Ein Gutschein bringt Fjona auf die Backnanger Bühne

Die neunjährige Fjona ist seit ihrer Geburt körperlich stark eingeschränkt. Bei einer Choreografie der Ballettschule Liane wird sie auf dem Straßenfest mittanzen, denn seit Oktober lernt sie Ballett – wenn auch oft nur im Sitzen. Auf ihren Körper wirkt sich das Training positiv aus.

Fjona (links), die eine körperliche Behinderung hat, trainiert beim Ballett fleißig für den Auftritt auf dem Straßenfest. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Fjona (links), die eine körperliche Behinderung hat, trainiert beim Ballett fleißig für den Auftritt auf dem Straßenfest. Foto: Alexander Becher

Von Nicola Scharpf

und Kristin Doberer

Backnang. Ein Auftritt auf der Bühne am Straßenfest, das ist für viele Backnanger Kinder zwar etwas Besonderes, aber für Mitglieder in Tanzschulen und Vereinen auch nichts ganz Ungewöhnliches. Für die neunjährige Fjona aber ist ein solcher Auftritt etwas ganz Neues. Denn das Mädchen hat eine körperliche Behinderung. Fjona ist nach nur sechs Monaten als Frühchen auf die Welt gekommen, dann erlitt sie einen Hirnschlag, durch den beide Beine, ein Arm und ihre Augen beeinträchtigt wurden. Dass sie nun bei einer Choreografie der Ballettschule Liane mitmachen wird, hätte sie im vergangenen Jahr wohl nicht gedacht. „Sie freut sich total, dass sie bei der Aufführung involviert sein kann“, sagt Fjonas Mutter Anna Hoti. Natürlich sei auch eine gewisse Portion Aufgeregtheit dabei.

Ein Gutschein vom Kinderfest ermöglicht erste Tanzstunden

Dass sie Ballett lernen möchte, das habe Fjona schon länger geäußert, berichtet ihre Mutter. Sie sei sich aber nicht sicher gewesen, ob das überhaupt machbar ist. Denn obwohl das Mädchen aufgeweckt und absolut nicht auf den Mund gefallen ist, braucht Fjona eben doch Unterstützung und auch Übungsalternativen. Dass die Familie es aber doch mit dem Ballettunterricht versuchte, ist einem Gutschein für zwei Monate Schnupperkurs in der Tanzschule Liane geschuldet, den Fjona beim Backnanger Kinderfest gewonnen hatte. „Oft höre ich nichts mehr, wenn ich Gutscheine über eine kostenlose Teilnahme spende, denn natürlich will nicht jeder mal eine Ballett- oder Hip-Hop-Stunde besuchen“, sagt Tanzschulleiterin Liane Martínez.

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Doch schon beim Kinderfest sei ihr Fjona aufgefallen, weil sie so großen Spaß daran hatte, für einen Stempel auf der Stempelkarte zu tanzen. „Sie konnte nur die Arme bewegen, war mit dem Rollstuhl unterwegs und musste rein- und rausgetragen werden. Sie saß am Boden und hatte trotzdem eine Riesenfreude am Tanzen – ein echter Sonnenschein und abgesehen vom Körperlichen schwer auf Zack.“ Nach den Herbstferien war Fjona dann also zum Ballettunterricht da. „In Kooperation mit den reizenden Eltern haben wir einfach getan, was ging. Fjona hat angefangen, körperlich zu arbeiten“, sagt Liane Martínez. Mittlerweile besucht das Mädchen das Training jede Woche. Viele Übungen macht Fjona im Sitzen mit oder hält sich an der Ballettstange fest, immer wieder überlege sich die Tanzlehrerin auch extra Bewegungen für sie. „Sie macht eben so gut mit, wie sie kann. Dafür müssen sich Vereine oder Tanzschulen das auch zutrauen und gewillt sein, Inklusion zu leben“, freut sich die Mutter über die gute Zusammenarbeit mit der Tanzschule.

Dadurch und durch eine intensive Therapie konnte das Mädchen in den vergangenen Monaten schon deutliche Erfolge feiern. Inzwischen kann Fjona mit Festhalten an der Ballettstange sogar auf einem Bein stehen und hat die Spasmen, die ihren Körper kontrahieren, intensiv bearbeitet. Sie kann die Beine ausstrecken – ihr rechtes Knie konnte sie vorher nicht durchdrücken – und dehnt ihre Muskeln, tanzt im Sitzen mit. „Jede Woche habe ich eine Gänsehaut, wenn ich sie mit ihren schwierigen Voraussetzungen arbeiten sehe. Sie arbeitet so hart an sich, jede Woche“, zeigt sich die Tanzlehrerin begeistert. Auch die Eltern sehen eine Veränderung: „Jede Bewegung, die sie von sich aus macht, ist gut“, sagt die Mutter. Auch könne sie mittlerweile einige Schritte frei laufen, je nach Tagesform sind es mal nur zwei, mal aber auch 20. „Ich glaube auch, dass sich ihr Körperbewusstsein und ihre Haltung verbessert haben“, sagt Anna Hoti.

Auch nach dem großen Auftritt will Fjona ihr Balletttraining fortsetzen

Im Biegel, weil der Rollstuhl dort besser hinkommt, hat Fjona nun beim Straßenfest am Sonntag um 14 Uhr ihren ersten Bühnenauftritt. Sie sei so glücklich, dass sie wie andere Kinder dieses Jahr mit auf der Bühne sein und auch ein lilafarbenes Tutu tragen wird. In der Choreografie bekommt sie einen besonderen Platz: Sie wird auf einem speziellen Stühlchen sitzen und die Arme mitbewegen. Angesichts dieser reizenden Anekdote ist für Liane Martínez ganz klar: „Da liefere ich doch gerne wieder Gutscheine.“ Zum Beispiel fürs Entenrennen. Und auch für die Familie steht fest: Fjona wird weiterhin Ballett lernen. Nicht unbedingt für Auftritte, sondern weil es ihr sichtlich viel Spaß macht. „Ihr ganz großes Ziel wäre es, irgendwann sogar einen Spagat zu schaffen“, erzählt Anna Hoti. Und noch dazu ist es das erste Mal, dass das Mädchen ganz allein, also ohne Eltern und ohne Inklusionsbegleitung, seinen Alltag gestaltet – ein großer Schritt für Fjona.

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Erstellt:
21. Juni 2024, 06:00 Uhr

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