der Adventszeit – für manche Landwirte die einträglichste Zeit im Jahr. Danach sind sie dann allerdings urlaubsreif.
Investitionen in Automaten lohnen sich
Sehr im Kommen sind daher personalunabhängige Verkaufsautomaten. So sind während der letzten Milchpreiskrise sogenannte Milchtankstellen neben günstig gelegenen Kuhställen wie Pilze aus dem Boden geschossen. „Am Tag verkaufen wir rund 50 Liter Milch“, freut sich eine Milchbäuerin aus der Region. Mit dem mehrfachen Preis, den sie von der Molkerei für ihre Rohmilch bekommen würden, schöpfen Milchbauern die Handelsspanne selbst ab. Dasselbe gilt für Eierproduzenten. Die Investition von mehreren Tausend Euro hat sich eventuell in gut einem Jahr amortisiert. Der Aufwand für Reinigung und Bestückung ist aber nicht zu unterschätzen und die übliche Rohmilch darf auch nur unmittelbar an der Hofstelle verkauft werden.
Ein Landwirt aus einem Sulzbacher Teilort, der anonym bleiben möchte, kann dem Zuzug von Städtern gar keine Vorteile abgewinnen: „Die akzeptieren unsre Gepflogenheiten nicht, die wissen aber ganz genau, was wer wann und wo von Gesetzes wegen darf und nicht darf. Und bei uns in Deutschland gibt’s ja nichts, was nicht bis ins Kleinste geregelt ist.“ Dann würden die, die eigentlich zuerst da waren, die Nahrung für alle erzeugten und die Landschaft pflegten, per Rechtsanwalt gezwungen, irgendwelche Einhausungen zu bauen, Umwege zu fahren oder unsinnige Zeitfenster für ihre Arbeiten einzuhalten. „Die Eingesessenen dagegen sind da meist kompromissbereit, die nehmen die Nachteile in Kauf, weil sie die Vorteile schätzen.“
Aber es gibt auch Zugezogene, die genau diese zart anarchischen Zustände auf dem Land schätzen. Markus Laiblin aus Stuttgart etwa war schon als Kind immer gern im Feriendomizil im Bauerndorf Berwinkel. Jetzt hat er seinen Wohnsitz gänzlich dorthin verlegt: „Hier kann ich spontan ein Grillfeuer anmachen, laut feiern und auch mal sonntags Rasen mähen – ohne dass die Polizei gerufen wird.“ Dafür nimmt er in Kauf, dass mal eine liebestolle Kuh brüllt, der Nachbar Samstagfrüh Holz sägt oder zur Erntezeit die halbe Nacht die Schlepper vorbeifahren. Und: dass über allem immer ein leichter Silagegeruch schwebt. Toleranz beruht eben auf Gegenseitigkeit.