Backnangs hässliche Ecken

Leseraktion Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Dennoch können sich die Bewohner einer Stadt meist auf Ecken und Winkel einigen, die das Prädikat unansehnlich verdienen. Backnang bildet da keine Ausnahme. Welche Bereiche brauchen Ihrer Ansicht nach eine Aufwertung?

Rustikaler Charme oder einfach nur verwahrlost? In jedem Fall täte der Wilhelmstraße eine Aufwertung gut, zumal hier laut Großmann viel Potenzial schlummert. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Rustikaler Charme oder einfach nur verwahrlost? In jedem Fall täte der Wilhelmstraße eine Aufwertung gut, zumal hier laut Großmann viel Potenzial schlummert. Fotos: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Backnang. „Hässlich und schön sind weniger die Kategorien, nach denen wir die Stadt wahrnehmen und beplanen, da es sich sehr um subjektive und oft auch zeitgeistige Einschätzungen handelt“, sagt Tobias Großmann, Leiter des Backnanger Stadtplanungsamts. Und damit hat er zweifellos recht, denn was einmal als modern oder fortschrittlich galt, wird heute oftmals als Bausünde wahrgenommen. Doch auch das umgekehrte Phänomen ist bekannt. Als 1973 der alte Backnanger Bahnhof, ein eindrücklicher Ziegelbau, zum Abriss freigegeben wurde, stieß dies in den Gemeinderatsfraktionen auf Wohlwollen. Wer heute auf alte Fotografien aus der Blütezeit des ersten Bahnhofsgebäudes blickt, den befallen jedoch Zweifel, ob der „neue“ – mittlerweile seinerseits angezählte – Bahnhof wirklich eine Aufwertung für das Stadtbild war.

Aber so ist eben der Geschmack: Er verändert sich mit dem Zeitgeist. Und dennoch lassen sich in jeglichem Stadtbild von München bis Hamburg Manifestationen des Verfalls und der Vernachlässigung feststellen, die wohl ohne Bedenken als zeitlos unattraktiv bezeichnet werden dürfen. Davor ist auch Backnang nicht gefeit.

Zwischen Vergangenheit und Zukunft

Was dem aufmerksamen Passanten beim Begehen der Wilhelmstraße, insbesondere im Abschnitt zwischen der Friedrichstraße und dem Juze, oder der Fabrikstraße ins Auge fällt, mag mancher als Shabby Chic bezeichnen, denn die alten Backsteinbauten und gemauerten Zeugen der Gerber- und Textilbranche verströmen durchaus eine gewisse Atmosphäre. Wenig einladend wirkt das Straßenbild dennoch. Abbröckelnder Putz, vernagelte Fenster und Schmierereien an den Wänden prägen den Eindruck. Zweifellos hat der Stadtteil seine besten Tage hinter sich – oder stehen sie etwa erst bevor?

„Sowohl im östlichen Teil der Wilhelmstraße zwischen Tesat und Friedrichstraße als auch im weiteren Verlauf in Richtung Juze handelt es sich um einen städtebaulichen Missstand, allerdings mit großem Potenzial“, sagt Tobias Großmann. Die Ursachen dafür kann der Stadtplaner klar benennen: „Sie liegen im Niedergang und Wegzug der Gerber- und Textilbranche sowie dem teilweisen Abbruch von Gebäuden, um großflächig Parkplätze zu gewinnen.“ Besonders bedauerlich: Während die Nähe zum Fluss für ein Areal ein Pluspunkt sein könnte, ist davon in der Wilhelmstraße nichts zu sehen.

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Die gute Nachricht lautet indessen, dass die Stadt sich des Gebiets bereits angenommen hat. Es wurde ein internationaler städtebaulicher Wettbewerb durchgeführt und das sogenannte Quartier West ist ein Beitrag zur IBA 2027 (wir berichteten). „Über die Belebung des Technikforums und das IBA-Festival sind die Potenziale auch in der Stadtgesellschaft aufgezeigt“, meint Großmann zuversichtlich. „Als nächster Schritt zur Umsetzung der städtebaulichen Aufwertung liegt der Ball beim privaten Eigentümer entlang der Wilhelmstraße.“

Das Beispiel des Quartiers West veranschaulicht eine zentrale Herausforderung des Städtebaus. Der Stadt ist es nämlich oftmals nicht gegeben, Änderungen am Bestand selbst herbeizuführen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, den Rahmen und die entsprechenden Anreize für Privateigentümer zu setzen, sich zum Vorteil aller an der Aufwertung des Areals zu beteiligen.

Ein Spielplatz für Sprayer

An illegalen Graffiti und an Street Art, wie sie auch im Quartier West in großer Zahl zu finden sind, scheiden sich die Geister. Dass diese aber sehr wohl kunstvoll und ansprechend sein können, ist an verschiedenen Stellen in der Stadt zu sehen, etwa an der alten Turmstation in der Aspacher Straße, welche im Zuge des Partnerstädtefestivals von zwei Sprayern aus Chelmsford gestaltet wurde. Als weniger ansprechend dürften die meisten Backnanger den Flickenteppich aus Graffitis und Tags an den Wänden der Felicitas-Zeller-Staffel empfinden, welche die Albertstraße mit dem Kalten Wasser verbindet. Es sind aber nicht allein die Wandbilder, welche der Stadt ein Dorn im Auge sind, sondern auch der stark renovierungsbedürftige Zustand dieser sowie mehrerer anderer Treppen im Stadtbereich (wir berichteten). „Die Sanierung der Staffel ist aufgrund der knappen Haushaltslage bereits geschoben worden. Eine Verbesserung ist aber klares Ziel der Stadt“, sagt Tobias Großmann und benennt gleich einen Ansatz, der sich positiv auf die Situation auswirken soll. „Mit der Herstellung des Lückenschlusses zwischen Bahnhofstraße und Albertstraße wird es eine weiterhin steigende Fußgängerfrequenz in diesem Bereich geben, sodass darüber die soziale Kontrolle dort verstärkt wird.“ Soll heißen: Wo viele Menschen unterwegs sind, werden per se weniger Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten begangen.

An der Felicitas-Zeller-Staffel messen sich offenbar die lokalen Graffitisprayer.

© Alexander Becher

An der Felicitas-Zeller-Staffel messen sich offenbar die lokalen Graffitisprayer.

Ein Hauptaugenmerk liege bei der Stadt derzeit auf der Aufwertung des Quartiers in der unteren Marktstraße, das ebenfalls als städtebaulicher Missstand zu bewerten sei, so Großmann. „Hier gelang es der Stadt über langjährigen Ankauf von Grundstücken zum ersten Mal, in die Position der eigenständigen Gestaltung zu kommen. Es handelt sich hier jedoch um einen längerfristigen und schwierigen Entwicklungsprozess, der in diesem Jahr auch planerisch Fahrt aufnimmt.“

Leseraufruf Sie kennen weitere unschöne Ecken und Winkel im öffentlichen Raum, an denen Handlungsbedarf besteht? Wir freuen uns über Ihre E-Mail mit dem Betreff „Hässliche Ecken“ an redaktion@bkz.de. Bitte beachten Sie, dass wir Nachrichten, die sich auf Privatgebäude oder -grundstücke beziehen, nicht berücksichtigen.

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Erstellt:
9. Februar 2024, 06:00 Uhr

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