Wie viel KI verträgt die Kunst?
Schlaue Systeme (7) KI-Programme wie ChatGPT oder Midjourney sind auf dem besten Weg, auch die Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern zu revolutionieren. Die Sorge, dass dabei der menschliche Schöpfergeist den Kürzeren zieht, bleibt allerdings nicht aus.
Von Kai Wieland
Rems-Murr. „Fotorealistische Szene, Eiffelturm an einem Sommertag“ – eine genauere Arbeitsanweisung braucht Christopher Cocks dem KI-Programm Midjourney nicht mit auf den Weg zu geben, damit dieses innerhalb von Sekunden eine Serie vermeintlicher Fotografien des Pariser Wahrzeichens ausspuckt. Vermeintlich deshalb, weil es sich dabei nicht um echte Fotos aus den Weiten des Internets handelt, sondern um generierte Bilder, neu und einzigartig in dieser Zusammenstellung. Weil er auf den Bildern Menschen vermisst, ergänzt Cocks die Beschreibung „mit Touristen“ oder „mit einem Pärchen, das Händchen hält“, außerdem macht er aus dem Sommertag kurzerhand einen Frühlings-, Winter- oder Herbsttag. Gesagt, getan: Midjourney legt los und schafft weitere neue Kunstwerke.
Aber wie neu sind diese tatsächlich und ist es überhaupt eigenständige Kunst? Letztlich arbeiten KI-Anwendungen, sei es Midjourney beim Erstellen von Bildern, ChatGPT beim Verfassen von Texten oder Loudly beim Komponieren von Musik, mit Versatzstücken bestehender Werke, selbst wenn diese winzig genug sind, um nicht mehr als urheberrechtlich geschützt zu gelten. Andererseits: Tut der menschliche Verstand denn viel mehr, als Gelerntes neu zusammenzusetzen?
Zwischen Hilfsmittel und Bedrohung
Ob und wie Kunst und künstliche Intelligenz zusammengehen, ist eine heiß diskutierte Frage, die gerade bei den Künstlern selbst auch Ängste schürt. „Es ist schon ein sehr interessantes Thema, aber auch missverständnisbehaftet“, meint Martin Schick, Leiter der Städtischen Galerie in Backnang. „Kunst wird von Künstlern gemacht. KI ist einfach nur ein weiteres Hilfsmittel dafür, wie es zuvor schon so viele neue Technologien gegeben hat.“
Seit jeher prägt der technologische Fortschritt den Kunstbetrieb. Bereits bei der Erfindung des Buchdrucks warnten Skeptiker vor der Entwertung eines Texts durch dessen Vervielfältigung. Die Möglichkeiten von KI stoßen allerdings in eine neue Dimension vor, weil sie den Musiker gewissermaßen zum Dirigenten machen, das Orchester bilden dann die Algorithmen. „Es ist eine völlig andere Herangehensweise“, bestätigt Christopher Cocks. Der Backnanger ist seit seiner Jugend leidenschaftlicher Fotograf. Während ihn anfangs vor allem Landschaften faszinierten, führte ihn sein Weg später über die Porträtfotografie zur sogenannten Digital Art, also zur digitalen Kunst, bei der er eigene Fotografien in Collagen oder Bildergeschichten arrangiert. Mit KI hat er erste Gehversuche unternommen, fremdelt aber damit. „Bislang war es so, dass ich mir überlegen musste, wie ich eine Idee fotografisch umsetzen kann, und auch die Umsetzung an sich war Teil des Prozesses. Bei Midjourney sitze ich am Rechner und muss ein Bild plötzlich sprachlich entwickeln.“
Wie schwierig das mitunter ist, zeigt das Eiffelturmbeispiel. Lässt man Midjourney Elemente ergänzen, entwirft es ein völlig neues Bild, das zwar auf dem vorigen basiert, sich aber dennoch in viel mehr Aspekten unterscheidet als nur in den explizit geforderten. Das Programm fügt nicht nur wie gewünscht Menschen ein, sondern ändert auch eigenverantwortlich die Laternen, die Zäune und den Hintergrund. „Es ist schwierig, damit eine eigene Handschrift zu entwickeln. Und je mehr Fremdes ich einbinde, desto weniger habe ich das Gefühl, es ist von mir“, sagt Christopher Cocks.
Die Kernfrage lautet: Wie viel KI kann ein Künstler vertragen? Cocks hat darauf noch keine abschließende Antwort gefunden. Ohnehin dürfte diese bei jedem individuell ausfallen, doch wer KI nutzt, überlässt zwangsläufig einzelne Schritte des künstlerischen Prozesses den Algorithmen. „Man verarmt dadurch ein Stück weit“, findet Cocks. „Eigentlich will man ja etwas Bestimmtes zum Ausdruck bringen oder eine Geschichte erzählen. Das wird zu einem gewissen Grad abgegeben.“
KI-Kunst ist wenig innovativ
Davor scheuen sich viele Künstler, egal aus welcher Sparte. Die meisten Musiker in der Region scheinen sich daher noch nicht mit KI zu befassen: „Ich glaube, wir stehen alle eher auf handgemachte Musik“, sagt etwa Micha Schad, Gitarrist der Band Wendrsonn. Auch weniger übergriffige KI-Hilfsmittel, die etwa das Trennen von Tonspuren ermöglichen, stehen offenbar noch nicht hoch im Kurs.
Anders sieht es bei der Filmproduktion aus. „Wenn ich Kurzfilme drehe, benutze ich Foto-KIs ganz gerne, um etwa Kinderfotos oder Fakeplakate zu entwerfen. Gerade wenn man wenig Zeit und Budget hat, ist das von Vorteil“, erzählt Axel Stelzmann aus Allmersbach im Tal. Der 22-Jährige studiert Digital Film Production in Stuttgart und nutzt KI auch für organisatorische Aufgaben, etwa um Verträge oder Anschreiben in der Produktion vorzubereiten. „Die KI orientiert sich da an Industriestandards, was dazu führt, dass man nichts vergisst, die richtigen Paragrafen und eine ordentliche Struktur hat.“ Bei kreativen Aufgaben wie Drehbüchern oder Konzepten lasse er die KI aber außen vor, sagt der Filmstudent. „Die KI orientiert sich immer daran, was am häufigsten gemacht wird, weshalb man nie eine neue Idee vorgeschlagen bekommt. Fragt man nach Filmideen, bekommt man nur Geschichten, die es bereits gibt, in abgewandelter Form.“ Außerdem gehe es etwa bei Werbung auch um die Zielgruppe und die Umsetzbarkeit – „alles Sachen, welche die KI nicht wirklich versteht“.
Zumindest bislang arbeiten generative KI-Tools nicht innovativ oder auch nur fehlerfrei. Hände haben auf Bildern oft überschüssige Finger, Texte von ChatGPT behaupten mitunter blanken Blödsinn. Die Entwicklung wird aber weitergehen, samt allen damit verbunden Risiken und Fragen.
Serie In unserer Serie „Schlaue Systeme“ zeigen wir, wo künstliche Intelligenz in unserer Region bereits zum Einsatz kommt. Nutzen Sie KI im Beruf oder auch in der Schule, im Ehrenamt oder im Privatleben? Dann schicken Sie eine E-Mail mit dem Betreff „KI-Serie“ an redaktion@bkz.de.Von Kai Wieland
Das Schaffen von Kunst ist die eine Seite der Medaille, die andere ist deren Genuss. Nicht immer gibt es dabei ein Bewusstsein für die Menschen hinter dem Werk. Wer sich unterhaltsame Krimis zu Gemüte führt, ohne hinterher den Namen des Autoren zu kennen, für den macht es kaum einen Unterschied, ob sich ein KI-Text dazwischenmogelt. Und wem Musik vor allem zur hintergründigen Berieselung taugt, für den wird auch eine Spotify-Playlist mit KI-generiertem Pianogedudel ihren Zweck erfüllen.
Der Ursprung von Kunst liegt aber nicht im Vertreiben von Langeweile, sondern im Verlangen nach Ausdruck des Innenlebens. Kunst ist menschliches Bewusstsein, gegossen in Worte, Töne und Bilder. Die Frage ist nicht, was KI leisten kann, sondern welchen Reiz eine vollständig generierte Kunst hätte, die beliebig skalierbar wäre, mit einem Algorithmus als Urheber.
Beim Essen neigt der Zeitgeist zu bewusstem Genuss statt schierem Konsum – ein guter Ansatz auch für geistige Nahrung.
k.wieland@bkz.de