Backnanger Stadträte investieren viel in ihr „Hobby“

Die zeitliche Belastung der Mitglieder des Backnanger Gemeinderats hängt stark vom jeweiligen Engagement ab. Die fleißigsten Kommunalpolitiker investieren bis zu acht Stunden pro Woche in ihr Mandat und besuchen neben den Sitzungen auch Vereine oder Feste.

Ein Vor-Ort-Termin in der Stadt? Wer informiert sein will, der nimmt daran teil. Aber all diese Termine kosten Zeit. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Ein Vor-Ort-Termin in der Stadt? Wer informiert sein will, der nimmt daran teil. Aber all diese Termine kosten Zeit. Foto: Alexander Becher

Von Matthias Nothstein

Backnang. Nach einem langen Arbeitstag gibt es viele Möglichkeiten, den Abend zu verbringen. Sofa, Sport oder Biergarten wären da etwa Überlegungen. Ganz anderes steht da bei vielen Kommunalpolitiker auf dem Zettel. Egal ob Regional-, Kreis-, Stadt- oder Gemeinderäte – sie eilen trotz hoher beruflicher Belastung in die Gremien, in Ausschüsse, zu Spatenstichen, zu Eröffnungen, zu Treffen oder zu Festen. Und sitzen dort zuweilen bis tief in die Nacht.

Zu den fleißigsten Stadträten von Backnang gehört vermutlich Ute Ulfert, die trotz ihrer immensen Belastung als Allgemeinmedizinerin fast keine Gemeinderatssitzung versäumt. 60-Stunden-Wochen in der Arztpraxis sind bei ihr die Regel, Büroarbeit am Wochenende kommt noch obendrauf. Dass die Sitzungen des Gemeinderats zumeist erst um 17 Uhr beginnen, kommt ihr zupass. Nach einem harten Praxistag, in dem sie dauernd gefordert ist, genießt sie es sogar ein wenig, wenn nicht dauernd das Telefon klingelt und Notfälle versorgt werden müssen. Die Christdemokratin relativiert die Belastung: „Was mich belastet, das ist, wenn einer umfällt und beatmet werden muss. Wenn ich aber einen Antrag nicht durchbekommen habe oder es sich herausstellt, dass man eine Fehlentscheidung getroffen hat, dann ärgere ich mich kurz, mehr aber nicht. Ich bin da ganz pragmatisch.“ Eigentlich müsste Ulfert als erste Stellvertreterin des Oberbürgermeisters auch bei Jubilaren vorbeischauen. Hier ist sie sehr dankbar, dass Heinz Franke (SPD) und Lutz-Dietrich Schweizer (CIB) ihr sehr viele Einsätze abnehmen.

Kommunalpolitik ist Basisarbeit mit Menschen, da gibt es kein Wegducken

Die zeitliche Belastung als Stadtrat hängt laut Heinz Franke stark davon ab, wie ernst das Amt genommen wird. So ist seiner Ansicht nach auch eine gute Sitzungsvorbereitung notwendig, wenn sinnvoll mitgeredet werden will. In seinen drei Jahrzehnten als Stadtrat habe er jedoch immer wieder beobachten müssen, wie Stadträte erst vor Ort den Umschlag mit den Sitzungsunterlagen geöffnet hätten. Zum Amt gehöre ferner, vor Ort gut vernetzt, sichtbar und engagiert zu sein, „denn Kommunalpolitik ist Basisarbeit und hat ganz unmittelbar mit Menschen zu tun, da gibt es kein Wegducken“.

Ganz wesentlich hängt die Belastung laut Gerhard Ketterer (CDU) auch davon ab, in wie vielen Gremien der jeweilige Stadtrat sitzt. Er etwa gehört dem Ausschuss Technik und Umwelt, dem Betriebsausschuss Stadtentwässerung oder der Verwaltungsgemeinschaft an. Auch ist er im Ältestenrat und im Aufsichtsrat der Stadtwerke Backnang. Früher gehörte er noch dem Aufsichtsrat Klärschlammverwertung, dem Stiftungsrat Ungarndeutsches Heimatmuseum, dem Patenschaftsausschuss für das ungarndeutsche Sozial- und Kulturwerk und dem Zweckverband Lerchenäcker an.

Rund vier Stunden wöchentlich für das Ehrenamt

Ketterer war 14 Jahre lang CDU-Fraktionsvorsitzender. Vor jeder Gemeinderatssitzung trifft sich dienstags die Fraktion. Dann bringen die Mitglieder der Ausschüsse ihre Fraktionskollegen auf den neuesten Stand. „Das dauert oft von 20 bis 22 Uhr oder noch länger. Der Abend ist dann auch gelaufen.“ Zusätzlich muss der Ältestenrat vor jeder Gemeinderatssitzung tagen und die Tagesordnung freigeben. Der 82-Jährige hat ausgerechnet, dass er über das Jahr gesehen vermutlich etwa vier Stunden wöchentlich in das Ehrenamt investiert. Ketterer: „Zum Glück bin ich geistig und körperlich topfit und kann das immer noch leisten.“ Weil er so viel auf sich nimmt, ärgert es ihn umso mehr, wenn andere die Pflicht schleifen lassen. So erinnert er sich etwa an eine wichtige Gemeinderatssitzung, bei der ein gesamte Fraktion durch Abwesenheit glänzte.

Bei Juliana Eusebi (Grüne) hat die hohe Belastung den Ausschlag gegeben, dass sie nicht mehr für den Gemeinderat kandidiert, sondern nur noch für den Kreistag. „Die Doppelfunktion hat Aufgaben in Hülle und Fülle mit sich gebracht. Es ist ja nicht nur wichtig, an den Sitzungen teilzunehmen, sondern es gibt darüber hinaus viele Veranstaltungen, Vereinstreffen oder Eröffnungen, bei denen wir präsent sein sollten.“ Laut Eusebi gibt es Wochen, in denen sie an bis zu fünf Tagen im Einsatz ist. „Das darf man getrost als Hobby bezeichnen.“

Hobbys leiden unter der Tätigkeit

Bei vielen Gemeinderäten leiden eben diese Hobbys ganz gewaltig. Ute Ulfert sagt: „Ich kann mir bei einem Einsatz von bis zu acht Stunden fürs Ehrenamt kein anderes Hobby mehr leisten.“ Früher hat sie gerne getanzt. Von dieser Leidenschaft zeugt heute nur noch das Abo für die Oper und das Ballett, das ihr viermal im Jahr zu einer kleinen Auszeit verhilft. Der Garten, eigentlich auch eine Passion der Ärztin, leidet ebenfalls unterm Politikengagement, er ist inzwischen naturbelassen. Ulfert: „Irgendwann ist halt der Akku leer.“

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Davon kann Jörg Bauer vom Bürgerforum Backnang (BfB) ein Lied singen. Er ist nicht nur als Bauunternehmer täglich von 7 bis oft 19 Uhr für seinen Broterwerb unterwegs, meist auch samstags bis 15 Uhr, sondern er ist auch Ultrasportler, der beispielsweise schon den Ironman auf Hawaii absolviert hat. Um diese Fitness zu bekommen, steht er morgens kurz vor 5 Uhr auf und trainiert sofort fleißig. So kann er schon fünf bis sechs Stunden seines Trainingsplans morgens abhaken, für die er sonst abends irgendwo Zeit rausschneiden müsste.

Sitzungsunterlagen werden auch beim Zähneputzen durchgearbeitet

Trotzdem muss Bauers Engagement als Stadtrat nicht darunter leiden. Wenn Sitzungen des Gemeinderats stattfinden, macht der Maurermeister schon so früh Feierabend, dass er um 17 Uhr im Sitzungssaal anwesend ist. Und zwar vorbereitet. Die Sitzungsunterlagen liegen immer in Papierform auf seinem privaten Schreibtisch. So kann der 54-Jährige diese auch schon mal beim Zähneputzen durcharbeiten. Nur in einem Punkt versteht der Sportler keinen Spaß: wenn es um seinen Schlaf geht. Deshalb verlässt er die Sitzungen auch, wenn diese wegen eventueller Plaudertaschen länger als 22 Uhr dauern, „irgendwann ist auch mein Akku leer“. Insgesamt ist der Zeitaufwand für das Mandat schon groß, rechnet Bauer vor. Im Schnitt findet jede Woche eine Sitzung statt, denn Bauer ist auch in mehreren Ausschüssen vertreten.

Was viel hilft, das ist nach einigen Jahren die Routine. Franke etwa sagt: „Nach 30 Jahren im Gemeinderat ist auch viel Erfahrung dabei, um Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden zu können. Da weiß man, wo es Sinn macht, sich reinzuhängen.“ Ketterer sieht es genauso: „Durch Routine fallen einem viele Arbeiten leichter.“

Auch emotionale Belastungen sind groß

Neben der zeitlichen Belastung leiden einige Stadträte auch an der emotionalen, wenn sie für ihr Tun angefeindet werden. Franke sagt: „Wichtig ist, hinter dem zu stehen, was man entscheidet, auch mit dem Risiko, ab und zu kritisiert zu werden. Das muss man aushalten, verbal, in Leserbriefen, E-Mails. Unangenehm sind allerdings die gelegentlichen anonymen Beschimpfungen unterhalb der Gürtellinie. Und ärgerlich ist es, gelegentlich fast persönlich dafür mitverantwortlich gemacht zu werden, was in der großen Politik nicht läuft.“

Ulfert versucht, all das nicht an sich herankommen zu lassen. „Manche Menschen sind unbelehrbar, da muss man ruhig bleiben. Ich bin einigermaßen resilient, aber ich kann mir vorstellen, dass andere, die sensibler auf diesem Gebiet sind, daran zu knabbern haben.“ Ketterer ist in seinen 44 Jahren im Gremium nie angefeindet worden, „das Echo aus der Bürgerschaft war immer positiv“. Eusebi hingegen berichtet von Aggressivität am Wahlstand. „Bei solchen Streitgesprächen geht es nicht um Tatsachen, sondern um Beleidigungen und Verschwörungstheorien. Es macht schon etwas mit einem, wenn das Plakat mit meinem Gesicht darauf angezündet wird.“

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Erstellt:
7. Juni 2024, 06:00 Uhr

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