Eine Ära im Weissacher Gemeinderat geht zu Ende

Knapp ein halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung löst sich die Liste Weissacher Bürger (LWB) auf. Bei vielen Themen gingen die Meinungen zuletzt auseinander. Zudem konnte der Vorstand nicht neu besetzt werden. Langjährige Mitglieder blicken auf die gemeinsame Zeit zurück.

Jan Hutzenlaub, Thomas Obermüller und Toni Trautwein (von links) möchten an die Verdienste und Erfolge der LWB erinnern. Der Vierte der Gesprächsrunde, Jacky Ehring, wollte lieber nicht mit aufs Foto. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Jan Hutzenlaub, Thomas Obermüller und Toni Trautwein (von links) möchten an die Verdienste und Erfolge der LWB erinnern. Der Vierte der Gesprächsrunde, Jacky Ehring, wollte lieber nicht mit aufs Foto. Foto: Tobias Sellmaier

Von Melanie Maier

Weissach im Tal. Dass die LWB (Liste Weissacher Bürger) nach der Kommunalwahl am 9. Juni nicht mehr im Weissacher Gemeinderat vertreten sein wird, das ist längst kein Geheimnis mehr. Auch dass sie sich mit diesem Datum auflösen wird, ist vielen Weissacherinnen und Weissachern sicherlich nicht neu. Öffentlich wollten die Mitglieder das aber bisher noch nicht kundtun – eben wegen der bevorstehenden Wahl. Anstand, auch das ist ein Wert, den die LWB für sich ausmachen kann.

Unter ihrem Slogan „demokratisch – ökologisch – sozial“ sammelten sich seit der Gemeinderatswahl 1975 verschiedene Ansichten und Gesinnungen. „Von links bis konservativ war bei uns alles vertreten – nur Rechtsradikalismus oder Extremismus, das ging nicht, klar“, so Jacky Ehring, der lang den LWB-Vorsitz innehatte. An einem Nachmittag Ende Mai sitzt er am Tisch mit den beiden LWB-Gemeinderäten Thomas Obermüller und Jan Hutzenlaub sowie dem langjährigen Gemeinderatsmitglied und LWB-Vorsitzenden Toni Trautwein. Zu viert blicken sie auf das Ende dieser Ära in der politischen Szene der Tälesgemeinde zurück und lassen einiges Revue passieren.

Die Liste hat viele Themen angestoßen

Gegründet wurde die Liste ursprünglich von der Weissacher SPD im Vorfeld der Kommunalwahl 1975, bei der sie auch gleich zwei Mandate erreichte (wir berichteten). Seither war die LWB aus Weissach nicht wegzudenken. Wobei es natürlich Höhen und Tiefen gab, wie Toni Trautwein offen einräumt. Zum Beispiel um die Jahre 1986 bis 1988. „Der Gemeinderat war zerstritten und die LWB hatte damals fast keine Mitglieder mehr“, sagt er. Das lag auch daran, dass die Sozialdemokraten aus der Liste austraten und ihre eigene Gruppe bildeten. Mit Freunden, darunter Dieter Rapp, habe er die Liste neu belebt, so der 70-Jährige.

Und so kamen dann auch wieder bessere Zeiten. Trautwein, Ehring, Obermüller und Hutzenlaub erinnern an Projekte, die sie mit angestoßen, und Themen, für die sie sich starkgemacht hat: den Skulpturenpfad, das Verkehrskonzept, das Hutzenlaub zufolge jahrelang beantragt, aber mehrheitlich abgelehnt worden war, die Einführung von Tempo 30 in den Wohngebieten oder auch die Wasserversorgung, die die Gemeinde heute selbst in den Händen hält.

Letzteres wurde in Zusammenarbeit mit der CDU-Fraktion durchgesetzt. Die LWB war auf den damaligen CDUler Heinz Schlehner zugegangen, erzählt Trautwein. Der wiederum habe seine Gruppe von dem Vorhaben überzeugt – obwohl er zu dem Zeitpunkt selbst schon gar nicht mehr im Gemeinderat saß. Auf diese Weise habe die LWB häufiger Kompromisse errungen. Als kleine Fraktion (beziehungsweise Gruppierung) war sie auf Zusammenarbeiten angewiesen. Manches konnte nicht erreicht werden. „Manchmal gings nur um eine Stimme, das war natürlich frustrierend“, sagt Trautwein. Andererseits sei die Bereitschaft zum Kompromiss auch eine Stärke der Liste gewesen, findet Hutzenlaub. „Wir waren prinzipientreu, aber nie ideologisch verbohrt.“ Entscheidungen innerhalb der Gruppe seien transparent und basisdemokratisch getroffen worden, sagt Hutzenlaub. Auch Nichtmitglieder brachten sich ein.

Mit dem Tod Bernd Hecktors entstand ein Vakuum

Wann der Anfang vom Ende begonnen hat? Das kann keiner der Anwesenden so genau sagen. Viele Entwicklungen haben wohl dazu beigetragen. Zum einen sicherlich der Tod von Bernd Hecktor im Herbst 2018. Er war so etwas wie eine Galionsfigur der LWB, saß 27 Jahre im Gemeinderat. „Von ihm ging viel aus“, sagt Trautwein. Auch Jan Hutzenlaub, der bei Bernd Hecktor als Schüler im Unterricht saß, und Thomas Obermüller kamen über das charismatische LWB-Urgestein zur Liste. Animiert von seinem Lehrer trat der heute 33-jährige Hutzenlaub als 18-Jähriger erstmals bei der Gemeinderatswahl an – und gewann direkt einen Sitz. Thomas Obermüller sagt, er habe sich sehr, sehr gut mit Hecktor verstanden. „Und das, obwohl es schon den einen oder anderen Reibungspunkt gab zwischen uns – schließlich war er Alt-68er, ich Uniformträger“, erklärt der 64-jährige ehemalige Polizist. „Aber unser Menschenbild, das war nahezu identisch.“

Weitere Themen

Mit dem Tod Hecktors sei in der LWB ein Vakuum entstanden, sagt Obermüller. Trotzdem schafften es die Mitglieder, bei der Gemeinderatswahl nur ein Jahr später eine Liste mit der Maximalanzahl von 18 Personen aufzustellen und vier Sitze aufrechtzuerhalten. Neben Obermüller und Hutzenlaub zogen damals Luciano Longobucco und Jana Kriegel ins Gremium ein.

Der Generationenwechsel blieb aus

Viele neue Gesichter waren damals zur Liste dazugestoßen. Doch die Hoffnung auf einen Generationenwechsel erfüllte sich nicht. „Es hat uns erst positiv überrascht, dass so viele neue junge Leute gekommen sind“, sagt Ehring. „Aber das Engagement hat gefehlt. Viele haben vielleicht auch den Aufwand unterschätzt. Und wir Alten hatten keine Energie mehr, das wiederzubeleben“, so der 73-Jährige. Dazu gingen die Meinungen immer weiter auseinander. In kurzer Zeit wechselte der Vorsitz recht häufig. Dann kam die Pandemie. Mit ihr, sagt Hutzenlaub, sei die Liste eingeschlafen. „Manche haben schon noch was gemacht. Der Vorstand hat auch Online-Sitzungen organisiert, aber das war nicht dasselbe. Wir haben versucht, die Liste mit drei Vor-Ort-Aktionen wieder zu aktivieren, aber es ist nicht gelungen, das zu verstetigen.“

Anfang 2021 schied Jana Kriegel berufsbedingt aus dem Ortsparlament aus. Nachrücker Markus Gentner hinterließ wiederum eine Lücke im Vorstandsdreigestirn, die so schnell nicht geschlossen werden konnte – bei der LWB galt seit jeher, dass Gremiumsmitglieder kein Amt ausüben.

Dann traf die Liste ein neuerlicher herber Schlag: Im Februar 2023 wechselten Markus Gentner und Luciano Longobucco zur CDU/FWV-Fraktion. Die LWB war zur Gruppierung geschrumpft. Und auch in der Gruppe selbst fehlten die Leute.

Sieben Monate später beschloss die Liste ihre eigene Auflösung. Diese habe sich aber schon im Frühjahr 2023 abgezeichnet, so Obermüller. Mittlerweile ist so gut wie alles abgewickelt worden. Die Homepage der LWB ist offline, das Geld, das noch da war, ist gespendet worden. Am 9. Juni geht sie also zu Ende, die fast 50-jährige Geschichte der LWB. Sie war prägend für die Gemeinde.

Wie es für die zwei Räte weitergeht

Thomas Obermüller wird bei der Kommunalwahl am 9. Juni aus persönlichen Gründen nicht mehr antreten.

Jan Hutzenlaub steht auf der Liste der SPD. „Diese Liste hat für mich am besten gepasst“, sagt er. „Wir haben in den letzten Jahren ähnliche, wenn nicht die gleichen Interessen vertreten.“ Er sei mit offenen Armen empfangen worden. Bei der neuen Offenen Grünen Liste (OGL) mitzumachen, war für ihn keine Option. „Man hört immer wieder, dass die LWB geschlossen zur OGL gewechselt sei“, sagt Hutzenlaub. „Das ist nicht der Fall.“ Zwar habe es einige Mitglieder gegeben, die eine Fusion gerne gesehen hätten, aber eben nicht alle. Auf das Ende der LWB sieht er ohne allzu großes Bedauern: „Die Liste hat ihre Zeit gehabt und etwas erreicht. Jetzt geht man andere Wege.“

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Erstellt:
7. Juni 2024, 06:00 Uhr

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