Teile aus Backnang für die Formel 1
Vor einem Jahr hat die Firma Millcraft 3D ihren Sitz von Affalterbach ins Gewerbegebiet Lerchenäcker verlegt. Das Unternehmen produziert mit zwölf Beschäftigten Frästeile, Prototypen und Formen, die vor allem im Motorsport zum Einsatz kommen.
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© Alexander Becher
Mit kritischem Blick prüft Sven Goldschmidt das Modell eines Karosserieteils für ein hochmotorisiertes Hypercar, denn die Kundschaft stellt hohe Ansprüche. Foto: Alexander Becher
Backnang. Die Rennwagenposter an den Wänden weisen bereits darauf hin, womit die Firma Millcraft 3D im Gewerbegebiet Lerchenäcker ihr Geld verdient. Dazu passt auch, dass der Betrieb seinen Sitz früher in Affalterbach, der Heimat von AMG, hatte. „Viele unserer Kunden kommen aus dem Motorsport“, bestätigt Geschäftsführer Sven Goldschmidt. AMG war einer der ersten, inzwischen beliefert das Unternehmen, das vor einem Jahr nach Backnang umgezogen ist, aber auch Porsche und andere große Namen aus der Automobilbranche. Details darf Goldschmidt zwar nicht ausplaudern, denn die Verträge verpflichten ihn zur Geheimhaltung. So viel kann er allerdings verraten: „Aktuell fahren vier Formel-1-Teams mit Teilen, die von uns oder mit unseren Formen produziert wurden.“
Die Kernkompetenz des Backnanger Unternehmens ist das Fräsen. Vier große CNC-Fräsmaschinen stehen in der Produktionshalle, dazu noch ein 3-D-Drucker im XXL-Format, der von der Firma Q.Big 3D stammt, die ihren Sitz im selben Gebäude hat. Der Maschinenpark hat laut Goldschmidt einen Wert von knapp sechs Millionen Euro. Aus großen Blöcken aus Epoxidharz oder Aluminium fräsen die Maschinen Teile, Modelle und Formen. Zum Beispiel sogenannte Urmodelle, also die erste dreidimensionale Version einer neuen Stoßstange oder einer Heckschürze. Diese Teile werden später meist aus Carbon gefertigt. Dafür braucht man aber zunächst eine Negativform, die ebenfalls bei Millcraft aus den Blöcken gefräst wird.
Hohe Zuverlässigkeit ist gefragt
Die Carbonteile selbst werden dann zwar von anderen Firmen im Laminierverfahren hergestellt, kommen aber anschließend oft zur Endbearbeitung wieder nach Backnang. Dort werden dann zum Beispiel die rauen Kanten abgeschliffen, Löcher gebohrt und Gewinde gesetzt. Dabei ist hohe Zuverlässigkeit gefragt, denn im Motorsport kosten manche Teile sechsstellige Beträge. „Da darf nichts falsch gebohrt werden“, stellt Sven Goldschmidt klar.
Neben Präzision geht es in diesem Geschäft aber auch um Schnelligkeit. Wenn ein Kunde beim Windkanaltest noch kurz vor dem Rennen Änderungsbedarf anmeldet, muss ein neues Teil schon mal innerhalb von 24 Stunden geliefert werden. Deshalb hält man bei Millcraft 3D immer Kapazitäten für kurzfristige Aufträge frei.
Perfekte Bedingungen am neuen Standort
Gegründet hat Sven Goldschmidt die Firma 2016 zusammen mit seinem ehemaligen Chef Sören Kura, als dritter Partner stieg Sascha Guilliard mit ein. Alle drei hatten durch ihre früheren Jobs bereits gute Kontakte in der Automobilbranche. So liefen die Geschäfte von Anfang an gut, obwohl die Firma kaum Werbung machte. „Wir hatten schnell acht Leute und drei Maschinen“, erinnert sich Sven Goldschmidt. Doch in Affalterbach waren die Wachstumsmöglichkeiten begrenzt. Außerdem war das Gebäude aus dem Jahr 1979 nicht gerade repräsentativ, um darin Vertreter großer Automobilfirmen zu empfangen. Deshalb machten sich die drei Geschäftsführer auf die Suche nach einem neuen Standort.
„Wir haben alle Gemeinden in der Region abtelefoniert“, erzählt Sven Goldschmidt. Auch der Backnanger Wirtschaftsbeauftragte Reiner Gauger bekam einen Anruf. Er vermittelte den Kontakt zu Dirk Veeser, der in den Lerchenäckern einen Innovationspark für junge Unternehmen plante. Für Millcraft 3D ein Glücksfall: „Er hatte genau das, was wir gesucht haben“, schwärmt Sven Goldschmidt. Seit dem Umzug vor einem Jahr stehen dem Unternehmen nicht nur 1100 Quadratmeter Produktionsfläche (vorher 600) zur Verfügung, sondern auch moderne Büros sowie Besprechungs- und Sozialräume. So kann die Firma attraktivere Arbeitsbedingungen bieten – ein wichtiger Punkt im Wettbewerb um die begehrten Fachkräfte.
Kollegen fahren zuweilen gemeinsam zu Autorennen
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Der Bezug zum Motorsport ist ein weiteres Lockmittel. „Wenn wir bei einem Formel-1-Rennen im Fernsehen unsere Teile sehen, ist das schon ein gutes Gefühl“, sagt der Geschäftsführer. Er ist nicht der einzige Motorsportfan im Millcraft-Team: Ab und zu fahren die Kollegen deshalb auch gemeinsam zu Autorennen. Auf dem Nürburgring durften sie auch selbst schon mal in einem DTM-Boliden mitfahren.
Mittlerweile ist das Team auf zwölf Mitarbeiter und einen Auszubildenden angewachsen. Angesichts der guten Auftragslage wäre sogar die Anschaffung einer weiteren Fräsmaschine möglich, erklärt Sven Goldschmidt. Allerdings sei es nicht ganz einfach, Personal zu finden, das diese auch bedienen kann. Deshalb will das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von rund drei Millionen Euro lieber langsam, aber stetig wachsen. „Unser Ziel ist es, irgendwann
20 bis 25 Mitarbeiter zu beschäftigen“, erklärt Goldschmidt.
Tresormodell für die Spielemesse Gamescom
Aktuell macht Millcraft 3D rund 80 Prozent seines Umsatzes mit Kunden aus dem Automobilbereich. „Da hängt unser Herz dran“, sagt Sven Goldschmidt. Trotzdem würde er die Firma gerne noch breiter aufstellen. Schließlich sind gefräste Formen und Modelle vielseitig einsetzbar. So hat die Firma zum Beispiel für die Spielemesse Gamescom einen originalgetreuen Nachbau des Tresors aus der Fernsehserie „Haus des Geldes“ gefräst. Auch Drohnenteile oder Formen für die Herstellung von Knieorthesen wurden bereits bei Millcraft hergestellt. Nahezu alle Anwendungen mit Stückzahlen zwischen eins und 500 sind denkbar.
Sven Goldschmidt hofft, dass der neue Standort vielleicht auch weitere Türen öffnet. „Wir wollen künftig noch mehr in Backnang netzwerken“, kündigt der Unternehmer an. So könnte für ihn zum Beispiel Tesat ein interessanter Ansprechpartner für gemeinsame Projekte sein.